Also denken wir in Dur, weil unser Gehirn den ökonomischen Weg beschreitet. Es gibt die Sprachökonomie, warum nicht auch eine Ökonomie musikalischer Grammatik.
Was aber von vornherein klar gewesen ist, weil die Menschen weltweit gleiche Reaktionen bei gleicher Musik zeigen. Demnach muß es eine grundlegende musikalische Grammatik geben.
Etwas traurig finde ich ich die ausufernden Ausführungen, die sich so weit von meinem Thema entfernten, dass es weiter nicht mehr geht.
Musik ist eben immer auch philosophisch, das beweisen die Aussagen hunderter guter Musiker. Allein schon die Wirkung der Musik ist ein Geheimnis, das keiner bisher wirklich knacken konnte. Deshalb ist es stringent, daß so ein Thema sich nicht auf ein paar wenige Sätze beschränken kann.
Wenn du dir mal anschaust, wie viele Seiten in den Musikbüchern der großen Lehrer dazu verwendet wurden, Dur- und Mollterz erklären zu wollen, kann man wohl nicht erwarten, daß das in einem öffentlichen Forum in verkürzter und strukturierter Form anders zu finden ist.
Es ist eben einfach Musik, über die wir reden, und reden über Musik ist ja vom Prinzip her sicher nicht das optimale...
Wieder einmal haben wir bewiesen - so empfinde ich das im Moment - dass die tonikale Musik stets bereit ist, sich selbst zu negieren und aufzulösen.
Also großer Fan und begeisterter Anhänger der atonikalen Musik heißt das nicht, dass ich das bedaure, jedoch sind die offenbar endlichen Grenzen der tonikalen Musik durch Einbeziehung und Emanzipation des Geräuschs sowie aleatorischer Verlaufsformen in diesem Thema sehr deutlich geworden.
Das würde ich so nicht sagen wollen. Tonikale Musik wird sequenzieller, d.h. es werden heute mehrere Tonikas (Tonikae, Toniken) eingeführt.
Witziger Weise zeigt sich hier, dass trotz der Feststellung musikalisch-grammatischer Ökonomie der Trend in Richtung Auflösung der Tonsysteme zu gehen scheint, wodurch die Frage, warum wir in Dur denken, gleich wieder ad absurdum geführt wird.
Das sind zwei verschiedene Dinge für mich. Das eine ist die Harmonik mit einem Tonikabezug oder mehreren Tonikabezügen, und das andere ist klangbezogene Musik, die eben kleine Referenzierung auf einen Ton braucht.
Das Chor-Experiment bezieht sich glasklar auf eine Tonikale Musik, allein schon aus der Tatsache heraus, daß du Vorgaben aus der tonikalen Musik voranstellst und eine
Auflösung verlangst - die kann es in einer klangorientierten Musik strukturbedingt eigentlich gar nicht geben.
Interessanter wäre die Frage, was der Chor macht, wenn ihm frei stünde, irdendeinen Klang miteinander zu schaffen, also auch geräuschhafte Klänge ausdrücklich geschaffen werden dürfen, beispielsweise mit einem SCH oder Z. Doch da sage ich dann schon vorraus, daß es dann rhythmische Strukturen innerhalb des Klanges geben wird - die Beatbox läßt grüßen, um das mal extrem zu verdeutlichen.
Dass die Hörgewohnheiten in der Beantwortung der Frage, warum wir in Dur denken, großen Einfluss auf das Nach-Dur-Auflösen haben, wurde auch festgestellt. Diese Hörgewohnheiten kollidieren wohl auch bei der Rezeption freitonaler Musik.
Diese Aussage kollidiert aber mit deiner Feststellung der Ökonomie einer musikalischen Grammatik, womit du aussagst, daß es erstens eine
musikalische Grammatik gibt und zweitens eine Ökonomie bestehen muß.
Weder die musikalische Grammatik noch die Ökonomie derselben kann man dann auf Hörgewohnheiten zurückführen, sonst ergäben ja dieverse interkulturellen Experimente nicht ein einheitliches Bild.
Hörgewohnheiten sind fürt mich deshalb eher eine Frage, die einer der Stilistik entspringt, nicht aber der grundlegenden Musikalität des Menschen.
Wer nur die Oberflächen hört, kann der KunstMusik ab spätestens der 1950er Jahre nicht mehr folgen. Sie erschließt ja eben nicht mehr allein über das Hören. Die Bschäftigung mit den philosophischen Zugängen, strukturellen Errungenschaften und klanglichen Ausdehnungen wird erst zu einem intellektuellen Verständnis dieser Musik führen. Das Hören allein wohl eher nicht.
Eben. Wenn man es sich nicht
erhören kann, gibt es diese Extremprägung durch die Hörgewohnheiten nicht, ansonsten würde es ja funktionieren, daß der Mensch sich auch in atonale und klangbezogene Musik gewöhnt, was aber offensichtlich eben nicht funktioniert.
Ketzerisch formuliert kam also in diesem meinem Thema heraus, dass die meisten Menschen zu blöd sind anders als in Dur zu hören. Nicht weil sie generell schlecht gebildet sind, sondern weil ihnen die musikalische Bildung zur Rezeption atonikaler Musik fehlt. Daraus ergeben sich Vorurteile, die dann offenbar zu verhärteten haltlosen Standpunkten führen.
Wenn du musikalische Bildung als Ausgangspunkt für atonales Hören vorraussetzt, ignorierst du dabei deine eingangs erwähnte Feststellung der musikalischen Grammatik.
Ich denke, daß die musikalische Grammatik so groß ist, daß der Mensch unweigerlich Dur systembedingt ins Zentrum rückt. Er ist also nicht zu blöd, sondern so schlau, daß er diese Prinzipien ganz automatisch anwenden kann. Um die Automatismen zu überwinden braucht er dann musikalische Bildung.
Es kam hier meiner Einschätzung nach heraus, dass der Normalzustand musikalischer Wahrnehmungsfähigkeit das effiziente, ökonomische Hören ist, welches auf basalen Hörgewohnheiten fußt. Diese zeigten sich ja auch in dem Chorexperiment, obgleich der Chor viel Neue Musik singt und auch einen Cluster als schön akzeptiert. Schönheit allerdings, also die Ästhetik solcher Klänge, ob nun Dur, Moll, 12töniger Cluster oder Geräusch wird von demjenigen definiert, der sie als solche erkennt oder zumindest anerkennt. Ungeachtet der Unterschiede in musikalischer Bildung und Wahrnehmungsfähigkeit hören wir dann aber letztlich offenbar doch in "Dur".
Wiederum: Klänge und Harmonik sind zweierlei.
Wenn du dir die Harmonik anschaust, erkennst du, daß manche Akkorde erst dann wirklich schön klingen, wenn sie in einem harmonischen Kontext stehen. Kein normales Musikstück auf dieser Erde kommt ohne Akkordprogression aus, d.h. es finden immer strukturelle Bewegungen statt. Auch hier findet sich wieder das allgemeine psychologische Relativitätsprinzip, also daß im direkten Vergleich das Delta den Ausschlag gibt und nicht die absolute Position. Deshalb können selbst "krumme" Akkorde in einem sinnvollen Zusammenhang großartig klingen, aber ohne die Referenz eigenartig oder gräßlich klingen.
Klänge hingegen kannst du ohne harmonische Ordnung hintereinanderstellen, allerdings wird dann der rhythmische Aspekt immer mehr in den Vordergrund gerückt, was die andere Ebene der Musik ist und nicht auf Tonalität basiert, sondern auf die Gravität der einzelnen rhythmischen Eckpunkte. Es ist also das reine Zeitraster, das darüber angesprochen wird.
PS. Die nächste Frage wäre: Was brauchen wir eigentlich, um die Kunstmusik des 20. und 21. Jahrhunderts verstehen und "genießen" zu können? Dafür braucht's dann aber ein neues Thema. Weil sonst der schön Schluss hier "versaut" ist!
Da sollte man erstmal klären, was denn überhaupt Kunstmusik ist, und dann speziell, was die des 20. oder 21. Jahrhunderts auszeichnet - ohne die ungeliebten Definitionen wird's sonst ein noch ausufernderes Thema...