Das ist noch ein relevanter Punkt: Die Stadt-Land-Differenz. Als Jugendlicher in einer kleinen Kleinstadt (20.000 Einwohner wenn man alle Eingemeindungen mitzählt) war es so, dass man in den (immer hin zwei!) Musik-Geschäften der Stadt exakt keine E-Gitarren erwerben konnte. Es gab eine Musikschule, aber da war neben Klassik nur ganz viel Blasmusik angesagt.
Wenn ich also als hoffnugsvoller Gitarrist eine E-Gitarre kaufen wollte, dann musste ich also den Trip (45-60 Minuten mit dem Auto) in die nächst grössere Stadt hinbekommen, wo es "richtige" Musik-Shops gab. Und auch da... wurde ich beraten (mehr oder weniger), aber Gitarren für mich als Lefty hatten die damals (wie heute auch) aber wenig bis keine. Also - dort "bestellt", gewartet, irgendwann kam der Anruf, hingefahren, bezahlt, und das war's dann. Meine Fender Strat habe ich genau so gekauft, ohne Anspielen, ohne irgendwas, es gab sie für Leftys damals in schwarz, rot oder sunburst.
Das schwarze Teil ist seit 1994 oder so "meins", und auch wenn ich aus heutiger Sicht einige Dinge anders gekauft hätte... der Effekt "das ist jetzt meins weil bezahlt und die ist top und ne bessere/andere kriege ich nicht und zurückgeben kann ich sie auch nicht mehr" ist nicht zu unterschätzen. Es musste halt funktionieren mit der. Wenn ich also "heute" lese, ob man mit einem halben Millimeter mehr/weniger Sattelbreite oder einer Nummer mehr/weniger beim Bunddraht, oder lieber 11er statt 10er Saiten, oder ein etwas schlankerer Hals oder etwas weniger Radius oder oder oder ... nicht "viiiiiiiiel besser" sein könnte, da kann ich immer nur müde lächeln.
Ich finde es super, dass es heute diese Transparenz und Vielfalt gibt, keine Frage! Sie wird aber eben oft auch zum sich-verstecken hinter irgendwelchen imaginären Equipment-Unzulänglichkeiten.
Zurück zur Gitarre: Die war qualitativ super (war halt auch ne US "American Standard"), bis auf die Pickups bzw. deren Verschaltung, da war dieser komische Tone Circuit drin. Irgendwann (knapp 2 Jahrzehnte später...!) ist das originale Pickguard rausgeflogen (liegt wegen Originalität noch im Schrank!) und wurde gegen ein neues mit anderen Pickups ersetzt. Der Hals war schlank und ist es noch, und ein Refret war mal fällig, aber tolles Teil nach wie vor. Auch, weil ich sie halt so lange kenne.
Ebenso die Reso im Avatar - 1993 "blind" in den USA gekauft, alle Ersparnisse draufgehauen, ohne Testbericht und Reviews und irgendwas - einfach basierend darauf, dass National Reso-Phonic bei den relevanten US-Shops damals im Programm war und für gut befunden wurde. Abenteuerliche internationale Geldüberweisung (wer hatte in DE damals eine Kreditkarte, also meine Eltern nicht), ewig warten, Zoll, usw. ... dann war sie endlich mein! Beste Entscheidung ever! Nach 25 Jahren mal generalüberholt (neuer Cone, neue Nut, Bünde wieder hübsch machen), die hat noch 20 Jahre bis mal ein Refret sein muss.
Wenn ich dagegen sehe, wie lange und intensiv heute manche Menschen hier ihren "Findungsprozess" für eine erste Gitarre, oder eine erste "richtige/teurere" Gitarre machen, und wie viel Modelle es anzustesten gibt, und dieses ewige Gefühl dass da vielleicht doch noch ein "besseres" Modell irgendwo ist, diese ewige Suche und das Streben nach "mehr" oder "besser" oder "anders" ... naja, eine Faser meines Hirns sagt da schon "mei, kauf halt eine von denen, schlecht sind die alle nicht, und dann spiel' halt mal".