Diesen Lieder-Lexikonartikel zu dem "fiktiven Landsknechtlied" finde ich interessant. Ich habe nicht Musikwissenschaft studiert und kann deswegen solche Artikel nicht so einschätzen.
Der Artikel belegt genau das, was man mir im Studium beigebracht hat: Wir haben eine Melodie aus dem 16. Jahrhundert, zu dieser Melodie werden verschiedene Texte gemacht. Das gibt es z.B. auch in der Kirchenmusik jener Zeit recht häufig. Eigentlich kann man nach deinem guten Artikel,
@Moricasso, nur sagen, dass es jene Melodie gab und dass von dem Landsknechtslied maximal die erste Strophe aus alter Zeit ist. In dem Artikel finde ich wunderbar beschrieben, was mit der Volksmusik überhaupt passiert. Die Leute aus der Romantik gucken nach, was es gibt und schreiben manches auf. Meistens kommen damit sofort oder später neue Texte ins Spiel, so dass ein Freund von mir einmal traurig-wehmutsvoll-halbärgerlich meinte, eigentlich haben die Romantiker die ganze deutsche Volksmusik zerstört! Das ist eigentlich genau das Gegenteil dessen, was sie wahrscheinlich von sich selber behaupten würden, sehen sie sich doch als Überlieferer älterer Traditionen. Mein Freund sagte, hätte es die Romantiker nicht gegeben, hätten wir eine richtig alte deutsche Volksmusik.
Ich weiß nicht, wie man das bewerten soll. Beide Seiten der Diskussion (Romantiker als Tradenten oder als Zerstörer der deutschen Volksmusik) haben Argumente. Freilich finde ich interessant, in die Vergangenheit zu gucken. Gibt es Heimatmusik zu finden, die zwar überliefert ist, aber keiner kennt, weil sie die Romantiker in die Archive gepackt, aber nicht veröffentlicht haben? Das wäre in der Tat interessant. Wahrscheinlich würden wir auch staunen, da dort noch nicht das feste unveränderliche metrische Einerlei des 3/4 und 4/4 herrscht, das seit der Klassik all unsere Musik durchzieht, sondern noch ein Spannungsfeld zwischen Metrum einerseits und Phrasierung andererseits herrscht (Vgl. dazu Robert Jourdain, Das wohltemperierte Gehirn: wie Musik im Kopf entsteht und wirkt. Kapitel 5 .... Zum Rhythmus). Und vielleicht wüssten wir Akkordionisten gar nicht mal, was man da spielen soll, sind wir doch gewöhnt auf die Betonung Schlag 1 den Grundbass und auf die unbetonten metrischen Schläge den Akkord zu setzen (Umm-pah-pah). Aber wie begleitet man Stücke, deren Metrum sich ändert, dessen Phrasierung sich abwechselt?
Vielleicht muss man einfach als Resümee ziehen, dass Musik eben veränderlich ist und die Romantiker weder verunglimpfen noch verherrlichen. Auf jeden Fall kann einen das Alte wesentlich inspirieren. Eine weiterführende Frage, die freilich nicht in diesen Kontext gehört und leicht OT ist, z.B. wäre, wie sich alpenländische Musik vor dem 19. Jahrhundert anhörte. Damals gab es nämlich noch kein lautstarkes Akkordeon, dass automatisch Um-paa-paa machte. Vielleicht gibt es dort auch noch so manches Alte und Vergessene zu entdecken, was man wieder einfließen lassen und mit anderen Musikstilen kreativ kreuzen könnte. Der alpenländische Mittelalter-Pixner wäre geboren...