Einige gute Fragen:
- Wenn keine grossen Innovationen mehr getätigt werden, warum sind die Entwicklungskosten dann so hoch?
Bei einer Workstation hast du verschiedene Komponenten, die ineinander greifen. Beispiel: du nimmst dir als Hersteller vor, dass du den Sequenzer überarbeitest. Da Teile des Sequenzers aber in der Regel auch für andere Funktionen innerhalb der Workstation benötigt werden - z. B. den Arpeggiator oder die Funktionen zum Abspielen von Demosequenzen - zieht die Änderung am Sequenzer möglicherweise noch viele andere Anpassungen nach sich. Anderes Beispiel: du nimmst dir vor, die User-Experience zu verbessern und gestaltest das UI um. Bei einem reinen Synthesizer hast du vielleicht 10 Screens, die das betrifft. Bei einer Workstation sind es 100, die in sich und Modus-übergreifend (Single/Multi/Sequenzer/Smaple-Edit/Master/etc) konsistent sein müssen.
- Gäbe es teure, neue Bedienungs-Konzepte, die man einführen könnte, ohne die bisherige Nutzerschaft zu vergraulen?
Natürlich gäbe es die, aber es ist nicht sicher, dass diese den bisherigen Konzepten überlegen wären und akzeptiert würden. Ein Weg wird sein, ähnlich dem Automotive-Sektor das Hardware-Interface zu reduzieren und auf externe Geräte (Phone und Tablet) auszulagern. Halte ich selbst jedoch für problematisch, wenn auch fancy. Aber man merkt ja schon an viel gewöhnlicheren Konzepten, dass "neuer" nicht immer "besser" bzw. "akzeptierter" heißen muss. Möchte ich unbedingt einen Touchscreen in einer Workstation? Bieten die Mehrkosten auch den Mehrwert? Geht der Servicebedarf dadurch in die Höhe? Leidet die Lesbarkeit des Displays? Versteht es jeder? Hält es 10 Jahre in schimmeligen Proberäumen durch? Sowas änderst du nicht mal eben so. Und wenn einmal in den Köpfen festsitzt, dass etwas "schwer zu bedienen ist", hast du ganz andere Sorgen.
- Kann man ein Instrument noch stabiler machen, wenn die verbauten Bauteile und Komponenten bereits langjährig in der Wirtschaft erprobt sind?
Meist sind es ja durchaus Standardkomponenten, Ausnahmen sind das Gehäuse und ggfs. spezialisierte Chipsätze. Aber "noch stabiler" wird mit "höheren Produktionskosten" einhergehen und zu einer längeren Haltbarkeit des Produktes führen, was nicht die erste Priorität eines Herstellers ist. Ob ein Produkt jetzt nach 5 oder 7 Jahren anfängt, Probleme zu bereiten, ist dann ziemlich egal. Es gibt kritische Bereiche, in denen spezielle Komponenten vorgeschrieben sind (Medizin, Militär etc), aber im Consumer-Bereich kannst du das vergessen. Es zahlt niemand.
- Wird an Sounds noch gross entwickelt, wenn der Kundenkreis das Bewährte vorzieht?
Der Markt bestimmt es. Du kannst morgen einen stinknormalen Wurlitzer-Patch rausbringen, verkaufst ihn aber als "Happy-Pharrell-Wurly". Du wirst Käufer finden, die das Ding für ihre Top40 oder Alleinunterhalter-Kapelle brauchen und dir 10 Euro zahlen. Und solange das so ist, ist das Bewährte aus Sicht des Anbieters völlig ausreichend.
- Wenn ein Sequencer wie der QY-700 damals gut war und in die Motif-Reihe eingeflossen ist, kann man sich dort noch nach oben steigern
Das Thema "Onboard-Sequencer" ist durch. Und zudem zu vielfältig. Der eine will einen Stepsequencer, der andere kann damit nichts anfangen. Ständig fehlen Funktionen, die "selbst Freeware XY" kann. Ich persönlich brauche keine Features zum Erstellen von Songs am Gerät. Ich will einen absolut timingstabilen Player, der meine vorbereiteten Sequenzen zur MIDI-Clock synchronisiert abspielt. Aber das wollen außer mir vielleicht nur sehr wenige, andere wollen dafür eine Piano-Roll. Das Thema ist zu groß, zu speziell, zu aufwändig und daher für den Hersteller lästig.
- Wenn die breite Masse, welche bestimmt, was entwickelt wird, keine Features mehr sieht, die noch entwickelt werden könnten, bleiben wir dann stehen auf einem technischen Stand, der eher 'Retro' ausgerichtet ist?
Wenn die Masse retro will, ja.
- Sind bestehende Infrastrukturen so teuer geworden, dass sich ein neues Projekt kaum noch lohnt?
- Werden Vertriebswege komplizierter?
- Hat die Kaufkraft des Benutzerkreises rapide abgenommen? (Das könnte ich mir angesichts von Wirtschaftskrisen mit 'Plausibel' erklären)
Der Vertrieb ist heute ein anderer, aber ich würde nicht denken, dass er komplizierter ist (aber das kann ich nicht wirklich bewerten). Die Kaufkraft hat eher zugenommen, jedoch auch der Aufwand für Entwicklung. Und somit auch das Risiko, mehr Geld zu verbrennen.
- Fliesst das ganze Investment am Ende bloss ins Marketing? (Das Marketing eines super-soliden-, aber auch eines von der Nutzergruppe gewünschten, eher 'altbackenen' Gerätes?)
Ich hoffe es, denn damit verdiene ich mein Geld.
Aber im Ernst: es fließt heute viel mehr ins Marketing. Und das Geld fehlt natürlich in Entwicklung und Produktion, ganz klar. Du musst jedes Jahr zu NAMM und Musikmesse "Innovationen" verkünden, um die Leute bei Laune zu halten. In den meisten Fällen hast du aber - Nichts. Und dann muss das Marketing ran, um aus minimalen Verbesserungen neue Key-Features zu schnitzen. Wenn man das weiß, fährt man völlig entspannt auf Messen oder erst gar nicht hin.
Tim