Warum Gesang auf Deutsch hart klingt, und wie man das (mögl.) vermeiden kann

Ich bin nicht überzeugt, dass die deutsche Sprache grundsätzlich (zu) hart klingt. Viele Gedichte Heines wurden.B. vertont, weil er eben so "musikalisch", fließend dichten konnte.
Zum Beispiel... :great: :



Inwieweit deutschsprachiger Gesang im popularmusikalischen Bereich rein klanglich aufgeht
:m_git_a:, ist sicher auch eine Frage des Miteinanders von Text und Musikstilistik :



Michael
 
Ich habe mal von einer Sprachwissenschaftlerin in anderem Kontext erklärt bekommen, dass Deutsch eine der Sprachen mit den meisten Varietäten über die verschiedenen Akzente und Dialekte hinweg sei.
Das glaube ich dir, den auch Englisch hat eine riesige Vielfalt an Aussprachen, die vom Klang her - wenn man nicht versteht, was gesagt wird - wie unterschiedliche Sprachen wirken. Mit Dialekt oder Mundart hat das nichts zu tun; wenn ein Englisch-Muttersprachler einen klassischen Englischen Text - z.B. die Bibel, die U.S. Unabhängigkeitserklärung oder ein Kochrezept - vorliest, läßt er sich sofort grob einordnen als Engländer, Schotte, Ire, Waliser, Nordamerikaner oder Australier. Wer genauere Kenntnisse der Phonetik hat, unterscheidet leicht zwischen Nord-, West- und Südenglisch oder zwischen Hochöand- und Tieflandschottisch, sowie Nordireisch und Südirisch. Und er erkennt, das ein vermeintlichetr Australier eben Neuseeländer oder Südafrikaner ist. Letztendlich kann der Experte einen Leser noch genauer eingrenzen.
Da kann man unmöglich behaupten, Englisch wäre weich, hart, melodisch, monoton oder sonstwie. Deutsch auch nicht. Wie ich schon sagte: "wissenschaftliche" Büttenredner sollte man nicht zu ernst nehmen. Wobei in diesem Fall die Anführungszeichen um "wissenschaftlich" durchaus angebracht wären.
Cheers,
Jed
 
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Da kann man unmöglich behaupten, Englisch wäre weich, hart, melodisch, monoton oder sonstwie. Deutsch auch nicht.

Sehe ich auch so, letztlich stellt sich mir aber auch jetzt die Frage, inwieweit das für Musik von Bedeutung ist, bzw. welche Schlüsse man daraus zieht.

Wenn z.B. jemand das Bedürfnis hat, in seinen Texten Anliegen auszudrücken, die ihm wichtig sind und er das eben am besten in sener Muttersprache kann - dann sollte er das auch tun, unabhängig davon, welche Konsequenzen das hat.

Eine Konsequenz wäre: Erfolgschancen im nicht-deutschsprachigen Ausland gleich Null (wobei das - ich schrieb es schon - eher historische/politische Gründe hat als den "Härtegrad" der Sprache).

Für den Binnenmarkt wiedrum stellt sich die Frage nach dem "Härtegrad" eigentlich nicht, denn der Muttersprachler empfindet die eigenen Sprache wohl kaum als "zu hart klingend", zumindest nicht grundsätzlich. Da kommt es dann einfach auf die Dicht- und Sangeskunst an, wie "hart" oder "harmonisch" das Ergebnis klingt, möchte ich behaupten.
 
eher historische/politische Gründe hat als den "Härtegrad" der Sprache


Ich gebe dir recht, dass das nichts mit dem Härtegrad zu tun hat. Aber dass es politische/historische Gründe hat, glaube ich nicht, weil....


Eine Konsequenz wäre: Erfolgschancen im nicht-deutschsprachigen Ausland gleich Null.

Diese Konsequenz trägt (fast) jeder, der nicht auf Englisch singt. Man kann nicht gerade behaupten, dass Italiener, Spanier, Franzosen, Kroaten, Griechen, Skandinavier usw ständig internationale Hits in ihrer Landespsprache liefern.

Natürlich gab und gibt es immer Ausnahmen und kurze Hypes: Alle paar Jahre ein Ethno- oder ein spanisch/lateinamerikanisch anmutender Sommerhit. Der Italo-Pop der 60er bis 80er, vermutlich befeuert, weil Italien lange Zeit des Deutschen liebstes Urlaubsziel war. Aber seit Eros Ramazotti ist mir mein kein neuer Italo-Star mehr vorgestellt worden. Von Jovanotti, Laura Pausini und Nec hab ich noch gehört, aber richtig gerissen haben die hier auch nichts.

In den 80ern gab es auch eine Handvoll französische Künstlerinnen, die hier in Landessprache ein paar Hits hatten (Voyage Voyage, Etienne, Jo le Taxi ....). Umgekehrt ging das ebenso: Tokyo Hotel hatten in Frankreich einen Riesenerfolg, die jungen Fans konnten alle Songs auf Deutsch mitsingen.

Aber im Regelfall ist es doch eher so, dass Künstler, die in ihrer Landessprache singen, eher selten über die Grenzen heraus eine größere Popularität erreichen. Unabhängig vom Klang ihrer Sprache.

Einen Unterschied zu Deutschland gibt oder gab es zumindest dennoch. In vielen anderen Ländern wird sehr viel mehr Musik in der Landessprache gehört und gesendet als hier. Als ich in den 90ern häufig in Rom zu tun hatte, wurde eigentlich ausschließlich eigene Musik im Radio/TV gesendet - die einzige Ausnahme war Madonna, die lief auch dort.
 
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Aber im Regelfall ist es doch eher so, dass Künstler, die in ihrer Landessprache singen, eher selten über die Grenzen heraus eine größere Popularität erreichen. Unabhängig vom Klang ihrer Sprache.

Einen Unterschied zu Deutschland gibt oder gab es zumindest dennoch. In vielen anderen Ländern wird sehr viel mehr Musik in der Landessprache gehört und gesendet als hier. Als ich in den 90ern häufig in Rom zu tun hatte, wurde eigentlich ausschließlich eigene Musik im Radio/TV gesendet - die einzige Ausnahme war Madonna, die lief auch dort.

Das ist in Spanien genauso. Im Radio und TV laufen ungleich mehr nationale Produktionen als internationale. Und dass kaum einer ausserhalb der Landesgrenzen sie kennt, wundert mich nicht im geringsten. Die meisten Popsongs sind furchtbar! Die vermeintlich "schönere" Sprache rettet da auch nix.
 
Viele Gedichte Heines wurden.B. vertont, weil er eben so "musikalisch", fließend dichten konnte.

Na ja, das Argument kann man auch umdrehen:
Es ist schon ein Genie wie Heine nötig, um musikalisch fließende Dichtkunst in deutscher Sprache hervorzubringen.
 
Na dann - da brauchst du dich nicht mit deutschen Texten quälen, die du schlimm findest, weil du sie verstehst, oder englische Teste, die du schlimm findest, weil du sie nicht verstehst!
Egal ob Pop, Klassik, Folk, Jazz, Crossover oder was es sonst noch gibt - in jedem Genre gibts wunderbare Instrumentalmusik ...
Cheers,
Jed
Wieso so radikal? Ich steh halt auf Musik, die irgendwie ins Ohr geht - aber natürlich sind Texte auch wichtig. Es gibt ja nicht nur das eine und das andere Extrem, also Entweder-Oder.
 
Es ist schon ein Genie wie Heine nötig, um musikalisch fließende Dichtkunst in deutscher Sprache hervorzubringen.

*hust*
Ich schätze Heinrich Heine (zumindest einige seiner Bücher) schon sehr, aber sooooGenie war der gute Mann nun auch nicht. Er konnte "nur" mit symbolischen Wortspielen oder archetypischen Mustern glänzen (heros Prinzip).
Aber würde ich jetzt auch nicht so arg hochfeiern.
Mir fallen durchaus auch modernere Sprachkünstler ein, die, freilich affektiert in/an unsere "Modernsprech" Ausdrucksweise angepasst sind, aber dennoch diese "Fuck, is das geil!" Lyrik haben....

Ichmeine, Heine vertonen ist nicht das Problem. Die Frage ist dann, ob die Zuhörer diese "Melange" auch verstehen?

Fliessende Dichtkunst resp. "prosa-Lyrik" (Klang-Silbik) und entsprechendes Pendant im musikalischen zu finden...... hmm, viel Erfolg :-D

lg
 
Mir fallen durchaus auch modernere Sprachkünstler ein, die, freilich affektiert in/an unsere "Modernsprech" Ausdrucksweise angepasst sind, aber dennoch diese "Fuck, is das geil!" Lyrik haben...

Hm, die Erfahrung konnte ich bisher noch nicht machen - Du sprichst schon von Musik, oder? Beispiele?
 
aber sooooGenie war der gute Mann nun auch nicht

Da antworte ich mal mit Nitzsche, den ich als Philosoph zwar nicht besonders mag, aber im Falle Heines hat er Recht:

"Den höchsten Begriff vom Lyriker hat mir Heinrich Heine gegeben. Ich suche umsonst in allen Reichen der Jahrtausende nach einer gleich süssen und leidenschaftlichen Musik. Er besass jene göttliche Bosheit, ohne die ich mir das Vollkommene nicht zu denken vermag, – ich schätze den Werth von Menschen, von Rassen, darnach ab, wie nothwendig sie den Gott nicht abgetrennt vom Satyr verstehen wissen. – Und wie er das Deutsche handhabt!"


Mir fallen durchaus auch modernere Sprachkünstler ein, die, freilich affektiert in/an unsere "Modernsprech" Ausdrucksweise angepasst sind, aber dennoch diese "Fuck, is das geil!" Lyrik haben....

Wie wär's mit Rio Reiser - auch ein Sozialträumer und Revoluzzer wie Heinrich Heine



Bei Junimond zB - finde ich - wechselt RReiser passend zur Musik zwischen "weicheren" und "härteren" Formulierungen (nach bereits genannten Kriterien, Frikative, Silbenstruktur usw)


Die Welt schaut rauf zu meinem Fenster
Mit müden Augen, ganz staubig und scheu
Ich bin hier oben auf meiner Wolke
Ich seh dich kommen, aber du gehst vorbei


Doch jetzt tut's nicht mehr weh
Nee, jetzt tut's nicht mehr weh
Und alles bleibt stumm
Und kein Sturm kommt auf
Wenn ich dich seh


Es ist vorbei, bye, bye Junimond
Es ist vorbei,
Es ist vorbei, bye, bye


Doch jetzt tut's nicht mehr weh
Nee, jetzt tut's nicht mehr weh
Und alles bleibt stumm
Und kein Sturm kommt auf
Wenn ich dich seh


Es ist vorbei, bye, bye Junimond
Es ist vorbei,
Es ist vorbei, bye, bye


Zweitausend Stunden hab ich gewartet
Ich hab sie alle gezählt und verflucht
Ich hab getrunken, geraucht und gebetet
Hab dich flußauf- und flußabwärts gesucht

Doch jetzt tut's nicht mehr weh
Nee, jetzt tut's nicht mehr weh
Und alles bleibt stumm
Und kein Sturm kommt auf
Wenn ich dich seh

Es ist vorbei, bye, bye Junimond
Es ist vorbei,
Es ist vorbei, bye, bye
Es ist vorbei, bye, bye Junimond
Es ist vorbei,
Es ist vorbei, bye, bye
 
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Beim Mitlesen dieser Diskussion ist mir plötzlich noch ein Name eingefallen: Nina Hagen. Vor allem die erste Scheibe, mit der sie in Westdeutschland berühmt wurde. Ich weiss nicht mehr, ob die einen Titel hatte oder einfach nur "Nina Hagen" hieß (ich meine die LP mit ihrem Konterfei in groß, mit Punkfrisur und ´ner Fluppe im Mund). Jedenfalls ist es doch undenkbar, dass sie da eine andere Sprache als Deutsch singt. Selbst "Ich glotz TV", das eigentlich eine Coverversion von "White punks on dope" von den Tubes ist, klingt so, als wäre der Song nie in einer anderen Sprache als der deutschen (mit Berliner slang) gesungen worden, so lässig und selbstverständlich kommt das rüber.
 
Ja, klar .... ist halt schon etwas her.
Aber die Platte ist der Hammer (heute noch!)
 
Aber die Platte ist der Hammer (heute noch!)

Ich höre sie mir gerade mal wieder an und empfehle jedem, der sie nicht kennt, es mir gleich zu tun. Als hätte ich sie gestern das letzte Mal gehört, dabei ist es bestimmt 30 Jahre her. Zum einen dieser unschlagbar facettenreiche Gesang, aber auch die Texte, der Humor, der Sound, die abwechlungsreichen Arrangements. Das ist alles so geilo.
 
Zum einen dieser unschlagbar facettenreiche Gesang

Absolut! Die Hagen ist in der Lage, ein einzelnes Wort wie eine eine Hardrockgöre anzufangen und wie eine Operndiva zu Ende zu bringen. Man merkt bei ihr, das das Raue in der Stimme nicht "hartverdrahtet" ist, sondern bewusst an der Stelle eingesetzt wird, um einen Effekt zu erzielen. Welche heutige SängerInnen haben mehrere Stimmen im Köcher? Mir fällt nur Rhiannon Giddens ein.

Und übrhaupt: Texter und Komponisten mögen talentiert und kompetent sein, aber das Lied zündet erst, wenn der richtige Sänger es vorträgt.
Vorhin hatten wir das Beispiel Heine. Ich bin bei Nietsche, wenn er meint, dass Heine's lyrischen Texte schon von sich aus - ohne Noten - singen. Aber bezeichnenderweise wurde das YouTube-Beispiel von Fischer-Dieskau gesungen - weniger gute Baritone (und da nehme ich mich nicht heraus) sind durchaus in der Lage, ein Lied wie "Mai" ins durchschnittliche herabzuziehen!

Und zum "harten" Kern des Thread zurückzukommen: gute sänger können die "Härte" einer Sprache abschwächen, wo es nötig ist.

Cheers,
Jed
 
Und zum "harten" Kern des Thread zurückzukommen: gute sänger können die "Härte" einer Sprache abschwächen, wo es nötig ist.

Das zum einen, zum anderen kann man - wenn man es will und die notwenidgen "Skills" hat ... - eben auch beim Texten darauf achten.

PS:
(...) der Sound, die abwechlungsreichen Arrangements. Das ist alles so geilo.

Stimme zu. Und: Nina Hagen Band - Nina Hagen = Spliff.

Spliff hatten meiner Meinung nach ebenfalls (auch ohne Nina) eine Ausnahmestellung. Top-Musiker, viel Kreativität, schräge bis zeitlose Texte, krasse Produktionen. Die waren echt am Puls der Zeit, bzw. im Kontext deutscher Musik weit voraus, bzw. in einer eigenen Liga.

Überhaupt waren die späten 70er/frühen 80er eine Zeit, in der deutsche Musiker sich etwas trauten und im Ergebnis etwas machten, was tatsächlich so etwas eine eigene Identität hatte. Leider wurde irgendwie alles unter "NDW" gepackt und vermarktet - und als die NDW nicht mehr hip war, verschwand mit ihr leider auch vieles andere wieder, was weit mehr Potential hatte als "Ich will Spaß, ich geb Gas" oder "Hohe Berge".
 
Nina Hagen ... alt simma g´worden ...
 
damit kommen wir zu Hubert von Goisern: "Heast as nit (wie d'Zeit vergeht)"
 
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