Sind das 4 unabhängige Bias Potis? Warum macht das eigentlich nicht jeder amp-bauer so?
Die meisten machen es wohl so - und machten es bereits anno domini schon so (Gibson, Fender, Marshall, ...) - weils einfacher und billiger ist, als separate Biaspotis für jede einzelne Endröhre zu verbauen. Ich jedenfalls (dem kein technisch vorteilhafter Aufwand zu gross wäre) mache es so, weil nach meiner Erfahrung ein Amp mit vier 'etwa gleich starken*' Endröhren einfach besser klingt, als ein Amp, bei dem vier manchmal sehr unterschiedlich starke Endröhren per Einzelbias zur Abgabe gleicher Ruheströme im Leerlauf gezwungen werden.
Man bedenke auch, dass die Biaseinstellung der Endröhren lediglich eine 'statische' Voreinstellung ist, die absolut garnix darüber aussagt, wie sehr die Röhren bei Ansteuerung dann letztlich verstärken. Dynamisch selektieren tut niemand - zumindest nicht amtlich bzw. technisch korrekt - denn das erfordert ca. 200 Endröhren, um darin vier Stück zu finden, die sowohl statisch (Bias) als auch dynamisch (im Betrieb unter Aussteuerung) gleich sind. Und das sind sie dann auch nur anfangs innerhalb der ersten 50...100 Betriebsstunden
Ferner wird mir wohl niemand erzählen wollen, dass TAD, TT, usw. 60...70% ihrer Endröhren wegwerfen, weil sie daraus keine Duette und Quartette zusammenbekommen, die sowohl statisch, als auch dynamisch absolut zusammenpassen (was auch garnet nötig ist, aber dazu später mehr*)
Ich messe und selektiere seit nunmehr über 20 Jahren Röhren und habe im Verlauf dieser Zeit mit eigens entwickelten Messapparaturen meine Technik dabei zusehends weiter verfeinert. Das Ergebnis meiner Erfahrung aus dieser Zeit ist einfach: Endröhren, die bereits beim (statischen) Ruhestrombedarf relativ gleich sind, weichen auch im dynamischen Betrieb nicht so weit in ihrer Verstärkung voneinander ab, wie unterschiedliche Röhren, die man per Einzelbias zu gleichen Ruheströmen gezwungen hat - sofern...
... sofern man bei der Messung und Selektion noch einen weiteren (und von vielen vernachlässigten) Parameter mit einbezieht. Den vom Anodenstrom isoliert betrachteten Schirmgitterstrom!
Und den kann man halt mit all diesen Bias-Ride oder wie diese Sockeladapter sonst noch genannt werden nicht isoliert messen
Wer schon mal Barkhausen offenen Geistes durchgekaut hat weiss, dass das Schirmgitter bei Endpentoden quasi das 2. Gaspedal ist. Oder nachvollziehbarer: Wenn ich jetzt vier Endröhren mit gleichen Anoden-
Ruheströmen, aber unterschiedlichen Schirmgitter-
Ruheströmen habe, dann weiss ich zwar, dass mein Ausgangsübertrager nicht einseitig in eine Vorsättigung fährt und dass die Endstufe die Restwelligkeit der Versorgungsspannung auscancelt, also
nicht in Eigenbrumm umsetzt. Aber ich weiss auch (sofern oben erwähntes Wissen vorhanden), dass die Endstufe ganz gewiss nicht symmetrisch verstärken wird.
Also was brauchen wir?
Richtig! Endstufenröhren mit relativ gleichen Anoden-Ruheströmen
UND relativ gleichen Schirmgitter-Ruheströmen (zumindest paarweise gleich)
Nur dann habe ich auch im dynamischen Betrieb eine Verstärkungssymmetrie der Endstufe, die mit unterschiedlichen Endröhren, die per Einzelbias zu gleichen (statischen) Ruheströmen gezwungen wurden
niemals erreicht werden kann!
Hoffe hiermit die obige Frage: "Sind das 4 unabhängige Bias Potis? Warum macht das eigentlich nicht jeder amp-bauer so?" erschöpfend beantwortet zu haben - und gleichzeitig hiermit wieder mal eine kostenlose Lesson an andere Ampstricker geliefert zu haben
(*) "etwa gleich stark" deshalb,
weil meine Erfahrung mich gelehrt hat, dass eine Endstufe mit sowohl statisch, als auch dynamisch gleichen Endröhren und vielleicht noch dazu eine auf grösstmögliche Symmetrie getrimmte PI-Stufe vielleicht einem HiFi-Amp zur Ehre gereichen würde, in einem Gitarrenamp jedoch kalt und steril klingt. Eine gewisse Asymmetrie
muss in eine Gitarrenendstufe rein, damit der Sound überhaupt 'Laune' macht! Asymmetrie sowohl statisch, als auch dynamisch, denn nur dann produziert die Endstufe das überaus musikalische K2 - die erste Oktave über den Grundnoten - dazu, was zu erheblichen Teilen für den 'Schmatz' und das 'Sing' einer gutklingenden Gitarren-Endstufe verantwortlich ist.
In der Vergangenheit habe ich ungezählte Marshalls und Fenders untersucht, gemessen und dokumentiert. Insbesondere aber jene, die mir durch ihren 'aussergewöhnlich guten' Sound aufgefallen sind und sich dadurch von den 'nur guten' hörbar abhoben. Ich habe da nicht nur Spannungen und Ströme, sondern auch Toleranzabweichungen relevanter Komponenten (Widerstände, Kondensatoren, Übertrager) und insbesondere auch die 'Ungleichheit' der Endröhren sowie die 'Asymmetrie' der Treiberröhre gemessen und dokumentiert.
Bei den aussergewöhnlich gut klingenden Amps zeigte sich immer wieder eine sowohl DC-mässige, als auch AC-mässige Asymmetrie der Endstufein in etwa vergleichbarer Ausprägung und Richtung. Hatte ich dann feinst gematchte Endröhren in den Amp eingesetzt, und/oder eine auf Symmetrie ausgemessene Treiberröhre, und/oder sogar 'den einen' offensichtlich weit am Toleranzende liegenden Widerstand gegen einen mit 'korrektem Wert' ausgetauscht, war oftmals der Charme des Ampsounds dahin
Und ja - bis zur Jahrtausendwende war ich tatsächlich ein Verfechter symmetrisch ausgemessener Treiberröhren, habe sogar die PI durch parallele Trim-Widerstandes an den Anodenwiderständen unter Zuhilfenahme des Oszilloskopes auf absolute Symmetrie gematcht, die Endstufenröhren auf weniger als 2% Abweichung zueinander sowieso...
... bis mir durch das stetige Messen an und Vergleichen mit 'Den Guten Alten Archetypen' endlich DAS LICHT aufging
Ergo: Eine gewisse Asymmetrie muss rein in die Endstufe, sowohl AC-mässig, als auch DC-mässig - man muss dabei wissen, wieviel Asymmetrie 'hier' nicht überschritten werden darf, damits nicht wieder ins Gegenteil kippt - und man muss wissen, wieviel Asymmetrie 'dort' die vorige wieder aufhebt oder unterstützt...
... und genau nach diesen Erkenntnissen messe ich heute meine Treiberröhren bewusst nach einer gewissen Asymmetrie aus dem Bulk heraus, ebenso wie ich seitdem gezielt 'etwas schräg ausgemessene' Quartette in die Amps einsetze - und hierbei wären mir vier separate Biaspotis eher hinderlich als hilfreich
Larry