Um den eigentlichen Topic mal wieder aufzugreifen, mein Senft zum Thema.
Ich habe das Interview mit Frau Ludwig, die ich als Künstlerin wirklich hoch schätze, gelesen. Sie argumentiert mMn äußerst treffend über Unterschiede zwischen der klassischen Musik von damals und heute. Ich zitiere:
Wird heute schlechter gesungen, dirigiert, Geige gespielt als früher?
Das würde ich so nicht sagen, es gibt immer wieder wunderbare Interpreten. Aber was ich mit Sicherheit sagen kann: Man geht in ein Konzert, es wird nicht gut gesungen, es wird möglicherweise grauenvoll gespielt, der Dirigent versteht sein Handwerk nicht und die Leute schreien Bravo! und trampeln wie beim Bernstein oder beim Karajan. Sie haben kein kritisches Urteil mehr. Man kann ihnen alles vorsetzen, solange es nur massiv genug beworben wird.
Dabei muss ich ihr zustimmen. Klar gibt es Ausnahmen, aber die breite Schicht der Bevölkerung bildet sich Ihre Meinung doch nicht selbst, sondern schätzt Schuberts "Ave Maria" deswegen, weil ein schick gekleideter Profikiller mit einer aufgesetzten Eleganz (was an sich schon moralisch verwerflich genug ist..) Leute um die Ecke bringt. Oder weil die neueste Limousine von Mercedes zu Chopin durch die Landschaft gurkt, Tiger Woods zu Brahms auf Golfbälle von Callaway eindrischt oder sich Kate Moss zum Lohengrin das Gesicht mit dem neuesten Duft von Chanel pudert. Dass ich jetzt natürlich teils fiktiv formuliert habe, sei dahingestellt. Dennoch, gerade am Beispiel "Hitman" lässt sich der bestehende Konflikt ganz gut erläutern: Einem fünfzehnjährigen Halbstarken kann man es noch nicht einmal übel nehmen, dass ihm sowas gefällt. Irgendwann wird der Knabe mit seinem guten Dutzend an Lenzen (manchmal früher, manchmal später oder auch nie) erwachsen, belächelt seine damaligen Vorlieben wahrscheinlich sogar. Das jedoch, ändert rein garnichts an der Tatsache, dass er irgendwann in seinem Leben im Unterbewusstsein die Stichworte "Klassische Musik" und "Edel" gedanklich verknüpft hat, und das noch immer tut, wenn auch nichtmehr beim zocken eines PC-Spiels, sondern evlt. beim Kauf einer teuren Armbanduhr.
Was ich damit sagen will ist, dass wir bzw. unsere Persönlichkeit in der heutigen Zeit schlicht durch andere Menschen bzw. die Gesellschaft geprägt werden, ob wir wollen oder nicht. Würde man, so ein kleine (zugegebenermaßen unverschämt utopische) Theorie am Rande, hundert Babys nehmen, sie für zwanzig Jahre gesellschaftlich isolieren, und ihnen dann ein Klassik- und ein Hardrockstück vorspielen, wüssten sie wohl kaum, welches wie einzuordenen ist. Lediglich ihr persönlicher Geschmack (nächste interessante Frage: Wie würden die Urteile wohl ausfallen?), welchen man bei der ganzen Diskussion nicht zuletzt auch nicht außen vor lassen darf, würde über Gunst und Ungunst bezüglich des Gehörten urteilen. Von ins Philosopische abschweifenden Ansätzen von wegen "unterbewusstes Gesamtbewusstsein aller Menschen" sehe ich dabei jetzt ab, irgendwann ist einfach eine Grenze der Komplexität erreicht, die ich zumindest ohne finanzielle Entschädigung nicht bereit bin, zu übeschreiten
Prinzipell muss man daher lediglich entscheiden:
1. Definiert das bestehende gesellschaftliche Bewusstsein den Begriff "elitär" überhaupt erst? Wenn ja, dann ist Klassische Musik per definition elitär.
2. Betrachtet man Musikgenres komplett neutral von Geschmäckern, Einstufungen, gesellschaftlichen Zugehörigkeiten, Interessengruppen, quasi als "audiellen Whiteroom", dann ist Klassische Musik per definition nicht elitär.
Ich tendiere allerdings zu ersterer Variante, aus einfachem Grund: Gerade weil sich Punks die Haare pink färben, Gothic-Hörer die Augen schwarz schminken, Hopper Baggys tragen, etc. ist es imo auch berechtigt, Klassikhörer in eine etwas "noblere" Ecke zu schieben. Das ist auch nicht verwerflich, solange man für sich zu dieser Tatsache eine neutrale Distanz wahrt, und sich nichts darauf einbildet (und eben das bezweifle ich dafür umso mehr bei Frau Ludwig, weniger als Künstlerin, sondern mehr als Person betrachtet. Aber das mag ein subjektiver Eindruck sein....), Klassik zu hören. Auch ich erfreue mich unter Anderem gerne und viel an der klassischen Musik, bin aber deswegen nichts Besonderes oder Besseres als eine zwölfjährige Rotzgöre, die ausschließlich Katy Perry rauf und runter hört, während sie Schule schwänzt.
Das ganze könnte man auch umdrehen, und sich die Frage stellen: "Ist Punkrock abgefuckt?"