Wie übt und trainiert man denn einen Kanon? Habt ihr Tipps für mich?
Hallo Bruno, was du sagst, kommt mir ziemlich bekannt vor. Ich erinnere mich an die Stunden, die ich damit zugebracht habe, den "Bruder" auf dem Klavier oder dem MII-Akkordeon zu spielen. Alles was du beschreibst, ist völlig normal. Ich habe mir damals übrigens noch mehr Fragen gestellt, nämlich: 1. Woher kommt das Chaos? 2. Was will ich eigentlich erreichen? 3. Wie muss ich üben, damit ich erreiche, was ich will? Die letzte Frage ist sehr wichtig. Kanon spielen ist nämlich nicht gleich Kanon spielen.
Also:
1. Woher kommt das Chaos? Das Chaos kam bei mir daher, dass ich plötzlich zum ersten Male zwei Stimmen hörte, die unabhängig voneinander jeweils eine Melodie bildeten und sich dabei harmonisch ergänzten. Dabei merkte ich, dass es nur eine Melodie ist, die in sich selbst verschoben war. Die Frage ist jetzt, wie man eigentlich hört. Ich merkte, dass ich mich zunächst nur auf eine Stimme konzentrieren konnte. Diese Melodie, auf die ich mich konzentrierte, konnte ich spielen. Die andere verlor ich aus den Augen, ich merkte, dass ich sie aus den Augen verlor, versuchte zu retten, was zu retten ist und dabei passierten die Fehlleistungen, die du so schön beschrieben hast (Noten kommen durcheinander, der Fingersatz scheitert, falsche Töne werden gespielt....). Die Sache ist bei mir wenigstens ein Konzentrationsproblem - ein Konzentrationsproblem, das
aus dem Hören resultiert. Wichtig! Man kann dasselbe Problem auch bekommen, wenn man in Notenzeilen verrutscht. Dann wäre es ein visuelles Problem mit ähnlicher Auswirkung.
2. Was will ich eigentlich erreichen?
Man könnte das Problem dadurch entschärfen, dass man gar nicht genau hinhört. Das kann man erreichen, indem man sich nicht akustisch auf die Stimmen des Kanons konzentriert, sondern Noten vom Blatt abspielt, die man in diesem Falle vielleicht selber schreibt (Die dafür notwendigen Noten habe ich dir ja gerade nicht gegeben!) oder sich vorstellt. Wenn man das so treibt, lernt man Noten spielen. Noten spielen vom Blatt ist aber für mich keine Lösung. Ich möchte mein Akkordeonspiel zunächst einmal akustisch genießen.
Man könnte das Problem dadurch entschärfen, dass man das Problem vor allem haptisch meistert. Man versucht dann Takt für Takt beide Stimmen zu spielen und achtet dabei zunächst einmal auf die Berührung der Finger auf Tasten und Knöpfe. Diese speichert man sich innerlich ab. Wenn ich den Kanon wiedergeben will, spule ich die Griffmuster wieder ab. Vorteil: Ich brauche keine Noten. Ich kann nach einer gewissen Zeit der Übung die Sache so weit automatisieren, dass ich auch höre, was ich spiele. Schön.
3. Wie muss ich üben, damit ich erreiche, was ich will?
Klar ist, dass wir üben müssen. Der Mensch kann und weiß das, was er tut. Schaut er Fernsehen, formt er sein Gehirn dazu fernzusehen. Macht er Hochsprung, formt er sein Gehirn dazu hochzuspringen. Spielt er Akkordeon, formt er sein Gehirn dazu Akkordeon zu spielen. Alles, was wir tun, bildet sich im Hirn ab.
a. Sollte ich Kanons nach Noten spielen können wollen, sollte ich mir die Noten aufschreiben und spielen. In diesem Falle müsstest du selber den Kanon nehmen und die Bewegungen beim "Bruder Jakob" in Noten so untereinander setzen, dass sich ein Stück mit Wiederholschleife ergibt. Das kann man dann üben, bis man keine Fehler mehr macht.
b. Solltest du nach akustischem Vergnügen trachten, solltest du
- die Noten erst einmal mit beiden Händen abspielen,
- dann den Notentext weglegen und das Stück ohne Noten spielen, bis es ohne Fehler geht.
- Dann spielt man die Bewegung 1 unisono und setzt im Diskant mit Bewegung 2 fort, wobei man versucht, im Bass Bewegung 1 fortzusetzen. Nur so weit. (Du siehst, wir spielen im Bass dann was wir schon können, von dem wir hoffen, dass es sich schon internalisiert hat).
- Wenn das geht, genauso Bewegung 3 und Bewegung 4 hinzunehmen, bis der ganze Kanon klappt.
- Hat man ihn gemeistert, dann solange spielen, bis er automatisch geht.
- Dann der wunderliche Trick: Hören versuchen, was man spielt. Das muss gehen, ohne dass man rausfliegt. Wenn das auch geht, kann man sich dann freuen, denn man ist bereit für Fugen, für die das Kanonprinzip formbildend war.
Viel Erfolg, Bernnt grüßt und drückt dir und allen anderen MIII-Spielern die Daumen.
Ok Leute, das war ein langer Text mit meiner Antwort. Ich bin gespannt auf eure Reaktion auf Brunos SOS-Post:
Wie übt und trainiert man denn einen Kanon? Habt ihr Tipps für mich?