Ich bleibe dabei, die Zwölftonmethode ist alles andere als einschränkend. Ich persönlich finde die Wahl einer Tonart mit all ihren Konsequenzen zum Beispiel wesentlich einschränkender.
Da betont der Meister selbst, wie hart die Einschränkungen der Zwölftontechnik sind und Du beharrst auf Deiner Meinung.
Die Wahl einer Tonart ist selbstverständlich eine große Einschränkung, führt man sich vor Augen, daß der Mensch innerhalb der Oktave noch viel mehr Töne unterscheiden könnte. (Übrigens wäre es auch hier wahrnehmungspsychologisch unsinnig, würde man bei einer Komposition z.B. von Millionen theoretisch möglicher Tönen ausgehen. Sie könnten nicht wahrgenommen werden (siehe
Anhang) auch wenn sie praktisch durch Elektronik realisiert werden könnte. Musik in einer Tonart lebt ja geradazu davon, sich einzuschränken, mit großen Vorteilen!
Wenn man schon die Zwölftonmethode mit der Wahl einer Tonart vergleicht, so sollte man die beiden Ordnungsprinzipien, die hinter diesen Konzepten stehen, miteinander vergleichen. Bei Wahl einer Tonart, ich gehe von der Heptatonik aus, ist die Auswahl der Töne ja nicht etwa willkürlich. Es werden sozusagen die "beliebtesten", "harmonischsten" innerhalb einer Oktave ausgewählt. Noch "harmonischer" wären übrigens die Töne der Pentatonik, die ja auch in der Heptatonik enthalten sind. Deshalb ist die Pentatonik (bei Anfängern) so beliebt zum improvisieren. Es treten zwischen den Tönen dieser Skala keine wesentlichen Dissonanzen auf. Wegen ihrer Einfachheit basieren auch viele Kinderlieder und einfache Melodien afrikanischen Ursprungs und vieler anderer Kulturen auf der Pentatonik.
Gesteigerte musikalische Ansprüche (Gewöhnung, Abnutzungseffekt, auftretende Langeweile) verlangen nach Erweiterung. Diese kann die Heptatonik bieten, indem sie zwei weitere Töne einführt, die möglichst harmonisch zu den fünf der Pentatonik passen. Soll der Tonraum aufgrund höherer Ansprüche noch mehr erweitert werden, so kommt man, wegen der Eigenschaften der Quint und Terz (die ersten neuen Töne der Naturtonreihe) unweigerlich auf das Zwölftonsystem, welches heute weltweit mit Abstand die größte Rolle spielt. Grundsätzlich erfolgt auch hier die Wahl der zusätzlichen Töne aufgrund des Strebens nach einer optimierten Konsonanz und sogar die gleichstufige Stimmung haben wir diesem Streben zu verdanken.
Die Geschichte ist noch nicht zu Ende. Es existieren vielerlei Bestrebungen, den Tonraum innerhalb einer Oktave zu erweitern. "Blue" Notes sind sehr populär geworden, ekmelische Töne (z.B. Naturseptim) finden Verwendung, Vierteltöne, Mikrotonalität in den unterschiedlichsten Arten.
Was macht nun die sog. "atonale" Musik und die "Zwölftontechnik"? Sie möchte eine tonale Wirkung verhindern und verwendet dazu ausgerechnet die zwölf Töne, die sich aus harmonischen Gründen in der europäischen Musik entwickelt hatten. Mit diesen Tönen macht man dann "unharmonische" Musik, denn die harmonischen Zusammenklänge der tonalen Musik sind ja verpönt und werden gezielt vermieden (Der freiere Berg setze dennoch in der Reihe des Violinkonzerts
Dreiklangsfolgen ein. Er war weniger streng als Schönberg und Webern.)
Es überrascht nicht, daß eine auf diese Weise "konstruierte" Musik es viel schwerer hat, Harmonie und positive Gefühle auszudrücken. Sie eignet sich eher für negative Gefühle, wie z.B. Schmerz, menschliche Abgründe, Vernichtung, Orientierungslosigkeit, Gleichgültigkeit, Chaos usw, wie besonders am Werk der Neuen Wiener Schule vielfach abzulesen ist.
Es wird ja das harmonische Ordnungsprinzip verlassen, das Orientierung verleiht, das auch viel leichter ermöglicht, eine Übersicht über größeree Zeitabschnitte zu behalten, das verhindert, daß man sich allzusehr so fühlt, als befände man sich in einem dichten Wald, wie Fürtwängler es ausdrückt (Furtwängler und Hindemith (Zitate) wurden im Thread erwähnt, sind nicht "irgendwelche Autoritäten" und sie stehen natürlich nicht allein.)
Werden wahrnehmungspsychologische Erkenntnisse in der o.g. Musik auf andere Weise als durch harmonische Gesichtspunkte berücksichtigt, hat das sogleich einen entsprechend positiven Effekt (z.B. durch Tonwiederholung, kurze Motive, die in anderen Lagen wiederholt werden, Beschränkung auf wenige Intervalle usw.). Beispiele (Eisler, Lutoslawski) wurden früher besprochen.
Wenn Du Dich informieren willst, dann greife zum "Lehrbuch der Zwölftontechnik" von Eimert oder noch besser "Serial Composition" von Reginald Smith Brindle...
Gemach, gemach, ich habe auch Schriften von seriellen Komponisten gelesen, Eimert und Stockhausen waren dabei (schon lange her) und ich werde bei Gelegenheit auch gerne die von Dir angegebene Literatur lesen (danke für die Angaben!). Allerdings, wird man den Wahrheitsgehalt aller Religionen nicht durch den Papst und seine Kardinäle erfahren, wenn ich das einmal so ausdrücken darf. Ich habe meine Aussagen immerhin viel mehr belegt als Du Deine und sie finden sich ähnlich in vielen Büchern und vielen anderen Quellen. Bei Gelegenheit kann ich gerne noch mehr Zitate nachschieben, wenn Dir meine Quellen nicht gut genug sind. Belegen läßt sich das leicht, ist eben nur mit Aufwand verbunden, der hier wahrscheinlich nicht honoriert wird. Es wird dann nämlich einfach gesagt, ich solle die Quellen weglassen und direkt meinen Standpunkt vertreten. Ich möchte allerdings nicht auf den Vorteil verzichten, wenn weltweit anerkannte Musiker gut passende Bilder für meine Empfindungen und Gedanken gefunden haben.
Das Zitat von Reginald Smith Brindle kann ich durchaus nachvollziehen. Selbstverständlich kann man mit Reihentechnik auch tonale Effekte erzeugen. Doch genau diese versuchte die "Neue Wiener Schule" normalerweise zu vermeiden. Wenn Brindle der Unterscheidung zwischen Dissonanzen und Konsonanzen seitenweise Raum gibt, ist das zu begrüßen, überrascht andererseits auch nicht. Meine Kritik soll ja eher da greifen, wo die Konsonanz fehlt, von mir aus die relative, oder Konsonanz und Dissonanz nicht mehr plausibel verbunden werden oder . Letzteres muß selbstverständlich nicht nur im Rahmen der gängigen Harmonielehren geschehen, auch als "atonal" oder gar "Reihentechnik" einzustufende Musik kann dies leisten. Der von mir besprochene Lutoslawski ist ein Beispiel dafür.
Du würdest Dich auch sehr irren, wenn Du der Meinung anhängen solltest, daß ich sog. "atonale" Musik, Reihentechnik, elektronische Musik, Geräuschkollagen prinzipiell ablehnen würde. Das hat alles seinen Platz (sogar bei mir) und ein Künstler mit großer Gestaltungskraft kann praktisch aus allem etwas aussagekräftiges machen, wenn ihm nicht zu sehr die Hände gebunden sind. Nur ist nicht alles gleich gut für bestimmte Dinge geeignet.
Es ist nun einmal so: Die meisten Menschen hören Musik, weil sie emotionell etwas erleben möchten. Musik, die positive Gefühle enthält ist da i.d.R. beliebter. Ein wichtiges Symbol hierfür ist die Harmonie. Das Unterforum hier heißt Harmonielehre und es finden sich viel Bücher zu dem Thema. Es ist wenig überraschend, daß Titel wie "Disharmonielehre", "Unstimmigkeitslehre" oder "Die Lehre von der Orientierungslosigkleit" usw. kaum vorkommen. Das liegt natürlich nicht an "
meiner Wahrheit".
Zum den Tonwiederholungen in der "Zwölftonmusik": Grundsätzlich ist ja vielfach von einem Wiederholungsverbot zu lesen. Mir war auch bekannt, daß es weniger streng (evtl. gar nicht) gilt, wenn der gleiche Ton sofort wiederholt wird, hatte aber im Moment nicht daran gedacht. Ich begrüße es ja, daß ein Ton, wie bei Eisler gleich vier Mal hintereinander gespielt wird. Je öfter er wiederholt wird, desto mehr hebt er sich von den anderen "gleichberechtigten" Tönen ab. Das unterstützt die Wahrnehmung einer Struktur. Dies würde weiter unterstützt, wenn auch andere Töne betont werden. Und wenn sie dann noch in einem harmonischen Verhältnis zueinander stehen, wird die Struktur noch viel leichter wahrgenommen. Für den anspruchsvollen Hörer sollte es natürlich nicht zu einfach sein. Aber ich denke es ist zu nachvollziehbar, was ich meine.
Zum 19tönigen Tonanagramm von Berg: Er wählte die Töne eines melodischen Geschehens nicht nach künstlerischen Gesichtspunkten aus, sondern weil die Töne in Vor- und Zunahme der "Neuen Wiener Schule" enthalten sind. Musikalisch gesehen ist das willkürlich. Wie ich schon des öfteren erläuterte, versucht der Hörer Strukturen in der Musik zu erkennen. Er könnte beim o.g. melodischen Geschehen lange rätseln, warum Berg gerade diese Töne verwendete, wenn er den Grund nicht kennt. Bei 19 Tönen könnte man ja durch aus ein System vermuten. Es steckt ja auch eines dahinter: Eine recht lange Botschaft, die nur Eingeweihten verständlich ist.
Die Verwendung des Tonanagramms b-a-c-h durch andere Komponisten kann musikalisch auch schon angezweifelt werden, ist bei vier Tönen, (eigentlich "unmögliche"), aber noch viel eher akzeptabel. Sie sind leicht zu merken und auch in anderen harmonischen Zusammenhängen leicht wiederzuerkennen.
Dort war ich noch so freundlich, nicht auf die Geschmacklosigkeit des von Dir gebrachten Vergleiches hinzuweisen.
Geschmacklos finde ich Deinen unkritischen Lobgesang auf das so "wunderbare" menschliche Denken angesichts der vielen äußerst katastrophalen Folgen menschlichen Denkens und daraus erfolgenden Handelns. Nein! Es ist Segen und Fluch. Wer wollte das ernsthaft bestreiten?
Das Thema durchzieht schon die älteste Literatur und ist heute aktueller denn je.
Nach allem ist offensichtlich, das es Dir nicht um Wahrheit und Wissensfindung geht, sondern um Deine Wahrheit, die Du (Gott weiss warum) um jeden Preis behalten willst.
Du irrst und dieser Vorwurf wäre bei Dir angebrachter. Mir geht es um Wahrheits- und Wissensfindung und zwar insbesondere um solcher, die eine hohe Allgemeingültigkeit hat. Deshalb interessiert mich das Studium der Natur und das der natürlichen Grundlagen der Musik so sehr, gegen die Du ohne überzeugende Gründe "wetterst". Dein Vorwurf, ich würde nur "meine" Wahrheit suchen, fällt auf Dich selbst zurück.
Sollen "
viele Leute" ruhig
"Musikrichtungen lieben", die ich in ihrer Konzeption für fragwürdig halte. Ich toleriere das und sage dazu: "Wo die Liebe hinfällt."
In Donaueschingen ist es normal, daß die dort aufgeführte Musik meist zum ersten und letzten Mal erklingt. Liebt vielleicht manchmal nur der Komponist seine Musik? Der Hörer möchte aber, daß nicht nur der Komponist seinen Spaß hat, sonder auch er selbst.
Es ist offensichtlich, daß Musik, welche die Gesetze der menschlichen Wahrnehmungsmöglichkeiten gut berücksichtigt, weltweit viel mehr geliebt wird. Musik ist dann wirklich von Bedeutung, wenn Menschen Strukturen erkennen und diese, in mehr oder weniger abstrahierter Form, mit ihrem Leben in Verbindung bringen können.
Viele Grüße
Klaus
P.S.: Ich schätze durchaus Deine Sachkenntnis auf manchen Gebieten und bin Dir dankbar, wenn Du mich auf Ungenauigkeiten, von mir aus auch auf Qualitätsmängel, hinweist. Ich schrieb sehr viel und da kann nicht alles so perfekt sein, wie ich es mir selbst wünsche.
Anhang
Wieviele Töne innerhalb einer Oktave wahrgenommen werden können, hängt von der Tonhöhe und der Lautstärke ab.
Abhängigkeit des gerade noch wahrnehmbaren Tonhöhenunterschieds in Cent zwischen Tönen unterschiedlicher Lautstärke (in dB) und Höhe (in Hz; nach Pierce 1992, S. 142). Je lauter und je höher zwei Töne sind, desto besser kann man den Unterschied hören (im Bereich bis 2000 Hz). Im Bereich von 125 Hz beispielsweise können zwei leise Töne (jeweils 20 dB) einen halben (Halb-)Ton (d.h. 50 Cent) auseinanderliegen und dennoch nicht als verschieden gehört werden, denn die "jnd" liegt hier bei 52 Cent. (jnd: just noticable difference)
Frequenz (Hz) - Lautheit
_____________________________________________________
-------------------- 20dB - 40dB - 60dB
_____________________________________________________
125 ---------------- 52 ---- 43 ---- 27
250 ---------------- 22 ---- 18 ---- 17
500 -----------------12 ------9 ----- 6
1000 ---------------- 7 ------ 6 ----- 6
2000 -----------------4 ------ 3 ----- 3
Zitiert auf S.61 in:
"
Musik im Kopf: Hören, Musizieren, Verstehen und Erleben im neuronalen Netzwerk (Broschiert, 2006) von Manfred Spitzer (468 S.)