Ich weiß nicht, wie du auf so etwas kommst. Wer in wissenschaftlichen Kreisen eine Hypothese aufstellt, ist es auch schuldig, diese entsprechend zu stützen - sei es durch empirische Evidenz, mathematische Logik oder eine andere wissenschaftliche Methode. Ich will das Journal sehen, das dich veröffentlicht, wenn Du einfach irgendwas ins Blaue behauptest.
Na klar muss man die Hypothese irgendwie stützen. Aber die Stütze sieht dabei in der Regel so aus, das z.B. ein proklamiertes Modell zumindest näherungsweise in der Lage ist real beobachtbare Phänomene zu erklären oder vorherzusagen. Das heißt aber noch in keinster Weise, dass das Modell der Wahrheit entspricht. Der 'Beleg' ist in dem Fall wie ich schon erwähnte der praktische Nutzen, bei Modellen halt meist die Vorhersagbarkeit von irgendwas. In der Physik gibt es ja z.B. das logische Problem der Unvereinbarkeit von Quantenmechanik und Relativitätstheorie. Damit ist eigentlich klar, dass zumindest eins der beiden Modelle falsch ist. Trotzdem haben beide einen praktischen Nutzen im Sinne der Vorhersagbarkeit und sind damit wissenschaftlich relevant. Und ich glaube kaum ein Reviewer würde sich trauen eine Arbeit über Quantenmechanik zurückzuweisen mit dem Vermerk: "Ist erwiesenermaßen falsch, weil widerspricht der Relativitätstheorie..." Auch der Reviewer wird die Arbeit aufgrund von wissenschaftlich akzeptierten Annahmen beurteilen, die die bisherige Forschung zur Quantenmechanik hervorgebracht hat.
Es gibt auch immer wieder Forschungsstränge, die einfach im Sand verlaufen, weil sie sich irgendwann als falsch oder unwahrscheinlich herausstellen. Trotzdem sind vorherige Arbeiten dazu natürlich publiziert worden, weil sie unter bestimmten Annahmen für sinnvoll gehalten wurden. Die Stütze für eine bestimmte Hypothese ist in vielen Fällen nicht mehr als ein Gedanken- oder Zahlenspiel, dass vom Reviewer für plausibel und relevant gehalten werden kann, oder eben nicht.
Ich bin mir daher nicht sicher, was du genau meinst. OK, natürlich bringt es dem Individuum nichts, wenn er der eine von 1.000.000 Patienten ist, bei dem ein Medikament nicht wirkt. Aber das ändert dann nichts daran, dass sich die grundsätzliche Wirksamkeit des Medikaments wissenschaftlich begründen lässt.
Medikamente sind da eigentlich ein gutes Beispiel. Es wird ja gerne gesagt, dass Medikament xyz gegen Krankheit abc wirkt. Aber die eigentlichen Zahlen, die dahinter stehen, lassen manchmal schon daran zweifeln, ob so eine Generalisierung überhaupt noch wahrheitsgemäß ist. Es gibt gute Gründe, warum Pharma-Firmen immer noch versuchen zu verhindern, dass entsprechende Studienergebnisse veröffentlicht werden müssen, weil wenn auf einem Medikament draufsteht: "wirkt in 60% der Fälle gegen Krankheit xyz" ist das wahrscheinlich nicht gerade verkaufsfördernd. Es gibt da schon einige Studien, bei denen die Schwellen für "Wirksamkeit" schon sehr gering gewählt sind. Es gibt z.B. Fälle, in denen der Placeo-Effekt (also im Prinzip "der Glaube") statistisch gesehen bis zu 75% der eigentlichen Wirkung ausmacht.
Selbst die Aussage: "Die Wahrscheinlichkeit ist 60%, dass das Medikament bei Individuum a wirksam ist", ist in der Regel falsch, weil es eben nur eine empirische Wahrscheinlichkeit über eine große Gesamtheit ist, die viel zu viele individuelle Merkmale außer Acht lässt.
Dagegen funktioniert Statistik super, wenn man Aussagen über eine Gesamtheit machen will, die ähnlich zu der überprüften Gesamtheit ist, z.B. ist die Aussage "das Medikament wirkt bei einer genügend großen Gesamtheit bei etwa 60% der Individuen" durchaus korrekt und praktisch verwertbar (v.a. im Versicherungswesen, wo man eben nicht mit Individuen rechnet ;-)
Zum Thema Wissenschaft/Glaube: Die grundlegend treibende Kraft des wissenschaftlichen Denkens ist oftmals der Glaube an die Beobachtbarkeit der Wahrheit. Dabei ist mit der Unschärferelation der Beweis eigentlich längst erbracht, dass die komplette Wahrheit zu keinem Zeitpunkt hinreichend genau beobachtet werden kann. Was schließlich bleibt ist der praktische Nutzen, der auch aus einer ungenauen, auf vereinfachenden Annahmen basierenden, Beobachtung entstehen kann.
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Im Internet vielleicht, aber wenn ich in ernstzunehmenden Journals publizieren oder auf Fachtagungen sprechen will, dann muss ich den Artikel einreichen und kann auch abgelehnt werden.
Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass das Urteil der Reviews in ganz erheblichem Maße von der jeweiligen Person abhängt. Wenn es wirklich immer objektiv unumstößliche Belege für bestimmte Annahmen geben würde, könnte das kaum passieren.
Es ist auch in der Vergangenheit durchaus vorgekommen, dass Theorien, die sich hinterher als richtig herausgestellt haben, in der wissenschaftlichen Welt zunächst auf totale Ablehnung gestoßen sind. Ein gutes Beispiel ist die Kontinentalverschiebung (besser gesagt die Annahme, dass Südamerika und Afrika früher einmal verbunden waren), die früher für absurd gehalten wurde, heute aber akzeptiert ist, obwohl es nach wie vor keinen handfesten Beweis dafür gibt, bestenfalls Indizien.