Der Weg zu guter Musik führt über das Timing. Das ist der Schlüssel. Keine Skalen, keine Lehrbücher, kein Feeling kann das ersetzen. Alles andere setzt darauf auf. Ihr müsst kapieren, dass auch für Blues das Timing das ist, was euch gern Musik machen lässt, und zudem, was einen Zuhörer gern zuhören lässt! Alles andere ist Geschmackssache. Ob nun jemand auf Pop steht, auf Blues, auf Klassik, auf Jazz, auf Metal, auf weiß-der-Geier-was auch immer. Wenn das Timing nicht stimmt, ist es für die Tonne. Und nicht stimmendes Timing ist tatsächlich komplexer, als es sich zunächst anhört, weil es "DEN PUNKT" als mathematisch beschreibbaren, stets gleichen Zeitpunkt im Live-Spiel so nicht gibt, sondern er ist eine implizite Vereinbarung zwischen den Musikern (...und der Erwartung der Zuhörer). Es ist eher so, dass es einen sehr enges Zeitfenster um einen Schwerpunkt herum gibt, innerhalb dessen es Intervallgrenzen gibt.
Um die Moll-Pentatonik in A zu lernen, braucht man nicht allzu lange. Ich würde sagen, dass ein Schüler die erste Lektion, nämlich Am Pentatonik in der 5. Lage in circa 2-3 Tagen drauf haben kann. Eine Woche später lernt man dann noch das Eb kennen, und schon kann man mit einer -halbwegs- Blue Note einen Blues improvisatorisch gestalten. Damit kann man schon viel machen. Vorausgesetzt, man hat das Timing im Griff
Was ist denn das Problem dabei? Nun, ein (Chemie-)Lehrer von mir, Stones-Fan und selbst Musiker, meinte, dass Musik gar nicht so schwer sei. Man braucht nur die richtige Note zum richtigen Zeitpunkt spielen
Richtige Note? Kein Problem, wenn man sich Zeit lassen kann. Wenn man sich ganz sicher ist, dass eine Note die richtige Note ist, lässt man sie erklingen. Das war einfach, gelle?
Richtiger Zeitpunkt? Hm. Nenne mir hier doch einmal jemand das Organ, mit dem ein Mensch den richtigen Zeitpunkt oder Rhythmus im Allgemeinen wahrnimmt?
Das Herz? Nun.. es schlägt in keinem konstanten Takt, sondern es schlägt so schnell, wie der Körper signalisiert, dass das Blut den Sauerstoff verteilen muss, um den Organismus am Laufen zu halten. Fällt also aus. (metaphorisch würde ich das Herz aber durchaus im Sinn behalten, s.u.)
Das Gehirn? Irgendwie ja schon. Schließlich wird erst im Kopf Musik zu Musik. Vorher ist es Nervenimpuls, Schallwandlung im Ohr, Schall, und davor ein irgendwie schwingender Gegenstand, z.B. eine Lautsprechermembran. Aber wo genau manifestiert sich denn im Hirn der Rhythmus oder der Takt? Um mal ein bisschen weiter auszuholen: Wir verfügen über ein Ultrakurzzeitgedächtnis, das Ereignisse in etwa 3 Sekunden lang erinnert und damit arbeitet. So ähnlich wie ein Prozessorcache. Das führt z.B. dazu, dass das, was wir als "Jetzt" betrachten, einen Zeitraum von ca. 3 Sekunden umfasst, aber es hat auch andere Auswirkungen wie auf Phrasierung. Das würde aber jetzt hier zu weit führen, wenn ich das auseinander nehme, denke ich.
Aber wie wird denn nun im Hirn Rhythmus zu Rhythmus? Keine Ahnung. Weiß ich nicht.
Für mich jedenfalls funktioniert ein kognitiver Zugang zum Rhythmus nur unzureichend. Dann passiert nämlich folgendes: Sobald ich nachzudenken beginne, also bewusste Entscheidungsprozesse im Fluss stattfinden, beginnt mein Timing ungenau zu werden. Das passiert umso stärker, je weniger ich den "Groove" (oh je.. das nun auch noch) spüre. Was zu diesen Zeitpunkten passiert, ist, dass meine musikalische Übersicht zusammenbricht. Ich fokussiere auf eine Sache, z.B. auf eine Note, mache mir Gedanken über den Fingersatz, meinetwegen auch über den Rhythmus, den Zeitpunkt, oder auf anderes. Ich konzentriere mich auf exakt eine Sache außerhalb der Musik an sich. Mein 3-Sekunden-Zeitraum bricht zusammen, ich verliere das Gefühl für den richtigen Zeitpunkt und.. zupp... mein Timing eiert. Kennt ihr doch auch oder? Das höre ich den Beispielen hier jedenfalls an
Hm. Mist.
Kann man etwas dagegen machen?
Klar. Gute Nachricht: Man kann üben.
Zum einen muss die Motorik automatisiert werden. Das gelingt durch vielerlei Methoden, darüber gibt es jede Menge Lehrmaterial. Aber auch andere Dinge müssen entwickelt werden. Das Ohr. Es muss eine Verbindung zwischen dem System Finger-Instrumentarium-Schallwelle und dem inneren Erleben eines Tones geschlagen werden. Dafür gibt es einerseits Hörtraining, das ist aber ziemlich akademisch geprägt. Aber es gibt auch die unmittelbare, körperinnere Tonerfahrung durch Singen! Singen ist ein probates Mittel, um aus lose aneinandergereihten Tönen eine Melodie werden zu lassen. Singen und Hörtraining sind Zwillinge.
Was ist nun mit dem Timing?
Ich würde es in zwei Bereiche aufteilen. Erstens den inneren Puls. Dieser innere Puls muss mit dem äußeren Puls in Übereinstimmung gebracht werden. Das ist keine Frage kognitiver Fähigkeiten. Wenn es so wäre, gäbe es nicht so viele unsägliche Dummbatze auf den Tanzflächen der Diskotheken, die reihenweise Mädels abschleppen (solange sie die Klappe halten und nix sagen). Nee, für mich steht fest, dass das Rhythmuserleben direkt mit Bewegung zusammenhängt. Der innere Puls und Tanzen sind ebenfalls Zwillinge. Meine Freundin wird mir beipflichten, sie erarbeitet Choreograpien und hat auch den entsprechenden Background. Echte Blueser tanzen aber nicht, nicht wahr? Sondern wippen allenfalls bloß hospitalistisch. Macht aber nix, solange man nicht versteift, ist auch das vollkommen in Ordnung. Also, wer seinen inneren Puls erleben will, sollte (im weitesten Sinne) Tanzen. Ich meine jetzt keinen Standardtanz, aber wer will, darf natürlich
, sondern eher so etwas wie eine Verabschiedung und Abkehr von einer puritanischen Körperfeindlichkeit, wenn es um die ach so intellektuelle Höchstleistung von Musik geht.
Der andere Timingaspekt ist wiederum mehrteilig anzugehen, meiner Erfahrung nach: Einerseits muss man natürlich die Taktart beherrschen, 4/4, 6/8, 3/4, 5/4 usw. Das ist eine Sache des Kopfes.
Aber auch das Mikrotime muss man entwickeln. Das geht ganz wunderbar mit den von Sascha schon angesprochenen Wechselschlag-Übungen. Einerseits
lernt man dadurch die grundlegende Bewegung zur Tonerzeugung einer E-Gitarre kennen und verinnerlicht sie so stark, das man jederzeit darauf zurückgreifen kann, andererseits entwickelt man dadurch aber auch eine Sensibilität für das Raster, also den kleinsten Puls, z.B. 8tel, 16tel oder auch andere Sachen wie Triolen, Quintolen, Sextolen, Septolen oder was immer man auch übt. Das geht nicht von heute auf morgen und dauert sicherlich etwas. Aber es lohnt sich.
Ein Quasi-Grundgesetz lautet: Eine falsche Note ist nicht so schlimm wie ein versemmelter Zeitpunkt.
Zu diesem Typen Ganapes: Ich kann keinen Lehrer akzeptieren, der es offensichtlich nicht schafft, seine Lehrmethoden an sich selbst erfolgreich anzuwenden. No-Go!! Wie soll der denn auf die vielfältigen Schwierigkeiten reagieren, die die unterschiedlichen individuellen Problemstellungen vollkommen verschiedener Persönlichkeiten der Schüler so mit sich bringen? Ein Lehrer muss trotzdessen nicht der ultimativer Virtuose sein, aber sein Können ist so niedrig, dass ein normal begabter und motivierter Schüler ihn innerhalb von wenigen Monaten hinter sich gelassen haben dürfte.
So, zum Abschluss noch eine Rhythmuspyramide, mit der ihr arbeiten könnt, wenn ihr wollt.
http://www.ibanizer.de/misc/RhyPyramidX02_4_8_8t_16.zip 4tel, 8tel, 8tel-Triolen, 16tel und wieder zurück.
Das Ding ist relativ einfach, ich habe auch noch weitere. Ist ein Guitar Pro 5-File. Stellt das GP-Metronom auf laut und benutzt die Töne aus dem File als Orientierung. Jeder Ton ein Anschlag, sklavisch Wechselschlag, versucht stets, exakt drauf zu sein, ohne die geringste Abweichung. Im nächsten Schritt dann die Spur langsam leiser stellen, bis irgendwann nur noch das Metronom hörbar ist. Ich selbst dämpfe bei diesen Übungen die Saiten ab, so dass ich nur den Anschlagsimpuls höre. Das ist zwar ziemlich trocken, aber effektiv.
Wenn ihr damit anfangt, dann ist es am besten, zunächst die einzelnen Subdivisionen separat zu üben. Wenn sie fest sitzen, dann könnt ihr die aufsteigende Pyramide angehen. Danach dann die absteigende Pyramide und zum Schluss dann alles im Kreis.
Die größte Falle ist der Wechsel von 16tel auf Achteltriolen, das werdet ihr bestimmt feststellen
Symptomatisch ist jeweils die zweite Note bei Wechsel von einer Subdivision auf die nächste. Wenn ihr keine klare Vorstellung habt, dann werdet ihr die zweite Note nicht exakt treffen und euch nur langsam in das korrekte Tempo einpendeln. Das ist ein sicheres Zeichen dafür, dass noch Übebedarf besteht.
Grüße Thomas
P.S.: Ich sehe gerade, dass es mal wieder eskaliert
Erstmal abschicken, dann lesen und amüsieren