Nun, ich bin da ja auch vorbelastet und gebe mal meinen Senf dazu...
Klick mal.
Und inzwischen kann ich auch die Quelle nachreichen: Dr. Adolf Renardy: "Rimlock- und Picoröhren und ihre Schaltungen", Heft 2 der Radio-Praktiker-Bücherei, Franzis-Verlag München, 1951.
Der Mann wusste, wovon er schreibt.
Es ist zwar ein paar Tage her, dass ich dir dort die Frage gestellt habe, wo das herkommt, aber danke für die Antwort
Zum eigentlichen Thema gibt es da mehrere Seiten, die wir betrachten sollten:
- In einer Albumproduktion
- Live fürs Publikum
- Für den Musiker selbst
Ich frotzel mal ganz frech...
Die Röhrenamps haben doch schon die rein analogen Transen überlebt. Ebenso die Racks der 80er. Mal von Quilter, dem reinkarnierten Jazz Chorus und dem Super Crush gibt es z.B. kaum noch wirklich professionelle große SS-Amps. Daher denke ich, dass es sie stets auch parallel zur Computerlösung geben wird.
Naja, zahlreiche Musiker haben sowas wie Marshall Lead 12 oder gleich gar keine Verstärker (direkt ins Pult, auch verzerrt) benutzt. Das hat auch schon in den 70ern / 80ern funktioniert.
Die Definition von "professionell" ist auch irgendwie schwierig, da die Geräte alle qualitativ Consumerzeug sind.
(...) Der JMP klingt einfach voller bei gleicher Lautstärke. Nicht viel und im Bandkontext auf keinen Fall hörbar. Daher reicht mir das für Live als Backup und ist besser, als alle anderen Pedale, die ich vorher als JMP-1 Backups hatte. Aber wenn ich spiele, dann lieber über den JMP und das Tonex nur als Backup.
Lange Rede kurzer Sinn. Solange es Leute gibt, die kaufen weil Röhren für sie einen Unterschied machen, wird es auch Röhrenverstärker geben.
Sorgen würde ich mir erst machen, wenn die etablierten Hersteller ihre Modellpalette wieder auf die Klassiker zurückfahren, wie es zur Zeit bei den Automobilherstellern teilweise der Fall ist.
Aber momentan hab ich nicht das Gefühl, dass es soweit ist. Es kommen immer mehr interessante Modelle auf den Markt und auch kleinere neue Hersteller wie zB Lichtlaerm mit dem Prometheus oder Driftwood mit dem Nightmare. Oder die ganzen Victory Amps und Röhrenpres. Unfassbar geiles Zeug. Wenn man nur die Kohle hätte.
Ich fange mal damit an: Es klingt voller. Was bedeutet das?
Wir haben hier mehrere Aspekte, die, abgesehen von der eigentlichen Fragestellung "Zukunft der Röhrentechnik", beleuchtet werden sollten:
Was sind Röhrenverstärker?
Wie benutz(t)en wir Röhrenverstärker?
Wie schränken sie uns ein?
Wie nehmen wir sie wahr? / Wie übermitteln wir ihren Klang an den Hörer?
Schauen wir uns mal die Signalkette von der Gitarre bis zum Ohr an, dann stellen wir fest, dass sich da einiges massiv verändert hat:
Was sind Röhrenverstärker? / Wie benutzten wir Röhrenverstärker?
Wenn man mal in der Zeit zurückgeht, dann hatte man da zum Beispiel die JMP mit passenden Boxen. Diese sind abartig laut und stellen eine Schallquelle dar, die nur die Gitarre wiedergeben muss. Das heißt, man hört aus diesem Lautsprecher nur Gitarre. Und das bedeutet, dass all die Unzulänglichkeiten der kompletten Signalkette bis zum Lautsprecher auf einmal klangbildend sein können und sich Dreckseffekte wie Dynamikkompression (Verstärker), Power Compression (Lautsprecher), Eigenresonanzen oder Intermodulation (!) eventuell positiv auf den Gitarrenklang auswirken.
Das führt zu Fülle, Wärme usw. Und zu all den schönen Dingen, die man von Röhrenverstärkern kennt bzw. mit diesen verbindet.
Wenn wir also "Röhrenverstärker" sprechen, sollten wir von "Röhrenverstärkern mit den passenden Lautsprechern" sprechen.
Diese Kombination ist technisch schlecht, aber die sich ergebenden Eigenschaften gefallen und werden musikalisch eingesetzt. Der Musiker, der den Lautsprecher selbst hören kann, nimmt das wahr. Er kann sich außerdem bewegen und erlebt die Veränderung des Klanges im Raum. Die Dreidimensionalität ist gegeben.
Historisch hat man die Verstärker bei Bedarf auf "11" gedreht und dann den/die (!) Lautsprecher mikrofoniert (Studio eigentlich immer - live dann, wenn nötig).
Live nehmen auch die Zuhörer den Verstärker - Direktschall wahr. Ich bin der festen Überzeugung, dass eine gute Backline einer gut abgestimmten Band, die in kleineren / mittleren Locations spielt (und das können je nach Genre und Bühnenlautstärke auch Gigs um die 500 Leute sein...) ein Vorteil ist.
Jede PA hat Intermodulationen, insbesondere die kleineren. Wenn man sie entlasten kann, indem man einen Teil der Wiedergabe in die Backline verlagert, hilft das. Und es macht das Erlebnis für das Publikum echter, lebhafter und dreidimensionaler, weil die durch die räumliche Aufstellung gebildete Ortung durch eine PA nicht reproduziert werden kann. Nach ca. 20 Jahren Live- und Studiozeug kann ich das, glaube ich, auch beurteilen. Man hat Herausforderungen bezüglich Abstrahlung ("Laserbeam" einer 4x12...), aber das kann man managen.
Auch im Studio ergibt sich eventuell ein starkes Übersprechen, wenn man live in einem Raum aufnimmt. Hört euch mal die diversen Einzelspuren zur ersten Van Halen an, dann versteht ihr, was ich meine. Dadurch wird das Ergebnis oft auch dreidimensionaler, ehrlicher.
Wie schränken sie uns ein?
Abgesehen von Gewicht und Kosten usw. ergibt sich das Problem, dass Verstärker mit lauten Boxen halt nur laut funktionieren. Klar kann man jetzt mit Abschwächern oder Dummy Loads / IRs arbeiten, aber die meisten IR sind nicht dynamisch, d.h. sie bilden keine Power Compression ab. Und die Abschwächer verändern das Zusammenspiel zwischen Verstärker und Lautsprecher immer. Das Ergebnis und damit Erlebnis ist "live" immer ein anderes als ein JMP auf 11.
Das bedeutet im Endeffekt, dass man einen alten JMP mit 100 W vielleicht nicht zwingend in einem Club mit 50 Leuten artgerecht betreiben kann.
Hierfür gibt es Lösungen in Form von modernen Verstärkern mit weniger Leistung, die aber leider oft falsch konstruiert sind und die Anforderungen unterschiedlicher Endröhren (EL34 ---> EL84) nicht ausreichend beachten und daher die Röhren töten usw.
Zudem hat man dann natürlich auch ein komplett anderes Verhalten der Lautsprecher usw. weil die weniger geprügelt werden. Es geht, ist aber anders.
Moderne Röhrenverstärker
Wenn wir jetzt mal vom JMP Beispiel weggehen und uns modernere Röhrenverstärker ansehen, dann stellen wir fest, dass diese über die Zeit vor allem immer gefilterter und high-gainiger wurden. Die brachialen Urtiere waren eine Zeit lang nicht mehr so gefragt. Dagegen kamen Verstärker wie der SLO, 5150, Recti und diverse andere, modifizierte Geräte (80er Marshall-Modding Szene usw). Dazu wurden die klassischen Verstärker auch gerne ohne Modifikationen geboostet, pre-EQt, im Studio massiv via Pult verbogen usw. Das heißt, man muss sich die Frage stellen, welchen Anteil am Gesamtklang überhaupt noch durch den Verstärker verursacht wird und welcher Anteil durch das ganze andere Zeug drumrum.
Viele mussten schon ernüchtert feststellen, dass ein JCM800 nicht automatisch nach Slayer klingt und ein Bluesbreaker Combo nicht nach Clapton. Eben, weil einiges drum herum fehlt. Und wenn man sich anschaut, was man mit ein paar Halbleiterpedalen und einem Clean - Amp machen kann, dann stellt man sich schon die Frage, ob man das alte Geraffel noch braucht, oder ob man die paar Sachen nicht auch einfach mit Halbleitern oder via Modelling nachbilden kann.
Daher fragt man sich schon:
Warum Röhrenverstärker?
Ganz einfach: Wenn man sich mit einem kleinen Fendercombo oder ... (hier beliebigen anderen analogen Verstärker einfügen) in einen Raum setzt und mit ein paar Effekten, die man zur Verfügung hat, auskommen muss, dann ist das ein ganz anderes Musikmachen als wenn man tausende Verstärker, Effekte und Lautsprecher digital zur Verfügung hat. In vielerlei Hinsicht ist es auch gnadenloser und extrem lehrreich.
Man kann das alles auch ohne Röhren machen. Technisch ist es nicht mehr nötig, Röhren zu verwenden. Ich persönlich finde, es macht einfach ohne das alte Geraffel weniger Spaß. Gut, ich habe auch ca. einen Kubikmeter Röhren hier und ca. noch einmal so viele Teile, aus denen ich mir alles bauen kann, was ich mir so ausdenke, aber selbst wenn ich das Zeug kaufen müsste, würde ich oldschool analog arbeiten wollen. Man muss auch mal darüber nachdenken, dass ein analog erzeugter Klang von so vielen Faktoren abhängt, dass er nicht 1:1 reproduziert werden kann. Sehr nah dran geht, aber 1:1 geht nicht. Das bedeutet, wenn man etwas analog erzeugtes im Studio aufnimmt, ist das eine einmalige Momentaufnahme. Bei einem Modeller ist die Konsistenz gegeben und diese Magie eben nicht.
Ob das gut oder schlecht ist, muss jeder selbst wissen. Sound erzeugen und dann profilieren und damit einfrieren ist wohl ein guter Mittelweg.
Zukunft?
Die Frage nach der Zukunft ist schon relevant. Nicht nur, weil "die Jugend" oft keine klassischen Verstärker mehr benutzt, sondern auch, weil die Verfügbarkeit von Röhren generell nicht selbstverständlich ist. Es ist für mich ein Wunder, dass die Dinger mit RoHS noch produziert werden dürfen und vermute, dass die unterschiedliche Qualität von alten und heute produzierten Röhren auch mit RoHS zu tun hat.
Auch bezüglich Wartung / Reparatur ergeben sich Fragen. Modeller usw. sind Computer, die ein Elektronikreparaturbetrieb, der in der Lage ist, auf Bauteilniveau zu arbeiten, reparieren kann. Röhrenverstärker kann jeder reparieren, der grundlegende Ahnung von der Technik hat. Gut, es gibt auch servicefeindlich aufgebaute Röhrenverstärker, aber die muss man ja nicht kaufen...und an denen verzweifeln die diversen "Amp-Techs" mit Elektronikkenntnissen auf Mindestniveau ja auch schon seit 20 Jahren.
Das Thema Stromverbrauch sehe ich überhaupt nicht so eng. Ein 15 W Verstärker hat keine so hohe Leistungsaufnahme, dass man darüber nachdenken müsste. Bei einem 100 W Verstärker oder gar einem alten Ampeg SVT o.ä. ist das was anderes - da sollte das Studio eine funktionierende Klimaanlage haben.
Daher: Ich glaube, solange es Bauteile für diese Geräte gibt und Leute das Zeug benutzen möchten, wird es das Zeug geben. Man kann die Technik zuverlässig live und im Studio und auch zu Hause einsetzen. Die Hilfsmittel (auch dynamische IR) existieren und es ist ein anderes Erlebnis. Ich empfehle es
Bei mir sind es aktuell im direkten Umkreis 7 Verstärker und da ist alles querbeet dabei. Von Clean (bis heavy crunch) in Stereo mit 2x 6 W (Gegentakt!) über diverse dreckige Blues / Rockmaschinen (Gegentakt, Eintakt...) bis zu mehrkanaligen Verstärkern. Und ein komplett MIDI-gesteuertes Racksystem mit getrenntem Vorverstärker (mit FX Looper) und 50 W Endstufe für alles was 80er Metal Sounds angeht. Alle selbst gebaut und nichts davon ist eine Kopie von irgendwas. Und alles macht extrem Spaß.
Mein Tipp: Ladet weniger Presets und lötet und stöpselt mehr.