Mein Problem ist, dass meine Herangehensweise nicht zu der heute üblichen Herangehensweise, wie man Klavierspielen lernt, passt. Ich habe die ganze Zeit das Gefühl gehabt, mir fehlt etwas. Es gibt Leute, die lernen sehr gut und einfach mit den Apps, die es so gibt, wie SimplyPiano, FlowKey, Skoove, Synthesia usw. Ich konnte damit überhaupt nichts anfangen.
Dann gibt es Leute, die durchaus Erfolg damit haben, sich YouTube-Videos anzusehen, in denen gezeigt wird, welche Finger man wann auf welche Taste legen muss. Sie machen das nach und können manchmal tatsächlich so gut spielen, dass man kaum glauben mag, dass sie ein Stück so gelernt haben. Ich habe das mal bei einem jungen Mann gesehen, der sich als Teenager und junger Erwachsener verschiedene Stücke selbst so beigebracht hat, ohne vorher je Unterricht gehabt zu haben. Ziemlich anspruchsvolle Stücke sogar, und wenn er gespielt hat, hätte man das nicht für möglich gehalten. Es klang sehr gut, seine Bewegungen sahen gut aus, und man hätte gedacht, er spielt schon seit seiner Kindheit, mit ordentlichem Unterricht.
Er hatte allerdings nie Noten gelernt, sondern spielte alles auswendig, weil er ja immer nur die Videos nachgeahmt hat. Dennoch muss er eine große innere Musikalität gehabt haben – wenn man das so benennen kann, mir fehlt eine bessere Benennung –, um das tun zu können, denn bei den meisten, die es sich auf diese Art beigebracht und die ich gesehen habe, funktioniert das so nicht. Die Handhaltung wirkt oft sehr verkrampft oder der Rhythmus stimmt nicht oder der musikalische Fluss, die Phrasierung, was auch immer. Es wirkt stümperhaft. Bei ihm und einigen anderen, die so gelernt haben, wirkte das nicht so.
Ich würde mal gern wissen, wie sich das statistisch verteilt. Das kann man aus irgendwelchen Videos natürlich nicht entnehmen, denn es gibt eine Menge Leute, die keine Videos hochladen. Das ist immer nur eine sehr kleine Gruppe, die man da sieht.
Noch eine Gruppe sind die Leute, die gern mit Akkorden arbeiten und von Anfang an improvisieren wollen. Sie lernen die Akkorde und Akkordverbindungen und sind damit auch ziemlich glücklich.
Zum Schluss gibt es diejenigen, die wie ich ganz klassisch nach Noten lernen. Egal, ob das nun Noten von Bach oder Mozart oder Martha Mier sind. Man spielt das nach, was in den Noten steht, und versucht, das möglichst gut und anhörbar zu tun.
Die ersten beiden Methoden, mit einer App oder durch Videos, die mir nur zeigen, wo ich welchen Finger hinlegen muss, zu lernen, fielen für mich von Anfang an weg. Ich habe mal eine App ausprobiert, habe aber nur den Kopf geschüttelt und ebenso bei diesen „Tastendrückvideos“. Das ist nichts für mich.
Das mit den Akkorden hat mich durchaus interessiert, aber es war für mich der zweite Schritt. Der erste Schritt war für mich ganz klar, ein Notenblatt zu haben und das abzuspielen. Möglichst mit einem Lehrer oder einer Lehrerin, der/die mich dabei begleitet und korrigiert, mir zeigt, wie ich das richtig machen muss.
Im ersten Jahr war das auch ganz in Ordnung, aber dann dachte ich mir, das kann nicht alles sein. Es muss noch mehr geben. Ich versuchte es mit den Akkorden, hatte da aber irgendwie ein Brett vor dem Kopf. Theoretisch verstand ich das, aber praktisch konnte ich es nicht anwenden. Wahrscheinlich, weil ich auf einem zu hohen Niveau anfangen wollte, wie ich jetzt vermute. Denn links einen Basston zu spielen und rechts einen Dreiklang, das konnte ich natürlich, aber ich habe das nicht als den ersten Schritt gesehen, auf dem ich dann aufbauen muss. Ich habe das unter „Ich kann das nicht“ eingeordnet, weil ich zuerst einmal tatsächlich nicht mehr als das konnte. Andere hätten das vielleicht richtig eingeordnet und dann weitergemacht. Ich war frustriert und habe aufgehört.
Aber nach Noten spielen ging ja, also konzentrierte ich mich darauf. War aber immer wieder unzufrieden, weil mir eben irgendetwas fehlte, ein Fundament, das Verstehen dessen, was ich da tue. Nun habe ich das Gefühl, die Sache über Partimento anzugehen, könnte mir dieses Verständnis vermitteln. Denn Partimento ist das Handwerk, das ich immer noch nicht beherrsche, aber gern beherrschen würde. Oder vielleicht ist beherrschen ein zu großes Wort. Ich würde es gern auf einem Niveau können, das anhörbar ist und bei dem ich weiß, was ich da tue, es ganz bewusst tue.
Es gibt dazu eine sehr schöne „Vorlesung“ von Robert Gjerdingen, die ich mir heute angehört habe.
View: https://youtu.be/eWpDjTkVNG0?si=C2W3orBfczEP0pbG
Alles, was er da erzählt, vermittelt mir das Gefühl, dass ich auf dem richtigen Weg bin. Ob das wirklich so ist, wird sich mit der Zeit erweisen. Meisterschaft auf dem Gebiet zu erlangen benötigt viel Zeit und Übung, in Neapel studierten das die damaligen „Lehrlinge“ zehn Jahre lang sechs bis zehn Stunden jeden Tag, und das wäre für mich illusorisch. Aber ein Handwerk kann man lernen, und auch ohne Meisterschaft kann es sehr schön sein, das auszuüben.
Ich komme mir im Moment ein bisschen so vor wie damals in der Schule oder an der Uni, wo ich an jedem Tag etwas Neues lernte und das ungeheuer spannend fand. Das hat mir in den letzten Jahren, in denen ich nur gearbeitet habe, ein wenig gefehlt. Da habe ich nur das angewendet, was ich schon konnte und gut konnte, aber nicht mehr so viel Neues gelernt. Sicherlich, es kommt immer mal wieder etwas, das man noch nicht weiß, aber wenn man seinen Beruf beherrscht, ist das nicht dauernd und nicht so viel. Ich genieße es richtig, jetzt wieder von Grund auf lernen zu können, etwas völlig Neues, als ob ich wieder jung wäre. Mein Kopf ist vielleicht nicht mehr ganz so fit, aber dafür muss ich ja auch keine Prüfungen ablegen.
Ich mache das nur zum Spaß.