Der letzte Punkt ist extrem interessant! Vor allem, wenn du seit Jahren im Bandkontext die Dinger benutzt. Schwer, teuer, empfindlich, rauschen, vorglühen, "Mindestlautstärke", heikel bei den Impedanzen, ...
Ich hatte scheinbar recht. Bestimmte Praxiserfahrungen fehlen Dir. Auch wenn das schon zweimal beantwortet wurde - vielleicht muß man bestimmte Dinge einfach wiederholen, damit sie verstanden werden.
"Schwer": liegt eher an den Speakern und dem Gehäuse. Ein Tweed Deluxe, ein Peavey Classic 30, ein Vox AC 15 etc. ist für jedern Teenager problemlos tragbar. Auch Topteile kommen selten über 20 kg. 4x12" Boxen schon eher.
"Teuer": ist schon beantwortet. Ich besitze 3 Vollröhrenamps, die gebraucht 250, 280 und 750 Euro gekostet haben. Der erste wird z.Zt auf Ebay für 800 Euro gehandelt, der Zweite für 500, der dritte wird in den nächsten Jahren auch eher teurer als billiger werden. Das sind eher Kapitalanlagen als Kostenfaktoren. Kleinst-Röhrenamps sind heutzutage unter(!) 100 Euro zu bekommen.
"empfindlich": Es gibt nicht wenig Röhrenamps aus den 50er, 60er, 70er Jahren, die immer noch funktionieren, trotz langer Bühnenkarriere. So empfindlich kann die Technik also nicht sein. Mein Kitty Hawk ist irgendeinem Vorbesitzer dermassen runtergeknallt, daß das Gehäuse gebrochen war. Der Amp funktioniert. Keine Frage der Technik, eher der Verarbeitung. Billige Platinen, die nachlässig verankert werden sind naturgemäß empfindlicher als handverdrahtete Innenleben auf eyelet-Boards.
"Rauschen": Im High-Gain Bereich sicher. Bis in den angezerrten Bereich hinein wirst du bei 2 meiner Amps kaum Rauschen feststellen. Der dritte rauscht. Bei Tube-Thomsen habe ich mal angefragt, ob man das beseitigen kann. Antwort: das ist konstruktionsbedingt. Lass das bleiben, jede Veränderung macht den Sound kaputt. Es gibt auch jede Menge Modeler die rauschen. Je mehr gain, je mehr Rausch. Die Ursache liegt nicht in der unterschiedlichen Elektrotechnik.
"Vorglühen": Ja. Ich schalte meinen Amp an, wenn ich den Übungsraum betrete. Oder live vor dem Soundcheck. Und? Zuhause schalte ich ihn an und spiele los. Und?
"Mindestlautstärke": Auch keine Frage der Technik, eher der Hörpsychologie. Leise Klänge klingen dünner. Das liegt an der Art, wie unser Gehör funktioniert. im HiFi-Bereich gibt es dafür "Loudness-Regler", um genau diesem Effekt entgegenzuwirken. Mein 18-Watt-Amp klingt bei Zimmerlautstärke gut. Mein 50-Watter bei Konzertlautstärke. Der 30 Watter eigentlich immer. Wer sich einen 100Watt Röhrenamp mit 4x12 ins Schlafzimmer stellt, sollte nochmal nachdenken. Auch das keine Frage der Technik, sondern falscher Dimensionierung.
"Impedanzen": Verstehe ich nicht. 8-Ohm Box in 8-Ohm Ausgang und fertig. Jeder meiner Amps ist, ohne den geringsten Schaden zu nehmen, im Laufe seines Lebens von mir schon mal versehentlich mit der falschen oder sogar ganz ohne Last gefahren worden.
Was Du vielleicht andeutest: für jemanden, der wirklich überhaupt nicht weiss, was er tut und auch nicht drüber nachdenken will, ist ein Modeler betriebssicherer als ein Röhrenamp. Aber wenn beim User die Firmware "Brain 1.0" installiert ist, sollte das alles kein Problem sein.
Was ich WIRKLICH als Argument gelten lassen würde: Viele Röhrenamps, die ich kenne, müssen heiß sein, um ihr klangliches Optimum zu erreichen. Nach einer halben Stunde (oder manchmal auch nach einer) wird aus einem eh schon guten Amp plötzlich ein Monstrum. Der Gitarrist kriegt ein Rohr, spielt sich in Trance...und dann ist das Konzert vorbei. Das hätt ich oft gern ab der ersten Minute. Aber diesen "WOW...was geht denn JETZT ab???" -Effekt mitten im Gig mag ich irgendwie auch nicht missen.
Und das ist eben der Unterschied zwischen "einen Röhrenamp spielen" und "einen Röhrenamp hören". Solange du selbst nicht die Erfahrung hast, wie ein guter (!) Röhrenamp sich beim Spielen anfühlt und wie er die Spielweise des Gitarristen beeinflußt, weisst du logischerweise überhaupt nicht wovon ich rede. Und da Du nicht das Bedürfnis hast, die Erfahrung zu machen, spielt das auch keine Rolle.
Ich kann von mir nur sagen, daß bislang jeder meiner Versuche, aus einem Modeler einen "Blackface einfach" zu holen, gescheitert ist. Weniger klanglich, das klappt ganz gut - aber ich habe nie das Gefühl, einen Amp zu spielen. Eher, als würde jemand für mich spielen. Das trifft aber - das muss ich fairerweise dazu sagen - auch auf extrem viele RÖHREN-Amps aus der aktuellen Produktion zu, namentlich besonders ENGL, HK und MESA-Boogie. Viele, die ich getestet habe, klingen für mich genau so indirekt und künstlich wie Modeler.
Scheinbar erfolgt die klangliche Annäherung von beiden Seiten: wenn ich von "Röhrenamp" rede, dann meine ich hauptsächlich Vintage-Konzepte, mit relativ weichen, mittenlastigen Sounds und mässiger Verzerrung. Einen Rectifier zu modeln ist möglicherweise (!) deswegen kein Problem, weil der Rectifier diesen Sound gar nicht hat. Die für mich entscheidenden Charakteristiken meiner (!) Amps kann dieser Amp nicht bieten. Dafür kann er fast so klingen wie ein Modeler. Ob das Spielgfühl ein anderes ist, kann ein Video aber auch nicht wiedergeben.