Günter Sch.;4549272 schrieb:
Ist die fähigkeit abhanden gekommen, schlicht und einfach zuzuhören, ohne um wer weiß wie viele ecken herum zu denken?
Wie lautete noch einmal mein erster Satz im vorangegangenen Post?
Musik wird wohl erster Linie nicht verstandesmäßig gehört, sondern emotionell.
Günter Sch.;4549272 schrieb:
Ich wünschte mehr "neugier" im wahren und besten sinne des wortes, und dann "ohren auf !"
Übrigens: Meine Kritik ist genau durch Befolgen Deines gut meinten Rates entstanden. Ich befolgte ihn schon vor sehr langer Zeit! Und entschuldige bitte, daß sich in dieser langen Zeit auch einige Gedanken angesammelt haben, die ich jetzt erst in Form bringe und hier äußere.
Zitat klaus111
Soll ich mir nun Zwölftontechnik so lange anhören, bis ich die Reihe erfasst habe und auch als Krebs, eine Umkehrung oder Krebsumkehrung, auch als Transposition wiedererkenne?
Nein. Ich denke, Klaus, du unterliegst hier aktuell wirklich einem großen Missverständnis. Vielleicht hast du mal etwas gegen die Zwölftonmusik gelesen, und dieses falsche Gedankengut einfach übernommen?
Klingt für mich nach unterstellter Naivität. Wozu sollte ich fremdes Gedankengut übernehmen? Mir sind hier meine eigenen Gedanken wichtig und zunächst auch genug. Allenfalls freue ich mich, wenn andere für die gleichen Gedanken bessere Worte gefunden haben.
Günter Sch.;4550171 schrieb:
Kein mensch hört, wie 12-ton-reihen ablaufen, nicht einmal der komponist, der oft überrascht ist, wenn er sein werk zum ersten mal hört, es ist schon mühsam, sie im notenbild zu verfolgen.
In dieser strikten Formulierung mit "kein Mensch" ist der Satz falsch.
Eckart Altenmüller hört zum Beispiel Zwölftonreihen und zwar sogar mit der berühmten "Gänsehaut"-Reaktion, also einer sehr starken emotionalen Beteiligung:
»Ich kriege auch eine
Gänsehaut, wenn ich eine (Zwölfton-)Serie wiedererkenne«, sagt Eckart Altenmüller. »Aber das liegt daran, dass ich über Jahrzehnte Neue Musik geübt habe. Von meiner Sekretärin würde ich das nicht unbedingt erwarten.«
Quelle: Christoph Drösser in: Neue Musik - Zu schräg für unser Gehirn
War die zitierte Aussage Schönbergs, doch ernster gemeint als manche vermuten?
»Diese Musik ist kompliziert, aber ich will nicht nachgeben, bis ich sie verstehe.«
Es ist von einer verstandesmäßigen Erfassung die Rede, die Zeit braucht, nicht von Emotionen! Falls aber doch praktisch "Kein mensch hört, wie 12-ton-reihen ablaufen", dem ich in einer weniger strikten Formulierung ja zustimme:
Wozu bitte schön brauchen wir denn dann eine Zwölftonreihe, wenn man sie sowieso nicht hört? Denn Musik sollte nach
musikalischen Gesichtspunkten komponiert werden und
nicht durch Abzählerei und Spiegelei, die man doch nicht hört.
Unterstrichen wird dieser Gesichtpunkt auch durch die bekannte Tatsache, daß bei vielen Werken der Neuen Wiener Schule oft/meist auch gar nicht gehört wird, ob sie in Reihentechnik oder nur "atonal" komponiert wurden. Also wozu?
Meine Kritik geht noch weiter: Wenn praktisch durch die Reihentechnik erzwungen werden soll, daß ja keine tonalen Zentren entstehen:
Warum verwendet Schönberg überhaupt dann die Töne des
Zwöltonsystems, dessen
Ursprung ja im harmonischen Denken liegt? Auf den Streichinstrumenten wäre es ja eigentlich kein Problem, Töne außerhalb des Zwölftonsystems zu greifen.
Aber möglicherweise wäre es um ihn und seine Musik dann noch einsamer geworden, denn dazu wären sicher nicht alle Streicher bereit gewesen. Erst die serielle elektronische Musik konnte auf entsprechende Zumutungen für die Musiker verzichten und Schönbergs Technik wurde ja dann auch für tot erklärt.
Wohlgemerkt: Ich habe nichts gegen die Experimente, die unter Eimert im Kölner Studio unternommen wurden. Ganz im Gegenteil, ich war begeistert von den Ergebnissen der Komponisten elektronischer Musik (Eimert, Stockhausen, Ligeti, König u.a.), in erster Linie allerdings von den damals völlig neuen
klanglichen Möglichkeiten. Diese ließen erahnen, welch ausdrucksstarkes Material sich nun und künftig in den Händen des Komponisten befand bzw. befinden würde. Leider muß ich heute enttäuscht sagen, es wurde nie ausgeschöpft, aber die Zeit wird noch kommen.
Musik (ist) einfach Musik, egal wie sie entstanden ist...
Irrtum! Selbstverständlich ist es z.B. ein Riesenunterschied, ob man Musik komponiert, die erlebnisreich ist, die kunstvoll zu einer konkreten Form gestaltet wurde oder ob man unstrukturiertes Material (oder gar Schweigen) anbietet, welches durch Zufall entstanden ist.
Für den vielleicht werthaltigsten Musiker Europas war natürlich "Musik" keineswegs einfach "Musik":
Und soll aller Musik Finis und Endursache
anders nicht, als nur zu Gottes Ehre und Rekreation des Gemüts sein.
Wo dieses nicht in Acht genommen wird, da ist's keine eigentliche Musik
sondern ein teuflisches Geplärr und Geleier.
Johann Sebastian Bach
(Viel Spaß bei der Rekreation des Gemüts mit Zwölftontechnik! Heute müßte man für Bachs Formulierung andere Worte finden, die Kernaussage bleibt gültig.)
In erster Linie ist die Wirkung wichtig, und nicht die Struktur(en).
Über die Wirkung von Zwölftonmusik und atonaler Musik haben die früher zitierten Hindmith und Furtwängler treffende Ausagen gemacht. Ich kann es nicht besser sagen:
"... verzichtet ja auf übergeordnete Spannungen - so ist auch die Orientierung auf die nächst unmittelbare Umgebung ausgerichtet."
"... falls es sich nicht um Verstandesspekulationen handelt (geht) man daher wie durch einen dichten Wald."
"Wir können uns der Einsicht nicht verschließen, daß eine Musik, dadurch, daß sie auf die Spannungen und Entspannungen gliedernde Kraft verzichtet oder von Spannungen überhaupt absieht und an der Ortsbestimmtheit, die mit der Tonalität gegeben ist, nicht teilhat - unweigerlich ... in Nachteil gerät. Dieser ... Minderwertigkeit mag eine intellektuelle Hochwertigkeit gegenüberstehen; das ändert an der Tatsache an sich nichts.
Das Ungenügen... das bei atonalen Musikgebilden mit Notwendigkeit aus dem Material hervorgeht und dem der atonale Musiker daher nicht entgehen kann, ist es, was jener unüberwindlich-hartnäckigen Abneigung des Publikums dieser Musik gegenüber zugrunde liegt...
Quelle: Gespräche über Musik 1949
Eckart Altenmüller sieht ebenfalls den Mangel auf psychologischer Ebene:
»Wir können Neue Musik besser verstehen, wenn wir sie häufiger hören - sie ist aber so komponiert, dass sie die meisten Menschen nicht dazu anreizt, sie häufiger zu hören.«
Die Vorgehensweise, Buchstaben aus den Namen von Personen in Kompositionen zu verwenden, indem man die Buchstaben direkt auf Töne abbildet, kommt nicht aus der zweiten Wiener Schule. Es gab sie schon weit vorher, bei Bach und vielen anderen Komponisten, und es gibt sie auch heute noch. Es ist soetwas wie eine geheime Botschaft, die nicht notwendger Weise vom Hörer erkannt werden soll.
Die nächste Naivität oder Unachtsamkeit. Eine Trivialität, daß als Noten dargestellte Buchstaben mit Botschaften natürlich Jahrhunderte vorher schon in Musik verwendet wurden.
Das ist nicht der Punkt. Mein Punkt ist, daß die Auswahl der Töne nicht musikalischen Kriterien entspricht, die ich mir von einem durchgestalteten Kunstwerk erhoffe.
Bach und andere waren noch in der Lage die vier Buchstaben b a c h hörbar kunstvoll zu verarbeiten, was man bei Bergs Melodie aus den 19 Tönen "AD SCHBEG", "A EBE" und "ABA BEG" nicht sagen kann. Es war ja nur eine esoterische Botschaft, nicht für den Hörer bestimmt.Für die
Melodie spielt es ja kaum eine Rolle, welche Töne man nimmt. Der Schritt von Schönberg-Schüler Cage in Richtung Aleatorik, gar "Schweigen" (als Musik!, Kagel "komponierte" ähnliches) war nur konsequent. Es ist ja egal, alles ist Musik und überhaupt, ist auch alles Kunst! Willkür und Beliebigkeit sind Tür und Tor geöffnet in manchen Speilarten der Neuen Musik, auch übergenaue Festlegungen, die kein Mensch hört!
Der o.g. Trend für ein melodisches Motiv wurde in der seriellen Musik fortgesetzt:
Zwölfton-Komponist und Musiktheoretiker Adorno suchte in der seriellen Musik noch das Leitmotiv. Sinngemäße Antwort Stockhausens: "Sie suchen immer noch irgendwo einen Vogel der zwitschert. Den gibt es nicht!"
Ob dies ein relevantes musikalisches Prinzip ist? Ich denke, ja, denn wenn man sich für eine solche geheime Botschaft entscheidet, so hat diese auch Auswirkung auf die Komposition, und man setzt sich damit verschiedenartige Grenzen, je nach Auslegung. Das Ergebnis wird also beeinflusst.
Natürlich, das konnte ich mir ja denken, daß es in diesem Sinne ein relevantes Prinzip darstellt. Denn alle möglichen Gedankengänge, widersprüchlichen Konzepte, ja Verrücktheiten und Zufälligkeiten haben einen Einfluß auf die Komposition, wenn nur der passende Komponist sich findet.
@civinos
Ich wollte gerade Deiner Bemerkung "Manche Leute wissen nicht wovon sie reden." eine passende Antwort geben, da sehe ich daß Du sie von selbst zurückgenommen hast.
Noch eine Bemerkung zu dem auch von mir lobend erwähnten Komponisten
Penderecki.
Er kehrte den avantgardistischen Positionen und der Zwölftonmusik den Rücken zu und versuchte, an die musikalischen Idiome des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts anzuknüpfen und sie weiterzuführen.
Quelle:
http://www.cosmopolis.ch/cosmo10/Mutter.htm
Und so wird Penderecki heute verunglimpft:
...man spricht von Penderadetzky, der die tonalen Paarhufer anführe (Helmut Lachenmann).
Wie war das noch Mal? Musik ist eben Musik?
Und das ist die Folge, wenn in der Musik wieder mehr Orientierung zu finden ist:
Seine Akzeptanz beim Konzertpublikum und bei der konservativen Kritik wächst dagegen seit seiner Wendung zu Tradition; sein Werk wird in der Mailänder Scala, im Wiener Musikverein und im Salzburger Festspielhaus aufgeführt. Im Gegenzug werden seine Avantgarde-Techniken zunehmend von Filmmusikkomponisten, wie z. B. Don Davis und Elliot Goldenthal, eingesetzt.
(Beide Zitate aus
Wikipedia)
Die Wirkung seiner klangorientierten Kompositionen kann im Film eine hervorragenden Rolle spielen, wie auch die atonale oder Zwölftonmusik, bei passenden Szenen, bzw. bei passender Atmosphäre. Denn hier kann sich die recht orientierungslose Musik an der Handlung "emporranken". (nach Furtwängler). Sie bekommt durch den Film die leitende Hand, die sich braucht, aber nicht selbst schaffen kann.
Viele Grüße
Klaus