Ja, ja, die Kommunikation. Ist ja im realen Leben von Angesicht zu Angesicht schon schwer, aber im (üblicherweise) anonymen Internet und in einer Kommunikationsform, bei der alle nichtverbalen Elemente fehlen (z.B. Gesichtsausdrücke) und die immer noch zusätzlich mit einem gewissen Zeitversatz behaftet ist wie solche Foren, das wird es oft erst so richtig "lustig".
Dazu möchte ich den Eingangssatz des TE unter den Betrachtungswinkeln Kommunikation/Information mal näher unter die Lupe nehmen:
In einem Laden testete ein potentieller Gitarrist für seine potentielle Freundin Gitarren, um die potentiell richtige für einen potentiellen Kauf raus zu suchen und zu empfehlen. Sie spielte ihr weniges besser als er sein nerviges vieles. Bei ihr hörte ich Potenzial - er schaffte es, mich mit seinem unfreiwilligen Freejazz aus dem Laden zu schrammeln.
Er schildert aus seiner Sicht (welche sollte er auch sonst haben?) die Situation, zu der er dann später die bekannte Frage stellt. Darin beurteilt er das Spiel des "potentiellen Gitarristen" negativ: "nervig", "unfreiwilliger Freejazz". Welche Informationen kann man daraus entnehmen?
Ihm hat das Spiel dieses Gitarristen nicht gefallen, es ging ihm auf die Nerven. Dazu mag er "Freejazz" offensichtlich nicht (mittlerweile hat er das als Zitat präzisiert, aber er hätte diese Formulierung nicht aufgegriffen, wenn er ein Freejazz-Fan wäre).
Ob das Spiel des potentiellen Gitarristen wirklich so schlecht war, können wir nicht wirklich wissen, wir kennen ja nur die persönliche
Einschätzung des Spiels vom TE. Das könnte man jetzt problematisieren und hinterfragen. Aber um auf die eigentliche Frage dazu einzugehen, können bzw. müssen wir diese Einschätzung erst mal als gegeben hinnehmen, um also überhaupt auf den Kern des Posts einzugehen. Das ist auch nicht so schwer, denn die meisten von uns werden eine vergleichbare Situation schon mal erlebt haben. Wir nehmen die Einschätzung des TE also erst mal als realistisch und gegeben hin. Ohne diese Einschätzung mit ihrer negativen Kritik wäre die Frage ja auch sinnlos weil zusammenhangslos.
Die negative Einschätzung des TE als Beleidigung anzusehen, ist wiederum eine unzulässige
Interpretation der Situation. Unzulässig, weil sie den Sachverhalt falsch darstellt. Der TE hat sich im Geschäft ja gerade
nicht dem Gitarristen gegenüber geäußert, sondern er ist gegangen. Zudem ist dieser Gitarrist hier vollkommen anonym geblieben.
Wäre es genau anderherum gewesen ("... der hat vielleicht tolle Soli gespielt, ein echter Könner. Hätte ich da vielleicht ihn mal ungefragt loben sollen ... ?"), hätte sich niemand über die
Einschätzung des TE aufgeregt oder diese hinterfragt. Wir hätten diese so positive Formulierung gewiss sofort als Tatsache angenommen und die Antwort wäre sicher ein einhelliges "Ja" gewesen.
Die Frage ist im Grunde also leicht zu beantworten. Im grundsätzlichen Vertrauen, dass die uns gegenüber geäußerte Einschätzung des TE, dass das Gitarrenspiel nervig und unangenehm war, da es keinen hinreichenden Grund gibt, dies anzuzweifeln, sehe ich es auch so, dass es in dieser Situation unangebracht gewesen wäre, den unbekannten Menschen auf sein vom TE als Hörer nervig
empfundenes Spiel anzusprechen. Es war schlicht auch keine wirklich öffentliche Situation einer Bühne vergleichbar und über die Person und die Hintergründe seines Gitarrenspiels wusste der TE auch rein gar nichts. Die
Höflichkeit gebietet es dann im Allgemeinen zu schweigen.
Hätte er toll gespielt, bzw. hätte dem TE sein Spiel gefallen, hätte einem Lob nichts entgegen gestanden.
Lob ist süß, negative Kritik bitter, ersteres kann man immer verschenken, letzteres bleibt solange in der Dose, bis die Situation dazu stimmig genug ist.
Das führt zur zweiten Frage, der nach der Kritik in einer Band, etwa bei Probensituationen.
Hier ist alles ganz anders. Normalerweise kennt man die Kollegen/Kolleginnen gut bis sehr gut, zumindest nach einiger Zeit des Zusammenspiels. Man hat im besten Fall sich schon auf den Modus geeinigt, dass man gemeinsam besser werden will als Band und ist sich klar, dass das auch von den Einzelleistungen der Mitspieler abhängig ist. Hier sollten
erwachsene Menschen auch Tacheles reden dürfen, wobei es ebenso dem Erwachsen-Sein entspricht bzw. entsprechen sollte, das nie beleidigend, sondern immer mit Respekt dem anderen gegenüber geschehen sollte.
In einem sehr guten kollegialen Verhältnis kann die gewählte Sprache dabei auch schon mal heftiger werden, je nach persönlicher Veranlagung und Herkommen, da sollte eine Äußerung wie "... watt war datt´n für´n Scheiß gerade ..." das
erwachsene Miteinander nicht aus dem Gleichgewicht bringen dürfen.
Manche "Künstler" verwechseln Sensibilität aber schon mal mit Mimosentum und pflegen ihre (übertriebenen!) Empfindlichkeiten. Das ist nicht erwachsen. Erwachsene müssen abstrahieren und verstehen gelernt haben und sollten auch dafür sorgen, sich um eine angemessene Robustheit der eigenen Persönlichkeit zu kümmern und diese zu pflegen. Und nicht irgendwelches übersteigertes "Ich-Tum".
Die Mentalitäten haben sich allgemein im Vergleich zu den 90ern nochmal drastisch verschärft. Vermutlich auch, weil erfolgreicher Gender immer genauer auf die Details schaut, überträgt sich eine große Sensibilität auch auf die Kommunikation außerhalb dieses Feldes. Ganz schnell sind Befindlichkeiten betroffen, die Leute (sorry) pissen sich superschnell wegen Nichtigkeiten ein. Du merkst gar nicht, daß du jemand auf den Schlipps trittst und schon bekommst du bei nächster Gelegenheit völlig überrascht seine Revanche zu spüren. Das ist im Netz in den sozialen Foren ja auch oft so. Freund oder Feind, Ja oder Nein.
Zu diesen Themen empfehle ich das Buch "Erwachsenensprache" des Wiener Philosophen Robert Pfaller.
Gruß, Jürgen