Insgesamt kann man sagen, dass Du erkennbar über das Anfängerstadium hinaus bist und weißt, wo Du hingreiffen musst. Das klingt schon teilweise ganz ok.
Es ist aber noch nicht wirklich gut.
@Markusaldrich hat aus meiner Sicht schon zwei wichtige Tipps gegeben: Fehlendes Melodiespiel und Pausen zum Atmen lassen.
Diese zwei Punkte und weitere will ich noch etwas weiter (detaillierter - wie bestellt) ausführen.
Du musst Dir zum Lesen allerdings etwas Zeit nehmen. Ich bin halt ein alter Labersack
Du fängst Dein Solo so an als hättest Du es gerade noch in einen Zug geschafft, der bereits schon aus dem Bahnhof los gefahren ist. Der Einstieg klingt für mich daher zu hektisch. Generell solltest Du mit etwas beginnen was die Leute "Aufhorchen lässt". Ein starkes Statement: "Holla, was geht denn jetzt ab ???"
Dein Solo setzt sich in den weiteren 4 Minuten für mich planlos fort und endet dann auch irgendwie unverhofft/unmotiviert.
Und das ist aus meiner Sicht mein wichtigster Tipp: Improvisation heitßt NICHT: "Mal sehen, welchen Ton ich als nächstes spiele .." Ich bin der Meinung, dass man bei jedem Solo (egal wie lange) eine Art Struktur bzw. Logik für sich entwickeln sollte. Das könnte in etwa so aussehen:
Überlege Dir z.B. mit welchem Intro-Lick Du anfängst, in welcher Lage Du Dich in den ersten 8 Takten bewegen wirst, was der Höhepunkt Deines Solos ist, wie Du ein starkes Motiv weiter variieren kannst und (ganz wichtig) wie Du Dein Solo beendest und mit dem Ende, eine (eventuell notwendige) Brücke zum nachfolgenden Part des Songs baust.
Es gibt nichts Schlimmeres für mich als Gitarren-Solos, die wie in einer Glasglocke, ohne Songkontext rein gehämmert sind.
Insgesamt klingt Dein Solo für mich nicht organisch, da keine erkennbare Struktur vorhanden ist und sich auch keine wiederholende, varierende Erinnerungsmotive vorfinden.
Organisch ist für mich, wenn sich ein Solo entwickelt, z.B. in der Dynamik, z.B. dadurch, dass man ein Lick/Motiv abändert, weiterentwickelt ...
Übe einmal gezielt wie Du ein z.B. gutes Lick (1-2 Takte lang) variieren, damit Dein Solo organisch weiter entwickest und steigern kannst!
Mehr Pausen machen! Du bist zu hektisch! Spiele ein Lick und lasse einen Ton stehen (mit oder ohne Vibrato). Danach nur wieder den Groove.
Überlege Dir, wann Du dann wieder einsetzt: Nicht immer auf die 1., sondern zum Beispiel auch einmal vorgezogen, oder SRV-like 2+, oder erst auf die 3.
Übe wie Du Deine Dynamik im Solo variieren kannst: z.B. ein Lick in einer höheren Lage wiederholen.
Lagenwechsel ist eine Methode. Und Variation in den Notenwerte. Ich beginne gerne bei längeren Solis in einer tiefen Lage und beende das Solo in einer sehr hohen Lage. Das ist eine Form wie man Struktur und Dynamik in das Solo reinbekommt.
Ich glaube, Du solltest Dir auch noch mehr Standard-Bues/Rock-Licks drauf schaffen, um mehr Abwechslung in Deinem Spiel drin zu haben.
Da musst Du dann aber Tonarten/Skalen lernen.
Wenn Du Skalen kannst und weißt, auf welche Akkorde man welche Skalen spielen kann, dann kriegst Du auch noch mehr Farbe/klangliche Abwechslung in Dein Spiel.
Bei meiner letzten Aufnahme "Brothers In Arms" (Tonart Gis-Moll) verlässt MK beim Dis-Moll Akkord die Tonart des Songs und wechselt in die Dis-Moll Tonart.
Das klingt einfach sehr stark. Ich vermute einmal, dass MK das nicht eingefallen wäre, wenn er nicht auch ein solides Musiktheorie-Fundament hätte ...
Wenn Du Dich mehr mit Musiktheorie (Skalen/Aufbau von Akkorden) beschäftigst, könntest Du die zugrundeliegende Akkordprogression etwas näher "analysieren". Die Töne dieser Akkorde sind sehr starke Noten für Dein Solospiel.
Je näher Du Dich am Solospiel an den Akkorden orientierst, desto "melodischer/wohlklingender/abwechslungsreicher" wird Dein Solos sein. Ich spiele gerne entlang bzw. nahe der Akkordprogression. Manchmal aber auch nur in der Tonart des Songs. Kommt halt auch auf den Song an.
Du spielst sehr viele 1/8 Noten. Wenn dann ein Lick-Wechsel in 1/16 Noten kommt, hört sich das sehr unmotiviert und des öfteren im Timing unsauber an.
Bringe mehr Rhythmik in Dein Spiel! Das hängt auch mit den mehr Pausen zusammen. Triolen sind auch ganz schön.
Dein Vibrato ist ausschließlich in 1/16 Noten: Triolen oder 1/8 Noten würden in dem Backingtrack auch gut klingen und für Abwechslung sorgen.
Ich persönlich stehe auf Solos, die (auch) eine Melodieline haben. Das vermisse ich bei Dir. Das können manchmal nur 3 verschiedene Töne sein, die man variiert oder in verschiedenen Lagen spielt.
Wiederholungen - Wiederholungen - Widerholungen ---> Du hast keine und denkst vermutlich: "Klasse Solo! Hab' mich in keinem Takt wiederholt, da ich immer was anderes gespielt habe". Doch Du dadurch hast Du beim Zuhörer genau das Geneteil erreicht: der hat nach 30 Sekunden abgeschalten.Wiederholungen gefallen dem Gehör! Der Zuhörer empfindet Wiederholungen auch als bedeutend oder sogar logisch ...
Eine besondere Art Aufmerksamkeit zu kreieren sind "arhythmische" Wiederholungen:
Überlege Dir z.B. ein ein 6/8 Lick mit 1/16 Noten, welches sich in einem 4/4 Takt wiederholt, um dann nach 4 Durchgängen wieder auf der 1. des 4/4 Taktes zu landen (weiß nicht, ob ich das verständlich ausgedrückt habe).
Du spielst häufig horizontal auf 2 Saiten. Das ist zwar auch ok. Warum aber so wenig vertikale Licks ? (von tiefer E-Saite zur hohen E-Saite in einer Lage).
Ich würde mir als nächstes ein viel kürzeres Solo vornehmen: 16 bis maximal 32 Takte und versuchen, diesem Solo eine Struktur zu verpassen.
Ich mache das so, dass ich - so wie Du - zunächst auf einem Solopart längere Zeit "rumnudele". Ich finde dann meisten ein paar Licks/Motive, die ich dann später als Ankerpunkte in das Solo einbaue. Beim "Rumnudeln" fällt mir dann auch ein, in welcher(n) Lage(n) das Solo abläuft. Ein guter Ein- und Ausstieg sind ebenfalls wichtig.
Und jetzt bin ich - nach so viel Wortschwall - meinem Image als alter Labersack wieder voll gerecht geworden ...
Wenn was Hilfreiches für Dich dabei war, würde es mich sehr freuen. Mach' weiter und nehme Dich regelmässig auf!
Nächtliche Grüße aus Franken - wolbai