Faszinierend, was so viele Akkordeonisten und nicht-Akkordionisten zu diesem Thema meinen!
Ich gehöre zu den letztern. Neben einigen Zupfinstrumente spiele ich auch Concertina - aber das ist ganz was Anderes als Akkordeon!
Manchmal mag ich Akkordeon nicht hören. Eben dann, wenn der Spieler diesen wabernden, verstimmten Register einsetzt, anstatt gefühlvoll zu spielen. Aber das ist Gott sei Dank nicht immer der Fall.
Ich hatte ein Schlüsselerlebnis. Es war Internationales Straßenfest in Sindelfingen, und ich war der Ansager im kleinen Hinterhof, wo unser Kulturverein für das Musikprogramm zuständig war. Da gab es alles - Operettenauszüge, Irish Folk, Lorca-Vertonungen, schottische Dudelsäcke - bunte, internationale Pallette. Da kam ein mexikanischer Vereinskollege zu mir und sagte, er hätte in Stuttgart an der Königsstraße einen russischen Akkordeonisten gefunden - könnte ich ihn ansagen?
Der Russe steckte mir einen Zettel mit seinem Namen zu, und ich fragte ihn, "Was machst du?" Er antwortete auf Englisch: "I bllay aggordeon llike you never hurrd beforre." Also sagte ich ihn an: "Jetzt kommt Sergei - er spielt Akkordeon, wie Sie es noch nie gehört haben."
Er setzte sich mitten im Hof und spielte auf seinem Bayan eine Orgeltoccata von Bach. Andächtige, etwas verdutzte Stille, dann donnernder Applaus.
Dann spielte er "Kalinka" (wie wir es nie gehört hatten). Stimmung, Applaus.
Dann zum Schluss ein modernes klassisches Stück für Akkordeon. Eigentlich viel zu ernst und schwierig für das Laufpublikum beim Straßenfest. Trotzdem: aufmerksame Stille und wieder donnernder Applaus.
Für mich ist das gute Musik. Abseits aller Erwartungen das Publikum in den Bann ziehen; ihnen das Gefühl geben, dass sie etwas Besonderes beiwohnen durften. Längst nicht jeder Akkordeonist kann das - auch längst nicht jeder Pianist, Geiger, Trompeter, Gitarrist, Sänger ...
Musikinstrumente machen alleine keine Musik - nur im Team mit einem Menschen. Ein Mensch wie Sergei ist nicht so sehr Akkordeonist; er ist ein Musiker, der Akkordeon spielt. Solche Vollblutmusiker verstehen es, die Stärken ihres Instruments auszunützen, in Szene zu setzen. Weniger musikalische Menschen neigen dazu, die Schwächen ihres Instruments in den Vordergrund treten zu lassen, sei es das Gekrächtze der Violine oder das Gewabere des "Schweineregisters" beim Akkordeon.
Manche Instrumente, wie der irische Dudelsack, der vorhin gelinkt wurde, sind so schwer zu spielen, dass wirklich nur hoch musikalische Menschen sich heranwagen. Daher hört man fast nur gute irische Dudelsackmusik. Beim Akkordeon ist es ähnlich wie bei der Violine - sieht einfach aus, also wagen sich auch die weniger musikalischen Menschen heran - und es gibt logischerweise viele mittelmäßige Spieler (die z.B. nicht wissen, dass ein Akkordeon auch feste Register hat, die fast an das Bandoneon heranreichen
).
Zwei interessante Informationen habe ich seit dem Straßenfest von Sergei bekommen. Natürlich spielt er Transkriptionen von Orgel- und Klavierwerke - aber barocke Musik (für Cembalo komponiert) läßt sich eher auf das Bayan übertragen, als Romantische Musik - denn das Akkordeon hat - anders als das Klavier - kein Pedal!
Die andere Bemerkung war dahingehend, dass auf dem Gebrauchtmarkt für Akkordeons viele Piano-Akkordeons zu haben sind, aber kaum chromatische Knopfakkordeons. Das liegt wohl daran, dass viele, die Akkordeon spielen möchten, meinen, das Piano-Akkordeon wäre einfach, weil man schon als Kind Klavierunterricht hatte. Viele merken, dass diese Rechnung nicht aufgeht und verkaufen ihr fast neuwertiges Instrument wieder. Wer aber wirklich am Akkordeon interessiert sei, erkenne die Vorzüge des B- oder C-Griffs (die wohl bei fortgeschrittener Technik doch besser zu greifen sind) und bleibe dran, bis er wirklich etwas kann.
Fazit: je einfacher ein Instrument "von außen" erscheint, desto mehr mittelmäßige Musiker zieht es an! Oder hat jemand eine Beispiel für schlechtes spiel auf einem chromatischen Knopfakkordeon?
Cheers,
Jed