Vielleicht auch, weil die große Mehrheit der Gitarristen mehr auf Voodoo und Mojo steht als auf wissenschaftliche Erkenntnisse und deren praktische Umsetzung.
Das ist kein Phänomen, dass nur Gitarristen allein betrifft. Ich will das mal auch ein wenig auf die Threadfrage bezogen formulieren, damit wir hier nicht völlig in OT abgleiten.
Die Grundfrage lautet: haben Gewichtsunterschiede bei gleichen Holzarten Auswirkungen auf den Klang, kann man die hören und/oder messen und sind die Unterschiede überhaupt relevant? Im weiteren kann man die Fragestellung ausdehnen auf unterschiedliche Holzsorten von Kopus, Hals und Griffbrett bis hin zu unterschiedlichen Gitarrenmodellen von unterschiedlichen Herstellern. Und darüber hinaus auch das Kaufverhalten bei Autos, Motorrädern, Handys etc.
Im Grunde geht es immer um diese Kern- Frage: kann ich den Unterschied selbst wahrnehmen und habe ich genug Erfahrung und Wissen, um »vernünftige« Kauf-Entscheidungen treffen oder »sinnvolle« Kauf-Empfehlungen aussprechen zu können?
In der »Werbewissenschaft« (allein dieser Wissenschafts-Begriff könnte als Quadratur des Kreises hinterfragt werden) wird zwischen Einstellung und Image unterschieden:
Einstellung
drückt die Sound- und Equipmentbewertung auf Grund von Produktwissen, also auf Grund sachhaltiger, objektiv nachprüfbarer Informationen - sog. Denotationen - aus.
Image
ist dagegen ein emotionales Vorstellungsbild, das auf Assoziationen und gefühlshaften Anmutungen - sog. Konnotationen - beruht.
Zum »Phänomen der Wahrnehmung« sei nur verkürzt gesagt, dass sie selektiv und subjektiv erfolgt:
- »Selektiv« bedeutet, dass nur Reize, die die Aufmerksamkeit des Gitarristen erregen, überhaupt wahrgenommen werden.
- »Subjektiv« wiederum bedeutet, dass die wahrgenommenen Reize von jedem Gitarristen anders interpretiert werden. Dabei spielen die bisherigen Erfahrungen des Musikers eine entscheidende Rolle. Hat der Gitarrist an Erfahrungen nichts vorzuweisen, wird dieser Mangel durch Wunschbilder kompensiert.
Der Begriff »Verzerrung« der Wahrnehmung erfährt angesichts Überichs-Fixierungen auf »Drive« oder »High-Gain« eine interessante Doppeldeutigkeit.
Das Einstellungsmodell
Unter Einstellung zu einer Herstellermarke versteht man die gelernte, relativ stabile Bereitschaft eines Gitarristen, sich gegenüber Equipment konsistent positiv oder negativ zu verhalten.
Einstellungen richten sich auf Equipment, Hersteller, Stars oder Songs und sind stets subjektiv. Sie werden im Laufe des Sozialisationsprozesses entweder durch eigene Erfahrung oder durch Erfahrungsübernahme (vulgo »Nachplappern«) von anderen - beispielsweise im Musiker-Board - gelernt.
Studien (Mazanec 1978 und andere) haben gezeigt, dass das Verhalten von Gitarristen nicht immer in Einklang mit ihren Einstellungen stehen muss. Irrationalität ist eher die Regel und nicht die Ausnahme.
Das Einstellungsmodell ist also dann von Bedeutung, wenn der Gitarrist in der Lage ist, die einzelnen Holzsorten, Gitarren-, Verstärker- und Effekt-Marken anhand objektiver Equipmenteigenschaften zu unterscheiden. Ob dies möglich ist, kann man in einem »Blindtest« untersuchen, d.h. der Gitarrist muss Hölzer, Gitarren, Amps etc. am Sound und der Bespielbarkeit erkennen, - mit verbundenen Augen - ohne den Markennamen zu sehen. Was an sich schon ein gewisses Problem ist, weil man bei der Blind-Bespielbarkeit schon mehr wahrnimmt als nur den Sound allein und anderen Musiker anders spielen würden - würde man sich vorspielen lassen. Und das schon wiederum den Tone beeinflusst. Steckt der Tone nun in den Fingern oder nicht?
Das Imagemodell
Ein Gitarrist entscheidet beim Kauf nach dem Imagemodell, wenn er nicht fähig ist, die wesentlichen Kriterien zur Erreichung eines gewünschten Sounds selbst zu erkennen oder seine Lieblingsmarke im Blindtest zu identifizieren. In diesem Fall reichen die objektiv nachprüfbaren Equipmenteigenschaften bzw. -beschaffenheiten nicht aus, die einzelnen Gitarrenmarken voneinander zu unterscheiden.
Die Entscheidung erfolgt daher anhand des Images, das sich der Gitarrist von dem Equipment macht. Statt Produktwissen - wie beim Einstellungsmodell - beeinflusst die Markenbekanntheit und Coolness das Image.
Instrumentenhersteller bauen darum Signature Modelle und statten die Stars mit Spezialanfertigungen aus, um über diese Testimonials an das Geld der Fangemeinde des Stars zu gelangen und die Markenpräferenz zu beeinflussen. Gitarristen, die nach dem Imagemodell kaufen, sonnen sich in der Vorstellung, ihren Stars nun ein Stück ähnlicher und näher gerückt zu sein. Und es erleichtert die Suche im Dschungel der Möglichkeiten, die eigenen Soundvorstellungen umzusetzen.
Image-Transfer
Schweiger führt als Erklärungsmodell - warum es sinnvoll ist, Gitarrenmarken über Stars zu bewerben - insbesondere den Image-Transfer an. Das Phänomen des Image-Transfers nutzen Marketing-Profis, um das positive (gottähnliche) Image der Gitarrenheros, auf Produkte - beispielsweise Gitarren oder Amps - zu übertragen.
Am Beispiel Prog-Rock, Dream Theater, John Petrucci und der Etablierung von Musicman neben Platzhirschen wie Gibson oder Fender funktioniert das so:
Petrucci kann geil Gitarre spielen -> auf einer Musicman kann man geil spielen
Petrucci ist ein cooler Gitarrist -> Musicman baut coole Gitarren
Petrucci ist ein Gott Shredderer -> Musicman ist eine gute Gitarre zum Shreddern
Petrucci ist unwiderstehlich -> mit einer Musicman bin ich unwiderstehlich
Petrucci hat einen Wahnsinns-Tone -> mit einer Musicman krieg ich einen Wahnsinns-Tone
Petrucci hat einen Göttersound -> mit einer Musicman krieg ich einen Göttersound
etc. - ich denke, das Prinzip wie wir Menschen im allgemeinen und Gitarristen im speziellen funktionieren, ist damit eingehend beschrieben!
Ich komme nun wieder zur Kern- Frage zurück: kann ich den Unterschied wahrnehmen und habe ich genug Erfahrung und Wissen, um »vernünftige« Kauf-Entscheidungen treffen oder »sinnvolle« Kauf-Empfehlungen aussprechen zu können?
Wenn ich den Unterschied nicht selbst teste und höre, sondern mich auf »zweifelhafte« wissenschaftliche Testreihen berufe und verlasse, handelt man immer noch nach dem Imagemodell. Nämlich nach dem Image, dass Wissenschaft vertrauenwürdiger und intelligenter als Aussagen von Gitarrenbauern oder Hersteller wie Fender oder Gibson sind, die angeblich doch nur Eigeninteressen verfolgen, Mojo vermarkten oder Geister sehen und in Wahrheit Voodoo-Meister sind. Oder wie kreativ auch immer die Argumentation aufgebaut wird.
Nach dem Einstellungsmodell handelt man meinem Verständnis nach nur dann, wenn man den Unterschied selbst tatsächlich hört und vernünftig erklären kann. Ob mich eine wissenschaftliche Erkenntnis, die Empfehlung eines Fans oder die Aussage eines Gitarrenbauers auf die Idee gebracht hat, etwas zu testen ist meiner Meinung nach unwichtig. Wesentlich ist, dass ich selbst vergleiche und teste, mich selbst von der Richtigkeit überzeuge und die gewonnene Erfahrung in meinen Erfahrungsschatz miteinbaue. Und aus diesem heraus eine »adäquate« Empfehlung abgeben kann.
Wissenschaft ist langwierig, mühsam, anstrengend, zeitintensiv ... und was sagen Zahlen und Tabellen über einen Sound aus .... wenn es doch viel einfacher geht und vor allem Petrucci (um beim Beispiel Image-Transfer zu bleiben) ... "Zitat Lost Lover" »boah geil« klingt. Da kürze ich doch lieber ab und kauf mir die Signature.
Let's rock!