Danke Martman. Was ziehst Du für Konsequenzen daraus? ... ich meine, Du hast als Keyboarder kaum eine Wahl ... also frage ich besser, wie gehst Du damit um?
Groß was machen kann man da als Keyboarder sowieso nicht. Du kannst dich nicht glaubwürdiger machen in einem gewissen Rahmen und vor einem gewissen Publikum (z. B. Ü60-Fraktion in der tiefsten Pampa, die haben genug Alleinunterhalter erlebt), und du kannst die Leute auch schwerlich vom Gegenteil überzeugen.
Mich persönlich betrifft das wenig, ich spiele nicht in einem solchen Rahmen.
Es betraf mich höchstens in der Zeit so von 1992 bis 1996, das waren einige der letzten Jahre meiner Schulzeit in einer Kleinstadt in der Wallapampa, die locker 100 km vom nächsten Ort mit sechsstelliger Einwohnerzahl entfernt ist, und in dem Radius gibt's auch nichts wirklich über 30.000. Wallapampa also. Ein Dorado für Entertainer, gerade damals. Aber ich war irre genug, im schulischen Rahmen auf einer damals populären Entertainer-Hupe (die Dinger konnten wirklich was damals) manchmal elektronische Musik zu spielen, und zwar mehr oder weniger konzertant.
Das war mir damals schon klar, daß die Leute, die normalerweise kaum mehr als Alleinunterhalter (händisch spielend auf älterem Gear, also noch vor der großen MIDI-File-Zeit), Posaunenchor, Feuerwehrkapelle und Schüler auf akustischen Instrumenten (Klavier, Blötflocke etc.) kannten, sofort "Kommt doch eh alles vom Band" bzw. "Das spielt der doch alles von dieser Diskette da ab" dachten, also Vollplayback. Ich habe damals relativiert und gesagt, ja, ich lasse mich vom Sequencer begleiten, aber mitnichten ist das Vollplayback, schon gar nicht von einer Audioaufzeichnung.
Vielleicht kann man im Video gut nachvollziehen, wie alles gemacht wird. Denn außer in den Loop-Playbacks wird jeder Ton von Hand gespielt.
Wenn beim Publikum sowieso Konserve unterstellt wird, warum tut sich das ein Keyboarder an? Warum dann nicht gleich Laptop und Konserve? So kann man wenigstens besser performen! Man tut doch durch live Spiel nur den Kollegen etwas Gutes, weil man flexibel und dienlich nach deren Pfeiffe tanzen kann. Für das Publikum macht das aber keinen Unterschied, weil es nicht nachvollziehbar ist.
Wenn das Publikum rauskriegt, daß man playbackt, auch wenn man das auch hätte händisch spielen können noch schlimmer, wenn man auch noch so tut, als würde man die Parts spielen, die aber vom Sequencer oder als Audiozuspielung kommen , gibt's auf die Mütze, zumindest einiges an unschönem Gegenwind. Das gibt's in allen Größen. Diese Entertainer-Duos kommen nur bei Leuten an, denen es Wurscht ist, wie die Musik erzeugt wird, oder die anderweitig nicht peilen, a) warum der Keyboarder die Tastatur mit einem überbreiten "Notenpult" oder Bandschild nach vorne zugemauert hat (hab ich schon gesehen) oder b) daß der Keyboarder alles Mögliche greift, aber nicht das, was man hört (hab ich auch schon gesehen, und nicht nur bei Roma-Kiddies in der Fußgängerzone).
Umgekehrt gibt es einen Jean Michel Jarre, der vor einer (1979), 1,5 (1986), 2,5 (1990) und 3,5 (1997) Millionen Zuschauern mit einer Riesenlightshow aufgetreten ist, aber immer mehr Kritik dafür einstecken darf, daß die Musik zu mindestens 80-90% Playback zu den Studio-Multitracks oder gar dem Studiomaster war. Place de la Concorde 1979 war live durch Jarre alleine ohnehin nicht spielbar, das Konzept, Jarre mit seinem ganzen Studiokrempel auf eine Bühne zu pflanzen, ging eigentlich nur auf, weil 1979 noch kein Mensch wußte, wie elektronische Musik gemacht wird und die Leute ohnehin von der Lightshow abgelenkt waren. Aber bei den späteren Konzerten fällt schon auf, daß nicht nur frei schwingende spannungsgesteuerte LFOs auf einmal exakt phasengleich mit der Studioversion laufen, sondern auch Unsauberkeiten von der Studiofassung eigenartigerweise exakt so aus der PA kommen. Mittlerweile tritt er mit drei Mitkeyboardern und wieder tonnenweise Synthesizern auf, noch unsauberer, aber live, und die mehreren Dutzend Synthesizernerds unter den Fans bei jedem Konzert nicken das wohlwollend ab.
Aber die Frage zielt auch noch darauf ab, ob die Musik durch adäquate Sounds nicht besser darstellbar ist, als durch echte aber ungeeignete Sounds.
Kommt wieder drauf an. Wenn man sein eigenes Ding mit eigenem Live-Konzept macht, dann ja. Tribute ist das andere Extrem, sofern man da nicht auch explizit umarrangiert, müssen es echte Sounds sein, egal woher.
Ich bin wirklich baff über die relativ einstimmigen Meinungen im Nachbarforum.
Ins
Nachbarforum haben wir das noch gar nicht durchgereicht.
Ich persönlich denke nicht, dass es - ab einer gewissen Grösse / Professionalität / Anspruch - noch Sinn macht, zu einer ohnehin timecodierten Show ohne Ausweichparts (wie sie z.B. Muse trotz Timecode immer noch freihalten und deswegen auch den armen Keyboarder ständig händisch Sequenzen einwerfen lassen) wirklich ein händisches Feuerwerk abzubrennen.
Siehe wieder Jarres frühere Konzerte. So schon acht oder so Musiker in der "Kernbesatzung", Gastmusiker, 60köpfiges Orchester, 120köpfiger Chor, die Licht-, Laser-, Projektions- und Feuerwerksshow wird bedient und überwacht von einer Crew, die sich über einen Radius von mehreren 100 m verteilt, und die Filmaufzeichnung für die Live-VHS läuft nach Drehbuch. Die Koordination des Ganzen ist der Wahnsinn. Da kann man unmöglich die Musik 100% live ohne Timecode fahren. Extrembeispiel: 1999/2000
The Twelve Dreams Of The Sun an den Pyramiden von Gizeh. Das waren zwei separate Konzerte. Das erste davon war drei Stunden lang, fing an um 22.00 Uhr und mußte punktgenau den Jahreswechsel treffen. Zumindest dieses Konzert war ein zusammenhängendes Pro Tools-Projekt mit ständig laufender Clock.
Der aktuelle Rahmen ist klein genug, um auch die Lightshow zumindest teilweise händisch zu fahren. Sequencer gibt's meistens immer noch, aber songweise und auch hauptsächlich darum, weil irgendwoher der Rhythmus kommen muß. Die
Concerts In China 1981 waren meines Wissens noch spontaner.
Anmerkung am Rande: Wenn Jarre sein Cavagnolo-Akkordeon spielt ("Chronologie 6"), dann war das schon immer live.
Martman