Was nur belegt, daß der Mensch fähig ist, natürliche Gegebenheiten durch Übung zu verändern...
...
Einstudiertes kann man schlecht als Beleg für ein natürliches Verhalten heranziehen.
Da sind wir einer Meinung. Es gibt natürliche Grundlagen der Musik, an die man selbstverständlich nicht sklavisch gebunden ist. Musik bewegt sich im Spannungsfeld von natürlichem, gelerntem und neuen Abenteuern. Doch verläßt man Natur und Kultur wird es wohl kaum möglich sein, der Musik eine wesentliche Bedeutung zu verschaffen. Es wird um sie recht einsam. Tendenzen sind u.a. in den Teilen der Neuen Musik zu sehen, die keine Nachfolger mehr findet und die sich absichtlich von emotioneller Bedeutung distanziert.
Russische Suffköppe singen in Moll...? Was für eine These...
Diese primitive verkürzte These stammt von Dir. Ich dachte, Du würdest verstehen, daß gemeint war, daß in einem Land mit weit verbreitetem Alkoholismus und hartem Winter vielleicht auch die Stimmung gedämpft ist und das mit der relativen Bevorzugung von Moll zu tun haben könnte. Es wird schon Gründe für die russische Moll-Liebe geben, vielleicht auch andere? Wie wäre es mit alternativen Vorschlägen?
Selbstverständlich war auch nicht gemeint, ein Dur-Lied in Moll anzustimmen.
Dur liegt einfach in der Struktur der 12 Töne begründet und wird zudem durch die schon weiter oben erwähnte Obertongeschichte verstärkt.
Warum soll ohne die o.g. Verstärkung Dur stärker in der Struktur der 12 Töne begründet sein als Moll? Das solltest Du erklären!
Zitat von klaus111:
Emotionale Ausdruckskraft müßte bei Musik, welche auf Harmonien verzichtet, auf andere Weise erzeugt werden, was aber schwieriger sein dürfte.
Emotionale Ausdruckskraft liegt in der Interpretation, nicht in der Harmonik verborgen...
Entschuldigung, ich hatte z.B. an die Zwöltonmusik gedacht. Der (versuchte) Verzicht auf das Spannungsfeld zwischen Konsonanz und Dissonanz führt dazu, emotionale Ausdruckskraft auf andere Weise zu erzeugen, falls überhaupt gewünscht. Ich rede von komponierter Musik und der wird man i.d.R. wohl auch ohne besondere Interpretation eine emotionale Ausdruckskraft zubilligen müssen. Ein guter Interpret bringt sie im Idealfall optimal zur Geltung.
Wobei man ergänzen muß, daß strukturell 5 und 7 in einem 12er-System besonders korrellieren. In der Musiktheorie noch viel mehr, denn Pentatonik ist nur ein Teilausschnitt der diatonischen Heptatonik bzw. die Heptatonik eine Erweiterung der Pentatonik.
Völlig einverstanden! Auf einen einfachen Nenner gebracht könnte man es so sagen:
- Basis ist die Quinte
- drei Quinten bilden Grundton, Quint, Quart innerhalb einer Okatv und in der weiteren Entwicklung die Grundtöne von Tonika, Dominate und Subdominante.
- fünf Quinten bilden die Pentatonik
- sieben die Heptatonik (und was für ein Glück, daß nach vier Quinten eine einigermaßen akzeptable Dur-Terz auftritt, das berühmte Stimmungs-Dilemma)
- zwölf unser Zwöltonsystem; mit Einführung der Temperierung wurde es auf Konsonanz über alle Tonarten optimiert.
Moll kann sehr fröhlich klingen - eine Sache des Tempos, was der erfahrene Musiker auch schon eine Weile als Banalität kennt, den Sprachforscher hingegen mag das möglicherweise überraschen.
Selbstverständlich und Dur traurig! Es geht allgemein darum, daß Forscher versuchen für das, was die Musiker i.d.R. empfinden, eine rationale Erklärung zu geben. Bei einem seriösen Vergleich dürftest Du also nicht einfach das Tempo von Moll steigern, um mehr Fröhlichkeit zu bewirken. Du müßtest prüfen, was
unter sonst gleichen Bedingungen (z.B. Tempo) fröhlicher wirkt.
Es geht um den "bias". Also mit was ist Dur bzw. Moll
eher assoziiert? Und dieser "bias" hat wohl natürliche Gründe. Die Dinge sind nicht schwarz-weiß zu sehen, sondern es wird versucht, eine Erklärung für die signifikanten (eben nicht zufälligen) Unterschiede der Stimmung von Dur und Moll zu geben.
Alles keine Erklärung dafür, weshalb die Menschen in der Sprachmelodik offensichtlich ein 12-Ton-System benutzen, denn sonst wären pentatonische bzw. heptatonische Intervalle statistisch nicht derart auffällig.
In der Arbeit von 2007 wurde nicht die Sprachmelodik untersucht, sondern die Klangspektren von Vokalen, welche Formante bilden. Die ersten beiden Formante sind besonders wichtig für die Verständlichkeit (siehe auch
Tabelle 1, Wikipedia).
Die Maxima dieser beiden Formante bilden Intervalle, die man genau analysieren kann. Durch Okatavversetzung wurden diese Intervalle in eine Oktave gebracht (Oktavidentität).
Hier zeigte sich eine Häufung der Intervalle, die wir aus der Musik kennen. Wie aus Fig. 3 der Arbeit hervorgeht, sind alle zwölf Intervalle der chromatischen Skala (reine Stimmung) mit recht großen Häufigkeiten präsent (rote Striche). Sie machen 68% der Intervalle aus, die überhaupt vorkommen.
Unter den chromatischen Intervallen sind am häufigsten:
Oktav, Quint, Dur-Terz, Quart,
am wenigsten häufig: Mollterz (!), kleine Sekund, Tritonus (siehe Tabelle 1)
Man sollte die Rangfolge im Einzelfall nicht überinterpretieren, denn wie sich aus Tabelle 1 entnehmen läßt, kann sie je nach Geschlecht und Sprache sowie aus statistischen Gründen variieren.
Mit Deinen weiteren Aussagen wäre ich wohl einverstanden, nur das 12er-Endlossystem verstehe ich nicht. Falls der Tonraum gemeint ist, so hat der selbstverständlich für die menschliche Wahrnehmung seine Grenzen. Was über die Tastatur eines Flügels hinausgeht hat kaum Bedeutung und der Schwerpunkt liegt so etwa in der Mitte (wg. der menschlichen Stimme).
HëllRÆZØR;4534083 schrieb:
@Klaus111: Ich finde interessant, dass du eine Auflösung nach Moll gar nicht in Betracht zu ziehen scheinst, wie z.B. Cm7b5 - Bbm.
Ich habe sie in Betracht gezogen (Dbm und Gm), doch nach Dur hat sie m.E. mehr Affinität. Man kann Cm7b5 natürlich auch in andere Dreiklänge auflösen (von Vierklängen einmal abgesehen). Bb und Bbm sind auch möglich, doch weniger zwingend als die o.g. Akkorde, Denn es fehlt der Leitton und der entsprechende Tritonus. Das Bb ist ja schon in Cm7b5 enthalten.
HëllRÆZØR;4534247 schrieb:
Selbstverständlich ist die Dur-Tonleiter für mehrstimmige Musik gut geeignet. Es ist aber nicht die einzige Tonleiter mit dieser Eigenschaft...
Höchste Anforderungen an die Mehrstimmigkeit stellt der Kontrapunkt.
Der Mathematiker und Jazz-Pianist Mazzola erstellte ein mathematisches Modell für den Kontrapunkt. Dieses war auf beliebige Skalentypen anwendbar. Nun machte er folgende Beobachtung:
Man stößt auf ein interessantes Faktum betreffend die dominierende Rolle der Dur-Skala. In der Analyse für die drei 7-tönigen Skalentypen, die ausschließlich Halb- und Ganztonschritte verwenden. (Dur-Skala, melodische Moll-Skala und die um einen eingefügten siebten Ton erweiterten Ganztonleiter) erscheint die Dur-Skala als optimal im folgenden Sinn: Die Freiheit der Wahl eines Nachfolgeintervalls ist in der Dur-Skala mit Abstand am größten. Regelkonforme Nachfolger gibt es immer. Nur für zwei für zwei Fortschreitungen mit vorgegebenem Startintervall und Cantus-firmus-Schritt ist der Nachfolger eindeutig bestimmt. Die melodische Moll-Skala läßt in der Wahl von nachfolgerintervallen zwar weniger Freiheit zu, es treten aber keine Fälle auf, wo keine regelkonforme Fortschreitung existiert ("Sackgassen"). Hier hat man für 16 Fälle nur eine Wahl. In der "erweiterten Gantonleiter" treten in 18 Fällen Sackgassen auf und die Wahlfreiheit ist minimal.
G. Mazzola: Mathematische Musiktheorie: Status quo 1990, S. 24
in: DMV Jahresbericht, 93. Band Heft 1
Fazit: Man kann selbstverständlich auch mit anderen Skalen als der Durtonleiter mehrstimmige Musik machen. Doch sie sind, je nach Beschaffenheit, für hohe Ansprüche weniger dafür geeignet.
Selbstverständlich kann eine mehrstimmige Musik in anderen Skalen sehr interessant sein, denn die Dur Skala unterliegt ja auch einem Abnutzungseffekt durch Gewöhnung. Sie kann u.U. langweilig wirken. Und auch eine weniger anspruchsvolle Mehrstimmigkeit kann immer noch hochinteresant sein, vielleicht auch gerade wegen der Verwendung anderer Skalen.
@fugato
Hab ich mir gedacht, daß auch eine Unsicherheit bei dem Chor-Experiment passieren könnte.
Ob die Russinnen in ihrer kulturellen Umgebung eher nach Moll auflösen als hier?
Man müßt überhaupt einmal untersuchen, wie häufig Moll in russischer Musik tatsächlich auftritt. Am Ende ist es vielleicht nur eine relative Häufigkeit, die aus unserer Perspektive übertrieben wahrgenommen wird.
Grüße
Klaus