Tieftonsüchtiger;4810930 schrieb:
leute ich liebe euch, ein wort über röhren- und transistorverstärker und ihr könnt euch 52 seiten lang fetzen
das ist einfach großartig!
habt ihr zuviel zeit oder so, leute? die zeit, in der ihr über so einen quatsch diskutiert, der schon mindestens DREISSIG jahre polarisierendes thema ist, hättet ihr einfach mal gitarre spielen können und hättet was vernünftiges, effizientes und produktives gemacht. genau deswegen bin ich in letzter zeit so selten auf dem musiker-board. wenn nur noch gefachschustert und nicht mehr gespielt wird, brauche ich keine musik mehr zu machen.
Das is was dran, allerdings muss man auch mal ehrlich zugeben, dass der normale Musiker eigentlich mehr rumpalabert, Bier trinkt und klugscheißt, als Musik zu machen. Das kennen wir doch alle. Nichts bietet mehr Diskussionsstoff, als "gepflegte" Themen um die Röhren, Mischpult, EQs am Biertisch. Das ca. 80% der Argumente dabei immer höchst subjektiv sind, stört seit 60 Jahren niemand. Ich glaube aber, dass gerade diese Diskussionen dazu beitragen den Horizont zu erweitern und auch mal anderes zu probieren.
Daher ist mir prinzipiell das Thema "Röhren oder Modeller" hier etwas zu einseitig aufgerollt. Hier geht es eigentlich nicht darum, wer welchen Verstärkertyp spielt - darauf zielt die Modeller-Fraktion ja immer ab. Für sie ist das alles hier nur eine Frage der Technologie und das begründet auch warum ihr einen solchen Modeller spielt. Natürlich kann ich meine Gitarre auch über ein Küchenradio verstärken und notfalls beim Gig an die PA hängen. Vielleicht ist das ja mein Sound. Wäre halt auch nur ein anderer Verstärker - der nebenbei gesagt sehr eigenständig ist und nix kopiert. aber wie gesagt: Darum gehts doch gar nicht!
Worum gehts dann: Ja, wenn das in 2 Worten gesagt wäre, wäre der Thread nach 3 Posts beendet gewesen. Prinzipiell gesehen stehen hier 2 Arten von Musikern gegenüber. Ein richtig oder falsch gibt es nicht, auch kein besser oder schlechter. Diese doch eher rationelle Darstellungsweise wäre den Modellern am liebsten, funktioniert aber nicht mit der Einstellung der Röhrenfraktion und kann deshalb nicht fruchten.
Hier gehts auch ganz sicher NICHT um Fortschritt: Der Modeller stellt ganz sicher nicht die Krönung der musikalischen Technikentwicklung dar - auch nicht in 10 Jahren! Wer einmal mit einem richtigen Synthesizer(park) arbeiten durfte, weiß was (moderne) TECHNIK ist. Da schaut man doch eher mitleidig auf den Gitarristen mit seinem "Playmobil"-Equipment und 3 Kabeln. Auch wenn der Modeller hier als vielseitiges Mittel dargestellt wird, ist er doch sowas von beschränkt in seinem musikalischen Wirken, dass ich dies nicht als Argument gelten lassen möchte. Wenn wir also schon von Vielseitig reden möchten, müssen wir das im großen Maßstab und nicht vom Hahn im Korb.
Des weiteren müssen wir ja auch mal zugeben, dass wir eine recht veraltete Instrumentengruppen nutzen: Wir spielen mit Saiten, die sich noch mechanisch bewegen müssen und rosten. Das ganze wird sehr uneffizient über Magneten in Strom umgesetzt und dann noch über normale analoge Kabel weitergegeben. Zudem ist das ganze Instrument noch aus Holz, einem Naturstoff, der keine idealen Eigenschaftten aufweist. Also beileibe nix, was ansatzweise mit der "Reinheit" der digitalen Ära mithalten könnte. Und trotzdem halten wir daran fest.
Es gibt halt viele idelle Gründe, warum Leute Röhre spielen oder bestimmte Gitarren nutzen. Hierfür gibt es keine logischen Argumente, die alle überzeugen. Wenn das so wäre, würden ja alle genau diesen einen Verstärker und eine Gitarre spielen. Die Fraktion Röhre ist eher puristisch veranlagt und setzt auf "Hardware". Ein Modeller ist ja quasi nur eine Software zum Anfassen. Diese auf "Hardware-Setzen" ist auch in der Synthecke bekannt und hat nach wie vor viele Anhänger. Her spielen ganz unterschiedliche Herangehensweisen eine Rolle: einige können nicht mit nem Sequenzer, den anderen geht der ganze Mousekram nur tierisch auf den Sack.
Ähnliches findet man auch bei Gitarristen: Ich finde zB Multieffekte einfach nur grässlich: ich möchte für jeden Funktion an einem Effekt einen Regler, den ich auch im Dunkeln finde. Ich möchte keine Menüs durchblättern oder mit 20 Knöpfen hantieren. Ich spiele lieber am Ton und am Amp und muss mich nicht in 20 Presets flüchten, die mir angeblich Kreativität bescheinigen sollen. Die Herangehensweisen um Kreativität zu entwicklen, sind sehr vielfältig. Die einen brauchen eben eine Batterie aus Effekten, um was neues zu kreiieren, den anderen reicht eine Akustikgitarre. Wobei letzteres kein Schiedsweg Röhren<->Modeller sein soll/muss.
Die Röhre hat für mich immer noch die klare Aussage: "Reduce it to the maximum".
Diese Einstellung lässt sich wirklich schwer darstellen, ist aber weit verbreitet. Man reduziert quasi bewusst bestimmte Werkzeuge, um ein Maximum an Kreativität zu fördern. Ein gutes Beispiel waren vor ca. 20 Jahren die 64k-Intros auf dem C64, die man glaube auch bis heute programmiert. Dabei geht es bewusst darum diese Beschränkung als Kreativ-Katalysator zu nutzen. Das macht dabei den Reiz der Sache aus. Ähnliches gilt zB für monofone Synthesizer oder Stepsequenzer. Man bewegt sich also bewusst auf der Fortschritts-Skala herunter, um wieder einen Schritt weiter zu kommen und nicht selten ist aus genau diesem Ansatz innovatives entstanden. Das Bewegen an der Basis ist der Weg für Neues!