Ich bin echt faszinert von dieser Diskussion, denn eigentlich würde ich behaupten, "Musik" ist doch ein im wesentlichen weibliches Hobby! In meinem (akademiker) Umfeld hat praktisch jede Frau ein Instrument gelernt, viele spielen auch noch trotz Familie und Beruf. Manche nur zu Hause für sich (oft die Pianistinnen), ansonsten in Sinfonieorchester, Musikverein, Posaunenchor, Akkordeonorchester, Gitarrenensemble oder Chor. Musikmachende Männer? Ja, zwei Bläser und da ist glaube ich auch einer, der Gitarre oder so was in einer Band spielt...
Unser Musikverein und der Posaunenchor halten dank dem tiefen Blech übrigens mit Müh und Not noch knapp die Hälfte Männeranteil, überall sonst sehe ich zu 80% Frauen. Musikschule dito. Männerchöre sind übrigens eine aussterbende Gattung, und die paar Männer in Bands fallen mengemäßig auch nicht ins Gewicht.
Da sieht man aber schon eine gewisse Einschränkung bezüglich Genres. Viel klassische Musik, Vereine und dergleichen. Schon Jazz ist da nicht vertreten, auch Blues nicht, neuere Black Music auch nicht, keine Rockmusik usw. Das sind dann umgekehrt Gebiete, die fast reine Salamipartys sind.
Und genau das wird hier angeprangert.
Nebenbei:
In Deutschland stehen Andrea Berg und Helene Fischer mit Abstand (!) an der Spitze der Topverdiener.
Das heißt: auch die "bösen" Männer in den Vorstandsetagen verkaufen das, womit sich am meisten Geld verdienen lässt.
Schlagersängerin und Schlagersängerin.
Wieviel kreativen Input haben die beiden sonst so?
Klar haben Rapperinnen ein Problem, sich in der Branche zu behaupten, aber ausgerechnet Rap definiert sich doch oft genug durch Kokettieren mit Bildungsferne, Brutalität, Frauenfeindlichkeit, Sexismus, Rassismus und eben allem, was schockiert. Da ist vielleicht mehr die Zielgruppe schuld als das Management...?
Girl-Rap war in den 90ern mal ein Thema, als es hierzulande noch nicht diese Ghetto-Gangsta-Attitüde gab. Beispielsweise Tic Tac Toe, die so'n bißchen was von den deutschen Spice Girls hatten, oder die mit einer noch größeren Klappe gesegnete Sabrina Setlur (formerly Schwester S). Das hatte immer was von "Hihi, wir sind Mädchen, aber genau deshalb könnt ihr uns nix".
Rapperinnen gibt's in Deutschland immer noch, aber die sind auch nur interessant, weil sie Frauen sind. Okay, könnte schlimmer sein...
Ja, deshalb hatte ich auch Andrea Berg und Helene Fischer erwähnt.
Wie haben die das geschafft?
Wie andere Sängerinnen auch: mit Horden von (überwiegend) Männern dahinter, die sich um alles kümmern.
Typischerweise müssen^W
dürfen Solosängerinnen nicht großartig was anderes als gut singen und gut aussehen. Das müssen sie beides, wenngleich mit unterschiedlicher Gewichtung. Das Optimum ist Céline Dion: sieht gut aus + Bombenstimme. Bei Adele haben sie auf dem Albumcover aus guten Gründen immer nur ihr Gesicht abgebildet.
Kreatives Mitspracherecht haben sie erst, wenn sie sonst damit drohen, ihren Vertrag zu kündigen und woanders weiterzumachen. Oder man läßt sie ein bißchen am Songwriting-Prozeß teilhaben, für den sonst pro Song mindestens ein halbes Dutzend Leute eingespannt werden, um behaupten zu können: „Ja, sie schreibt ihre Songs natürlich selbst!“
Instrumente spielen tun sie auch nicht. Entweder können sie das gar nicht, oder es lenkt nur ab. Ich meine, auch vielen männlichen Sängern, die als Solokünstler vermarktet werden, ist es nicht "gestattet", ein Instrument zu spielen. Oder nur heimlich – wer weiß schon, daß Chris Rea seine Gitarrensoli selber gespielt hat?
Ausnahmen aus jüngerer Zeit sind selten. Alicia Keys hat gesagt: "Nicht ohne mein Klafünf!" Das heißt, ich glaub, nachher ist sie auch nur noch als Trällersternchen mit komplett vorproduziertem Retortenbacking vertickert worden. Sia Furler schreibt mehr, als sie selbst singen kann (deswegen schreibt sie auch für andere), und läßt auch mal andere Songwriters mitmachen. Lady GaGa läßt sich das Songwriting ja auch nicht abnehmen.
Eine der letzten, die es vorher aus eigenem Antrieb in eine Solokarriere geschafft haben, ohne gepusht zu werden, war Kate Bush.
The Kick Inside hatte sie selbst komponiert und brauchte eigentlich nur Hilfe dabei, das Album einzuspielen. Und in den frühen 80ern kaufte sie sich ein Fairlight und brauchte dann im Grunde keine Hilfe bei gar nix mehr. (Ist schon ein Vorgriff aufs Thema "Frauen und elektronische Musik".)
Und bei einem Orchester, das mit 50 % Frauen besetzt ist, haben auch diese Frauen den Weg zum Publikum gefunden.
Eine Callas oder Caballé ist doch nach meinem Empfinden nicht weniger berühmt als ein Caruso oder ein Pavarotti?
Belcanto läuft außer Konkurrenz, das ist ganz was anderes.
Im Jazz sieht es doch auch nicht schlecht für Frauen aus, oder?
Kommt ganz drauf an.
Bei kleineren Projekten, bzw. wenn Gesang im Spiel ist, dann schon eher. Das kann auch groß rauskommen. Norah Jones ist Jazzerin, Katie Melua wird meines Wissens auch dem Jazz zugerechnet, und auch Alicia Keys hätte Jazzerin sein können, hätte man sie nicht zwecks Profitmaximierung im R&B geparkt. (Aber LeAnn Rimes und Taylor Swift durften ja auch nicht im Country bleiben.)
Swing ist dagegen außerhalb von Bildungseinrichtungen seit jeher eine Salamiparty, Bebop ist erst recht eine Salamiparty, Dixie ist eine Salamiparty, Skiffle ist eine Salamiparty, und Jamsessions in kleinen Jazzclubs sind weit überwiegend auch Salamipartys. Zugegeben, ich hab wohl einige Genres aufgezählt, mit denen Frauen sich wohl eher nicht so gern identifizieren würden. Und ich glaube, Jazzmusikerinnen gehen ungern auf Jamsessions, weil man sie da nicht für ihren musikalischen Beitrag beachtet, sondern nur, weil sie Frauen sind.
Interessant. In Rock- und Popbands ist es genau umgekehrt. Frauen am Schlagzeug, am Bass oder an der E-Gitarre sind extrem selten. Wenn eine Frau in der Band ist, dann in der Rolle der Frontfrau (hier auch öfter mit ausgewählten Instrumenten wie akustische Gitarre oder Tasteninstrument) oder der Backgroundsängerin. Wobei auch hier gilt: Je härter die Musik, desto kleiner der Frauenanteil.
Selbst wenn das passiert, ist es oft nicht gewünscht. Karen Carpenter war eine granatenmäßige Schlagzeugerin, außerdem fühlte sie sich da wohl – sie hatte ja Mordslampenfieber, und hinter den Drums sah sie das Publikum nicht. Sie wurde aber, als die Carpenters groß rauskamen, hinter der Schießbude rausgezerrt, weil man befand, ein hübsches Mädel wie sie sollte front-stage stehen.
Ansonsten, stimmt. Gerade im Metal und nicht erst seit Nightwish. Suzi Quatro ist ja die Superausnahme, aber zum einen, weil sie unter Solokünstlerin plus Begleitband läuft, und zum anderen, weil sie so eine Rockröhre ist, daß kein Hahn danach kräht, wie sie aussieht. Es hilft, daß der Baß das wohl männlichste und phallischste anzunehmende Musikinstrument ist – und weil sie so klein ist, wirkt das Ding an ihr noch größer.
Interessant, daß du Tasteninstrumente ansprichst. Da gab's ja auch einige Beispiele. Grace Slick, Sängerin und Keyboarderin von erst The Great Society und dann Jefferson Airplane. Aber gut, die schien eh genug Autorität auszustrahlen, und was im Bay Area der späten 60er passierte, lief eh unter Ausnahmeregelungen. Oder Ideal mit Annette Humpe als Frontfrau, Sängerin und Keyboarderin, aber die waren so New Wave, da ging auch alles. Christine Perfect von Chicken Shack, später Christine McVie bei Fleetwood Mac, war nie Chefin und hatte eigentlich auch nicht derartig Bock aufs Showbiz, hat sich aber trotzdem eingliedern können. Auch sie hat in die Tasten gegriffen.
Und was auch äußerst rar ist: Bands mit mehr als einer Frau. Speziell in diesem Zusammenhang empfehle ich "Es kann nur eine geben" von Carolin Kebekus: Das ist kein Phänomen, das nur in Bands auftritt. Dasselbe gibt es auch in Filmen, Serien, Büchern, Kinderspielzeug. Sehr aufschlussreich, was da an Beispielen zusammengetragen wird.
Das Schlumpfine-Prinzip.
Aber ist so: Bei einer Frau hat man Schiß, daß sie die Band durcheinanderbringt. Bei zweien oder mehr hat man Schiß, daß das Zickenkrieg geben würde. Hat überwiegend auch nur funktioniert im Bay Area (The Mamas & The Papas), in überwiegenden Gesangsgruppen, die keine rein eigenständigen Bands waren (ABBA, Dschinghis Khan), als Deko für eine Funk-Rhythmusgruppe (Chic), bei merkwürdigen Retortenprodukten (Boney M.) und bei den beiden Mädels der Post-Martyn-Ware-Human League, weil die (anfangs) eh Jailbait waren. Auch hier wieder: Instrumentalistinnen in der Minderzahl.
Fleetwood Mac gingen mit dem Einstieg von Stevie Nicks (und Lindsey Buckingham) tatsächlich kaputt, auch wenn die Gruppe in ihrer Phase als Seifenoper populärer wurde denn je. Das lag aber nicht an einem Zickenkrieg, und das ließ sich auch nicht dadurch aufhalten, daß alle fünf Bandmitglieder verpartnert (Buckingham/Nicks) oder gar verheiratet (die McVies, Mick Fleetwood war auch verheiratet) waren.
... wo sind denn die Frauen hier, die was dazu sagen könnten ????
Nur eine ?
Dieser Post sollte für den ganzen Thread eigentlich Rechtfertigung genug sein.
Noch ein Teilthema, das hier noch gar nicht angesprochen wurde: Frauen in der elektronischen Musik. Da ist es noch extremer.
Okay, werden jetzt sicherlich einige einwerfen, es gibt doch DJanes wie die längst aus frühen Berliner Techno-Zeiten legendäre Marusha, die ja auch eigene Sachen produziert hat. Aber schon die sind in der Minderzahl. Das ist auch schon viel diskutiert worden. Und Marusha dürfte die einzige sein, die nicht dafür gebucht wird, daß sie eine Frau ist, sondern dafür, daß sie einen ähnlichen Legendenstatus hat wie z. B. Westbam.
Wenn man noch weiter zurückgeht, sieht's noch düsterer aus. Dabei gab es sie, die Elektronikpionierinnen. Delia Derbyshire. Elianne Radigue. Daphne Oram, die auch einiges an Gear selbst entwickelt und gebaut hat. Jüngererdings Suzanne Ciani. Aber auch hier kräht kein Hahn danach, was sie gemacht haben. Man kennt sie im Grunde nur dafür, daß sie Frauen waren/sind.
Kate Bush ist bekannter, gilt für viele aber auch nur als "Singvögelchen", dabei macht sie ihre Backings selber. Auch z. B. die Synthpop-Poetin Anne Clark oder Alison Goldfrapp haben sich ihre Finger an elektronischen Musikmaschinen schmutzig gemacht. Little Boots – der Name klingt schon so niedlich – macht auch alles selbst; außerdem ist sie ein riesengroßer Jean-Michel-Jarre-Fan, hat ihre eigene Laser Harp, hat im Rahmen des
Electronica-Projekts mit ihm kollaboriert und bekam sogar ein Angebot als feste Tourmusikerin. Noch eine Collab-Partnerin von Jarre ist Laurie Anderson, bei der es eigentlich schon etwas offensichtlicher sein sollte, daß sie ihre Vokalbasteleien selbst gestaltet.
Ich glaube, wenn ich erwähne, daß der berühmteste aller analogen TB-303-Klone, die x0xb0x, von einer Frau entwickelt wurde, werden einige vom Glauben abfallen.
Martman