Ich möchte von diesem ganzen Geschmacksdings runter.
Nicht deshalb, weil ich finde, dass objektiv feststellbar wäre, ob eine coverversion genau so gut, schlechter, besser oder übertrieben ist und genau so wenig weil ich finde, dass man objektiv den Wert von Musik feststellen könnte.
Sondern weil ich es für unsinnig halte, sich über ein Thema zu unterhalten oder es zu diskutieren, wenn man sich von vorne herein darauf einigt, dass alles Geschmacksache ist. Damit kann man meinethalben Poesiealben füllen oder Fangruppen gründen und sich innerhalb dieser mächtig gegenseitig abfeiern. Gibt´s ja alles - beispielsweise im Fußball oder wenn man halt Fan einer Band ist.
Das ist mir aber eine zu dünne Suppe für eine Diskussion. Was meine ich denn nun eigentlich damit?
Damit meine ich, dass es beispielsweise Sinn macht, sich an Konzepten wie kongenialität heranzumachen. Da ist man dann gezwungen, sich mit dem song, seiner eigenen Interpretation des songs, des textes, der Haltung auseinanderzusetzen - und man ist gezwungen, zu begründen und zu argumentieren, Belege zu finden, sich auszusetzen.
Beispiele?
Aber gerne: Nehmen wir den Klassiker "With a little help of my friends" im Original von den Beatles, als cover von Joe Cocker. Erhebliche Änderungen, vom 4/4 auf 3/4-Takt, Cocker singt und interpretiert das alles, Beispiel Woodstock-Version, wesentlich expressiver, emotionaler, am Abgrund stehend quasi. (Ich spare mir hier das Verlinken, weil das alle kennen werden, vermute ich mal, oder es halt alle schnell finden können, falls nicht.)
Ist das kongenial?
Aus meiner Sicht: eindeutig ja. Es ist eine eigene Interpretation eines schon guten songs, in sich stimmig, überzeugend und das Original wahrnehmend, ja in seiner Substanz erkennend, es zu einem neuen Leben bringend.
Wie geht es dem TE damit? Ich spreche ihn hier besonders an, weil erstens die Änderungen, auch die gesanglichen, hier sehr deutlich sind und weil zweitens Cocker auch stimmlich in seiner Interpretation dem Original etliche Schnörkel, Wendungen, Steigerungen hinzufügt. Ist das das Hauptkriterium oder geht es darum - egal, wie man dies nun im Einzelfall begründen mag - ob dies "gerechtfertigt" ist im Sinne einer Stimmigkeit?
Ich nehme diesen Faden noch mal auf in meinem zweiten Beispiel - und diesmal ist es andersrum, quasi: Das Original "Personal Jesus" von Depeche Mode ist expressiver, das Cover von Cash reduzierter. Auch hier vertraue ich allgemeine Bekanntheit bzw. das Video ist für youtube geperrt - es funktioniert aber auch bei dem song "Hurt", den Cash coverte, Original von Nine Inch Nails.
Hier die Fassung von Cash:
Okay - alles sehr ruhiges Fahrwasser, vermute ich einmal, im Sinne von "kongeniales cover" - obwohl man sich natürlich füglich darüber auseinandersetzen kann, dass es hier erhebliche musikalische und gesangliche Abweichungen gibt. Cash reduziert gesanglich stark - ist diese Reduktion "übertrieben"?
Aber was ist nun mit diesem Cover des gleichen songs?
Übertrieben? Warum und an welchen Stellen genau? Und ist das nun kongenial oder nicht? Immerhin: man kann es nicht einfach darauf schieben, dass hier ein anderer kommt und sich etwas Fremdes aneignet, was der nicht versteht - denn es ist von Nine Inch Nails featuring David Bowie. Und man wird wohl füglich unterstellen dürfen, dass erstens NIN wissen, was sie mit dem eigenen song meinen und zweitens wissen, wer David Bowie ist und wie sein Einfluss auf diese Interpretation ist - und ein- zweimal werden sie ihn schon gespielt haben ...
Trotzdem schlimm und geht nicht - im Sinne von übertrieben? Oder reine Geschmacksache? Und warum ist es in diesem Fall reine Geschmacksache?
Und was ist mit der Version von Sherryl Crow?
Übertreibt sie es gesanglich? Was daran ist übertrieben und warum?
Ich will das jetzt nicht zu einem Monsterpost werden lassen, aber eins will ich hier noch einfügen, weil es bislang noch gar nicht auftauchte. Nämlich ein künstlerisches Herangehen, das in der Verfremdung liegt. Und ich greife hier zu niemand geringerem als Bob Dylan, der seine eigenen songs immer wieder bis zur Unkenntlichkeit (oder Kenntlichkeit?) verfremdete, gerade weil ihm der Anspruch des Publikums, es hätte quasi das Recht, vom Künstler sein "Original" zu verlangen, als Inanspruchnahme oder Inbesitznahme des Künstlers vorkam - ihm war die Vorstellung, dass man etwas "kennen" und damit "bestitzen" würde, zutiefst zweifelhaft wenn nicht gar zuwider - und er wollte nicht dazu beitragen, dass sich Künstler und Publikum in einträchtigem Abfeiern des Wiedererkennbaren betrügen. Seine Verfremdungen - so viel oder so wenig sie musikalisch oder gesanglich "angenehm", "übertrieben" oder "stimmig" waren - hatten immer den künstlerischen Wert der "Brechung", der "Verfremdung" und damit die Aufgabe, sich mit etwas auseinanderzusetzen, statt es zu konsumieren.
Ist das okay, weil ein künstlerischer Anspruch dahinter steckt? Oder weil es Bob Dylan himself macht? Und im anderen Fall ist es verwerflich oder gehört unter die Brille "Geschmack" gepackt?
Es geht hier nicht darum, Geschmack oder gar eine individuelle Meinung oder Haltung zu diskreditieren - überhaupt nicht. Es geht mir darum, sie anhand von Kriterien wie kongenialität, begründbar zu machen - gerade um darüber in einer Art und Weise reden und diskutieren zu können, die mehr ist als ein "gefällt mir" - "gefällt mir nicht" / "finde ich übertrieben" - "ich nicht".
Herzliche Grüße
x-Riff