Dr. John Mortensen ist einer der Klavierprofessoren auf YouTube, die ich immer wieder gern ansehe. Er hat etliche Videos über die richtigen Bewegungen am Klavier gemacht. Dadurch bin ich auf ihn aufmerksam geworden. Er macht diese Videos in erster Linie für seine Studenten, aber wir anderen können ebenfalls davon profitieren. Hier geht er noch einmal darauf ein, wie man sich am Klavier verletzen kann.
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Er beschreibt darin auch seine eigenen Erfahrungen mit den KlavierlehrerInnen, die er von Kindheit an hatte. Die meisten von ihnen nennt er „clueless“, also ahnungslos, was die richtigen Bewegungen am Klavier betrifft. Das trifft wahrscheinlich heute noch für viele zu, aber vor Jahrzehnten war das vermutlich noch schlimmer. Das kann ich nicht beurteilen, weil ich als Kind keinen Unterricht hatte, aber wenn ich von meinen LehrerInnen in der Schule ausgehe, von denen die meisten auch nicht viel Ahnung hatten, nehme ich mal an, Klavierunterricht war da keine Ausnahme.
Eine junge Frau, die ich vor einigen Jahren traf – sie hatte da gerade Abitur gemacht – berichtete darüber, dass ihre Klavierlehrerin, eine russische Klavierlehrerin, ihr den Spaß am Klavier völlig verdorben hätte durch ihre furchtbare Art zu unterrichten. Das Mädel hat dann nach ca. acht Jahren ganz aufgegeben, Klavier zu spielen, weil diese Lehrerin ihr das vollkommen vermiest hat. So etwas finde ich immer tragisch. Und dieser Unterricht kann ja noch nicht so lange her sein, so jung, wie diese junge Dame vor drei, vier Jahren war. Als ich darüber in der Klavier-Facebookgruppe sprach, kamen sofort etliche Rückmeldungen mit „Ich auch!“ Da kamen dann noch einige andere Geschichten, wie schlechte KlavierlehrerInnen Kindern den Spaß an der Musik verdorben haben, sodass einige der TeilnehmerInnen an der Gruppe für viele Jahre, bis zu dreißig oder vierzig, gebraucht hatten, um wieder mit dem Klavier anfangen zu können und endlich Spaß daran zu haben.
Das ist so schade. Ich liebe Musik, und ich finde es schrecklich, wenn man Kindern so etwas antut. Lieben denn diese Leute, die Musik und speziell ein Instrument unterrichten, Musik gar nicht? Oder lieben sie nur die Menschen nicht, die sie unterrichten (müssen), um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen, weil sie alle lieber erfolgreiche KonzertpianistInnen wären? Weiß ich nicht, aber finde es traurig.
Glücklicherweise ist meine Klavierlehrerin nicht so. Bei ihr macht mir der Unterricht großen Spaß. Nur die Schmerzen verderben mir den manchmal, weshalb ich mich jetzt so viel wie möglich damit beschäftige, die zu vermeiden.
Dr. John Mortensen ist mit seiner langjährigen Erfahrung von selbst spielen bis zu Klavier zu unterrichten zu den „üblichen Verdächtigen“, die Schmerzen am Klavier verursachen, gekommen wie mit isolierten Fingern zu spielen oder die Finger abzuspreizen, um Tasten zu erreichen. Die Sitzhaltung am Klavier ist selbstverständlich auch als „Schmerzverursacher“ dabei. Er berichtet im Video über Glenn Gould, der einem bei solchen Themen natürlich immer als allererstes abschreckendes Beispiel für schlechte Sitzhaltung in den Sinn kommt.
Wie er so gut spielen konnte mit dieser absolut verdrehten und verkorksten Position, ist mir ein Rätsel. Aber er war wegen der Schmerzen auch ständig in Behandlung, wie berichtet wird. Kein Wunder. Trotzdem sah er offenbar keinen Anlass, seine Sitzhaltung gesünder zu gestalten. Aber er war schon wirklich sehr seltsam. Vor vielen, vielen Jahren habe ich mal einen Dokumentarfilm über ihn gesehen, in dem einiges vorkommt, was das bestätigt. Da erscheint einem sein komischer Stuhl dann nachher nicht mehr so komisch und dass er nichts daran ändern wollte trotz der eindeutigen Nachteile, die er davon hatte.
John Mortensen erzählt hier im Video sogar, dass Glenn Gould dann irgendwann nur auf dem Stuhlrahmen gesessen hat, als die Sitzfläche seines Stuhls kaputtgegangen war. In der Mitte nur noch ein Loch. Wie er das dann für länger als ein paar Minuten gemacht hat, kann man sich kaum vorstellen. Aber anscheinend wollte er noch nicht einmal einen Polsterer damit beauftragen, die Sitzfläche wiederherzustellen. Hat lieber auf dem Rahmen gesessen. Nun ja, große Begabung künstlerischer oder auch anderer Natur geht ja oft mit einer gewissen Art von Seltsamkeit einher. Er fand es vermutlich gar nicht seltsam, sondern normal. Nur wir Außenstehenden fragen uns, was das soll.
Das Fazit von John Mortensen in diesem Video ist:
If it hurts, it's wrong. (Wenn es wehtut, ist es falsch.)
Und er geht sogar noch weiter und sagt:
If it's hard, it's wrong. (Wenn es schwerfällt, ist es falsch.)
Er vergleicht das mit einem Marathon, bei dem man schon erwartet, dass man sich bei Kilometer 20 des Laufs übergeben muss. Marathon zu trainieren bedeutet, Schmerzen zu erwarten und Schmerzen zu lieben. Sonst schafft man das nicht. Das habe ich tatsächlich schon von einigen Leuten gehört, die für Marathons trainiert haben. Aber sie machen es trotzdem. Dazu muss man allerdings glaube ich ein bisschen masochistisch veranlagt sein.
Klavierspielen sollte jedenfalls nicht so sein, sagt Mortensen hier. Wenn es wehtut, stimmt etwas nicht, und wenn man große Schwierigkeiten hat, gewisse Passagen zu spielen, stimmt auch irgendetwas nicht. Dann sollte man das lassen und erst einmal die Ursachen erforschen, warum es wehtut oder warum man solche Schwierigkeiten hat, das zu spielen. Sonst verletzt man sich vielleicht sehr schwer, kann für lange Zeit gar nicht mehr spielen. Und das muss nicht sein.
Ich kann das auf jeden Fall bestätigen. Wenn ich Sachen von Bach spiele, die über das „Notenbüchlein“ hinausgehen, scheine ich das noch nicht ohne Schmerzen zu können. Und dann muss ich mich einige Zeit von Bach erholen, andere Sachen spielen, die nicht so belastend sind, bis ich keine Schmerzen mehr habe. Sollte ich vielleicht gar keinen Bach mehr spielen? Ich glaube nicht. Ich muss einfach nur noch eine Weile an meiner Technik arbeiten, damit ich keine Schmerzen mehr bekomme.