Ich finde nicht, dass der Thread geschlossen werden sollte, da das Thema sehr interessant ist und Zündstoff für nützlichen Meinungsaustausch sein könnte. Allerdings artet er immer mehr in etwas aus, was mir überhaupt nicht gefällt. Ich möchte hier nicht den Netcop spielen, aber das hier wird langsam ein Musterbeispiel für respektosen Umgang miteinander. Bedenkt doch bitte, dass vor dem jeweils anderen Computer auch ein Mensch sitzt. Das ist ein Klischee, aber anscheinend kann es nicht oft genug wiederholt werden.
Das Statement über die angebliche Überbewertung von Stevie Ray Vaughan hat mich übrigens auf den ersten Blick auch aufgeregt, und ich wollte zuerst einen recht deftigen Beitrag schreiben. Aber ich habe mich eines besseren besonnen, mich erst mal hingesetzt und versucht, den Verfasser vom Gegenteil seines Standpunktes zu überzeugen. War wohl produktiver. Habe dafür sogar ein "Like" bekommen. Besten Dank dafür!
Nun zur Sache: ich finde durchaus, dass es sehr viele Gitarristen gibt, die überbewertet werden. Das sind Leute, die in Fachkreisen - also von anderen Gitarristen - im Allgemeinen als einflussreicher/kreativer/technisch versierter beurteilt werden, als sie es in Wirklichkeit sind. Dies ist natürlich immer ein sehr persönliches Urteil - "richtig" oder "falsch" gibt es hier nicht, es gibt höchstens "vertretbar" und "nicht vertretbar". Anstatt einfach nur zu schreiben "Slash ist doof" oder "Jimmy Page ist blöd" sollten wir deshalb lieber versuchen, in vertretbarer Weise zu erklären, was uns an dem jeweiligen Gitarristen gefällt bzw. nicht gefällt. Dies kann tatsächlich zu konstruktiven Diskussionen führen, wenn wir alle die Grundregeln des kultivierten Austausches respektieren.
Die Meinung, dass ein anderer gemacht hätte, was Jimi gemacht hat, wenn er zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen wäre, halte ich persönlich für sehr schwer vertretbar. Ich finde, dass Jimi Hendrix die Art, Musik zu machen und die Art, Gitarre spielen, revolutioniert hat. Vergleicht ihn mal z. B. mit dem - von mir ebenfalls sehr geschätzten - Eric Clapton: Eric ist sicherlich nie ein großer Innovator gewesen: seine Musik basiert sehr stark auf dem Werk Robert Johnsons und auf dem frühen Chicago-Blues. Du kannst den Einfluss von Muddy, T-Bone oder RJ in dem überwiegenden Teil seiner Licks sehr deutlich hören. Da kann ich mir durchaus vorstellen, dass es evtl. einen anderen gegeben haben könnte, der den gleichen Weg gegangen wäre und vielleicht auch mit Erics Virtuosität hätte spielen können. Das gleiche kann auch über Peter Green, Mick Taylor oder auch über Stevie Ray Vaughan gesagt werden.
Jimis Spiel ist in dieser Hinsicht anders. Wir wissen ja alle, dass Jimi in seinen frühen Jahren von Bluesern wie Albert King und Buddy Guy, sowie von Musikern beeinflusst wurde, die andere Gattungen von "Black Music" spielten (Chuck Berry, sowie einige Soul-Gitarristen). Aber mal ehrlich: wenn ich einen Song wie z. B. "Bold as Love" oder "Little Wing" höre, fällt es mir verdammt schwer, mehr als nur kleine Spuren von dem Einfluss dieser Männer zu entdecken. Auch Bluesstücke wie "Hear my Train-a-comin'" oder der Voodoo Chile Blues basieren natürlich stark auf den Riffs von Muddy Waters, aber der direkte Vergleich ist ungefähr so, als ob man eine Steinschleuder mit einem Düsenjäger vergleichen würde, oder? Jimis Spiel war also bei weitem mehr, als nur das Destillat verschiedener Stile, die schon vor seiner Zeit existiert haben. Vielmehr ist er seinen eigenen Weg gegangen und hat etwas völlig Neues geschaffen, dass es vor ihm in solcher oder ähnlicher Form nicht gegeben hat. Deshalb bin ich der Ansicht, dass sein Einfluss auf die Entwicklung der Gitarre bis heute singulär ist und es wohl auch für immer bleiben wird.
Auch in Hinblick auf das Equipment war Jimi revolutionär: es mag sein, dass Jim Marshall die Amps entwickelt hat, aber es war definitiv Jimi, der gezeigt hat, was man mit den bösen Stacks alles anstellen kann. Damit war er wegweisend für mehrere Generationen von Gitarristen (Trower, Blackmore, Malmsteen, etc.). Auch die Beliebtheit des Wah-Pedals, der Fuzz-artigen Verzerrer und des Univibes ist wohl auf Jimi zurückzuführen.
Dass er kein brillianter Techniker war, ist ebenfalls ein ziemlich heftiges Statement. Sicher, in seinem Stil ging es nicht darum, ständig mit 180 über das Griffbrett zu rasen, aber viele, die Jimis "holprige" Spielweise kritisieren, sind sich dessen nicht bewusst, wie schwierig es ist, die Songs von Jimi mit der richtigen Attitüde zu interpretieren. Das mag auch der Grund dafür sein, warum etwa 95 Prozent der Hendrix-Covers auf Youtube so grauenhaft schlecht sind, dass es an Majestätsbeleidigung grenzt. Bis jetzt hat mir jeder wirklich gute Gitarrist, den ich kenne, bestätigt, dass Jimi sowohl als Gitarrist als auch als Songwriter und "Erfinder" genial war.