Bin gerade über diesen Thread gestolpert, den ich vor ziemlich genau 12 Jahren mal gestartet hab, als ich vorhatte, den Textordner auf der Bühne zusammen mit dem klobigem Notenpult durch ein Tablet zu ersetzen, und mir nicht sicher war, welche Richtung ich gehen sollte.
Meine
Erfahrung und Fazit nach 12 Jahren nun mal hier zusammengefasst:
Als erstes: Die Entscheidung für das iPad war exakt die richtige Wahl. Zu Beginn war es 'nur' die Darstellung der Sheets, für die ich damals mit dem Setlistmaker gestartet bin. Dann kam noch das Einspielen von Pausenmusik dazu. Als Sounderzeuger für das Keyboard ist es bei mir bislang noch nie zum Einsatz gekommen und wird es vermutlich auch nicht, obwohl es da ne Menge coole Sachen gibt. Aber ich hab mir etwa ein Jahr nach dem ersten iPad ein MacBook Pro geleistet, das mit Mainstage deutlich flexibler als Sounderzeuger genutzt werden kann.
In 2015 bin ich von analog auf einen Digitalmixer umgestiegen, und auch hier ist ein Tablet für die Bedienung quasi gesetzt. Seitdem bin ich auf der Bühne immer mit zwei iPads unterwegs, a. um beide Apps (Setlist und Mixer) ohne umswitchen immer im direkten Zugriff zu haben, und um b. auch redundant unterwegs zu sein, obwohl ich noch nie einen Ausfall hatte.
Anfangsschwierigkeiten
Aller Anfang ist schwer, braucht eine Eingewöhnungszeit beim User sowie auch ein Umdenken und Anpassen an die Anforderungen beim Entwickler, sowohl der Hardware als auch Software.
So ein iPad hat neben dem Strom- bzw. Datenanschlusskabel auf USB nur einen Kopfhörer-Anschluss. Das heißt, es schreit nach einem Adapter für die unterschiedlichen Anwendungen. Hierfür kamen relativ schnell die ersten Docks auf den Markt, die neben der Stromversorgung auch bühnentaugliche Audio Ein- und Ausgänge, teilweise auch MIDI In/Out und sogar Video Out boten: Alesis io-Dock, Behringer iStudio, Focusrite und der eine oder andere Hersteller. Das war natürlich super bequem: iPad reinschieben und fertig. Erstes Problem war hier aber sehr schnell die Kompatibilität zu den verschiedenen iPad Modellen. Während iPad 2 und 3 sich lediglich durch die Dicke unterschieden, was man mit einer Kunststoffeinlage im Dock kompensieren konnte, wechselte Apple mit dem iPad 4 zu Lightning. Hier waren dann die alten Docks nicht mehr einsetzbar. Ich meine irgend ein Hersteller hatte die Option einer Umrüstung, aber trotzdem war das ärgerlich. Wobei die Entscheidung auf Lightning eigentlich eine gute und fällige Entscheidung war - lessons learned, und shit happens.
Auch die Hersteller von Tablet Holdern hatten ihre Probleme, weil sie anfangs Halter für spezielle Modelle anboten. Mittlerweile haben sie alle gelernt, und die Halter die man heute bekommt, können i.d.R. mit allen Modellen
genutzt werden. Somit hab ich anfangs einiges weniger nachhaltig an Peripherie investiert, was dann leider nicht von Dauer war.
Wo ging die Reise hin?
Da ja ein iPad enorm vielseitg ist, musste ich für mich erst einmal checken, welche Einsatzmöglichkeiten neben dem reinen Textordner-Ersatz noch so möglich sind.
Ich hab gerade in der Anfangszeit viele virtuelle Musikinstrumente installiert und größtenteils auch gekauft, die wirklich super sind. Angefangen bei Animoog, Sunrizer, Sampletank, über die vielen Korg Apps, wobei mich die iPolysix umgehauen hat, mein erster Synthesizer Ende der 80er für knapp 4000 DM, den ich nun 1:1 als App für 17,90 EUR bekam, und die sogar noch mehr Optionen wie der Hardware Synthesizer bietet. Dann die ultrageilen Apps von Jordan Rudess wie SampleWiz und später GeoShred, die unabhängig von der outstanding Klangqualität völlig neue Optionen für das Spielen liefern. Aber auch wenn das iPad über Docks mit vernünftigen bühnentauglichen Anschlüssen versorgt werden konnte, oder mittlerweile auch problemlos über Audio-Interfaces angeschlossen werden könnte, und auch relativ schnell mit Apps wie Audiobus auch ein Management der Apps und auch die Verwendung mehrer Apps gleichzeitig ermöglicht, hab ich es bisher nie live als Soundlieferant auf der Bühne genutzt. Auch zum Abfeuern von Samplen, sogenannten OneShots wollte ich es mal nutzen, hab es aber nie umgesetzt. Lediglich zum Einspielen von Pausenmucke kam es mal zum Einsatz. Aber seitdem ich das Macbook auf der Bühne hab, besteht hier kein Bedarf mehr.
Mit der zusätzlichen Mixersteuerung, die bei mir in 2015 mit dem Umstieg auf Digitalpult kam, bekam das iPad eine neue wichtige Funktion auf der Bühne. Mittlerweile war ich auch schon beim 3. oder 4. iPad angekommen, die vorigen hab ich aber immer behalten, so dass ab sofort immer mindestens zwei iPads im Einsatz waren. Zum einen fand ich das umswitchen der Apps zu umständlich, als Keyboarder hab ich eh schon kaum ne Hand frei, und will so immer den direkten Blick auf die Sheets und auch auf den Mixer haben. Das iPad mit den Sheets sitzt in einem Halter immer im direkten Blickfeld, das für den Mixer liegt auf dem Keyboard, also auch im Blick und schnell für den Zugriff.
Ja, ich hab diverse iPads im Laufe der Zeit gehabt, häufig durchgewechselt, aber weniger, weil es nötig war, weil eins defekt war oder Akku schlecht, oder irgendwelche Inkompabilitäten. Hat sich irgendwie immer so ergeben. Teilweise hab ich sie neu gekauft, teilweise gebraucht. Irgendwann bin ich mal günstig an ein 12,9"er gekommen - die Augen werden ja mit dem Alter nicht besser, und ich bin nun mal Brillenverweigerer
- das war mir schon fast zu groß (mehr aus Gründen der Optik aus Zuschauersicht), bin aber mittlerweile von der 2. auf die 4. Generation beim 12,9er gewechselt, das ist ohne Homebutton, und damit ne Ecke kleiner, was ein guter Kompromiss ist. Ein 6er hatte ich mir mal neu gekauft, zusammen mit dem Apple Pencil, ein 5er hab ich mal für den Job bekommen, was dort aber nicht mehr eingesetzt wird. Im Moment liebäugle ich mit einem Apple iPad Pro 11" 4. Generation.
Speicherkapazit und Displaygröße
Was die Speicherkapazität angeht, ist meine Erfahrung, dass ich mit 128GB eher sogar mit 64GB locker auskommen würde. Meine wichtigste App für die Songverwaltung, die in 12 Projekten über 800 Songs enthält, die jeweils mit einer oder mehreren PDF und die meisten auch mit einer MP3 Datei hinterlegt sind, passt immer noch auf mein kleinstes iPad Air mit 16GB. Apps brauchen nicht übermäßig Speicher, und Fotos mach ich damit nicht, die auf den iPhones üblicherweise den meisten Platz einnehmen.
Meine erste Sorge war das gegenüber dem gewohnten DINA4-Format doch deutlich kleinere Format bei dem 9,7". Nimmt man das iPad quer, hat man die Breite und könnte nun über Autoscroll alles anzeigen. Meine Erfahrung hier: ist Quatsch! Auch wenn es auf den ersten Blick kleiner aussieht, ist es alleine durch die Hintergrundbeleuchtung scharf genug, dass man alles gut lesen kann. Autoscroll wäre zwar eine Option, ist aber gewöhnungsbedürftig, bedarf einiger Anpassung, bis es denn passt, und ist mir dann doch wieder zu unflexibel. Meine Sheets, die ich zu Hause am Rechner erstelle, sind so skaliert, dass sie immer auf eine Seite passen. Insofern brauche ich kein Autoscroll. Ja, das 12,9er iPad ist schon komfortabler - die Augen werden nun mal nicht besser - und spätestens wenn man nach Noten spielt, dürften 9,7" sowieso nicht mehr ausreichen.
Wechsel bei den Apps
Anfangs war die Frage, welche App ich für die Verwaltung meiner Songs und Sheets nutze. Kollegen nutzten OnSong, ich hab mich recht schnell für Setlistmaker entschieden, hat mich mehr angesprochen. Andere Apps hab ich probiert, bin aber immer wieder zu Setlistmaker zurück. Ich denk, das ist wie die Entscheidung für eine DAW. Alle bieten in etwa dieselben Möglichkeiten, aber irgendwann schießt man sich auf eine ein und bleibt dabei.
Relativ schnell sind mir meine Bandkollegen gefolgt, haben sich auch iPads zugelegt und haben dann auch Setlistmaker genutzt. Da es hier aber keine übergreifende Synchronisation für mehrere User gab, lief unsere Songdatenbank schnell auseinander. Daher bin ich in 2017 auf den Nachfolger Bandhelper umgestiegen. Gleicher App-Hersteller, aber der Unterschied zum Setlistmaker ist eine Datenbank beim Entwickler, die für eine zentrale Synchronisierung genutzt werden kann. D.h. alle haben die selbe Songdatenbank, nutzen nur bei Bedarf eigene Dokumente. Aber jeder - zumindest die mit Schreibberechtigungen - können neue Songs einstellen, die dann auf die iPads der anderen synchronisert werden, was die Vorbereitung für Proben extrem vereinfacht. Außerdem kann man so jederzeit an jedem beliebigen Ort der Welt alle Daten kurzerhand zur Verfügung stellen, z.B. wenn man einen Ersatzmusiker braucht, erstellt man ihm einen Account, gibt ihm Zugangsdaten und sofort hat er den selben Stand an Dokumentation (Sheets, Audio, Video) wie alle anderen.
Fazit
Als Ersatz für den Textordner hat sich das iPad mehr als bewährt. Zum einen ist es ein optischer Gewinn gegenüber dem altbackenem Textordner. Gerade im Dienstleistungs-Sektor, wo man ein Repertoire von ca. 300 Songs vorhalten muss, kommt man nun mal ohne Kladde nicht aus, und ein iPad am Mikrostativ stört dort deutlich weniger als ein sperriges Notenpult. Wir arbeiten nicht mit vorher festgelegten Setlisten, sondern erstellen kurze Sets adhoc vor Ort. Das sind mit der entsprechenden App auf dem Tablet wenige Handgriffe, wo man vorher mit Hilfsmitteln am Ordner in Form von Büroklammern oder ähnlichem gearbeitet hat. Vor allem der schnelle Zugriff ist bei einem Tablet deutlich komfortabler, wenn man schnell einen Song einschiebt oder anhängt. Zudem bieten Apps wie Bandhelper eine Remotesteuerung über das Bühnen WLAN. Unsere Sängerin bekommt die Anzeige meines iPads auf ihres gespiegelt, unser Drummer verbindet sich seit kurzem mit meinem, wobei ich hier nur die Auswahl der Songs steuere, bei ihm aber seine Sheets angezeigt werden und nicht meine, wie bei der Sängerin. Schieben wir während des Sets noch schnell einen Song dazwischen, wähle ich den aus, und alle bekommen den bei sich angezeigt.
Wenn ich neue Songs vorbereite, lade ich die mit Text und MP3 in die Datenbank und jeder hat die sofort als Grundlage für die Vorbereitung auf seinem iPad verfügbar.
Selbst bei meinen anderen kleineren Bands, wo wir mit kleinerem Repertoire arbeiten und auch vorab feste Setlisten erstellen, ist das mit einer App auf dem Tablet in wenigen Handgriffen erledigt. Dazu kommen die netten Optionen, die Setlist in größerem Format auszudrucken (für die Leute, die kein iPad auf der Bühne nutzen und auch keine Sheets /Texte benötigen), eine angepasste Liste mit bestimmten Anweisungen pro Song für den Mann am Pult oder Licht, außerdem ist die GEMA Liste im Anschluss des Gigs in einem Handgriff exportiert.
Ausfallsicherheit: Ich hab in den letzten 12 Jahren nicht einen Ausfall gehabt. Ja die App ist tatsächlich schon mal abgestürzt. Neu starten und wieder da.
Textordner zu Hause vergessen - großes Problem! iPad vergessen? Ich hab immer ein Reserve iPad im Rucksack. Einmal mit dem jeweiligen Account angemeldet, synchronisiert und alles ist wieder da.
Letzten Samstag haben wir sogar unseren Bassisten überzeugt, auf iPad umzusteigen. Er war bislang der letzte, der sich noch geweigert hat, und am Textordner festgehalten hat, aber doch eingesehen hat, dass er immer derjenige ist, auf den alle anderen warten müssen. Mal schauen, wie er damit zurecht kommt.