Eingebaut hat sie es ja zunächst von allein - also ungelernt. Es war bereits "in ihr drin". Du warst die Instanz, das Publikum sozusagen, das darauf positiv reagiert und sie bekräftigt hat. Konkret trainert, an einer bestimmten Stelle charmant zu schluchzen, habt ihr vorher nicht.
Das ist richtig.
Es funktioniert umgekehrt meist nicht. Ich hatte mal eine Schülerin, die daran arbeiten wollte "nicht alles plattzumachen" wie sie es nannte. Sie bat mich, ihr Stilmittel vorzusingen um diese dann gezielt durch Nachahmung zu erlernen. Oder wenn ich etwas vorsang sagte sie immer , da sei etwas und wie ich das denn jetzt gemacht habe. Der Unterricht mit ihr war sehr anstrengend für mich, denn auf diese Weise geht es einfach nicht, was sie aber nicht einsehen wollte.
Bei den meisten ist es aber so, daß schon irgendetwas in ihnen ist. Man fängt ja nicht an zu singen, wenn man nicht wenigstens den Funken eines Ausdruckswillens hat. Irgendetwas ist doch da, weshalb man singen möchte. Ich sehe mich dann als Gesangslehrerin als diejenige, die mit geschulten Ohren erkennt, was die Schülerin an Ansätzen in sich hat, um genau das zu verstärken. Das ist ein Lernprozess für die Schülerin. Sie lernt, ihren eigenen Ausdruck bewusst einzusetzen, damit aus ihrem Gesang Musik entsteht und nicht bloss "Gesinge". Daher schrieb ich: Man kann es lernen, weil es ein Lernprozess ist.
Wenn das stimmliche Potential sehr klein ist kann man trotzdem in diesem Rahmen etwas schönes und musikalisches erreichen.
Problematisch wird es, wenn z.B. eine Schülerin sehr hohe Ansprüche hat, ihr Potential aber demgegenüber zu klein ist. Solche Leute neigen dazu, sich zu schwere Songs auszusuchen und die einfacheren für sich zu verachten. Man muss also im Unterricht Kompromisse finden, die aber auch oft darauf hinauslaufen, daß die Schülerin zu schwere Songs eben leidlich zu singen lernt ohne an den eigenen Ausdruck herankommen zu können. Es gibt viele Selbstboykottmechanismen gegen den eigenen Ausdruck. Das ist dann schwierig. Viele versuchen auch, fremden Ausdruck von SängerInnen, die sie bewundern nachzuahmen. Das hat aber zunächst nichts mit dem stimmlichen Talent zu tun. Auch SängerInnen, die viel können bleiben auf diese Weise oft seltsam unberührend, wie man in allen aktuellen Shows erleben kann. Tolle Stilmittel und akrobatische Adlips zu beherrschen heisst noch lange nicht, daß man das "gewisse Etwas" auch nur ansatzweise rüberbringt. Ich hörte dazu neulich den Begriff "Sportgesang". Tja, das ist beeindruckend, muss aber noch lange nicht berühren.
Das "gewisse Etwas" ist etwas zutiefst persönliches, das was niemand anders hat, was nur DICH ausmacht. Die meisten, wenn nicht alle HABEN es in sich und als Gesangslehrerin kann man es erkennen und helfen, es zu kultivieren. Dann ist das "gewisse Etwas" erlernbar. Aber Gesangslehrerinnen sind keine Psychologinnen. Wenn also jemand seinen Selbstausdruck blockiert wir des sehr schwer für uns Gesangslehrerinnen da ranzukommen. Dann bleibt so jemand möglicherweise im handwerklichen stecken.