zum einen darf man ruhig um hilfe bitten, zu dem zweiten punkt würden mich details interessieren.
Statement Festival, Göteborg 2018.
Ab 2017 geplant als Reaktion auf Übergriffe und Vergewaltigungen auf dem 2017er Bråvalla. Das Festival fand statt, las ich gerade, und es waren tatsächlich Cis-Männer außerhalb des Backstage nicht zugelassen. Aber:
Männer klagten wegen Diskriminierung und
gewannen.
Daß das Statement bisher nur dieses eine Mal stattfand, hat aber andere Gründe. Wie es aussieht, soll es wohl wiederholt werden, und zwar mit demselben Konzept, für das man Ende 2018 schon verknackt worden ist. Wir werden sehen, was daraus wird.
Ich sehe Quoten in diesem Zusammenhang als ein (temporäres) Vehikel um eine Dominanz, die sich aus welchen Gründen auch immer, gebildet hat aufzuweichen.
Vielleicht sollten sich hier einige mal das Thema
Radioquote genauer ansehen. Vor 30+ Jahren war das durchaus ein Thema mit der Dominanz vor allem der amerikanischen musik in unseren Radios, da die sog. Majorlabels ihre Cashcows melken wollten und null Bock auf die Förderung regionaler Künstler hatten. Erst als die Quote, staatlich bestimmt oder selbstbestimmt, den Anteil regionaler Musik, abseits vom Schlager, deutlich anhob, gab es plötzlich auch die Bereitschaft der Labels da etwas rein zu investieren. Wer weiß wie viele der regionalen Künstler, die heute so gehypt werden, es gäbe, wenn damals die Quote nicht eingeführt worden wäre. Heute wäre die Quote hier nicht mehr notwendig, da die Struktur der Musiklandschaft sich zumindest diesbezüglich gewandelt hat. Damals war es wichtig.
Allerdings gab es bei der Radioquote noch extremere Planungsansätze:
Alle Radiosender in Deutschland, vom Konzept unabhängig, sollten gesetzlich dazu gezwungen werden, mindestens 50% Musik aus Deutschland und davon mindestens 50% jeweils aktuelle Musik zu spielen. Dabei sollte es scheißegal sein, ob das ein Popsender, ein Oldiesender, ein Classic-Rock-Sender oder ein Klassiksender ist. Wer nicht gespurt hätte, hätte die Sendelizenz verloren.
Wenn ich mich für Gleichberechtigung einsetze und z.B. gerne mehr Frauen auf den Bühnen von Rock am Ring sähe, die sehr gute Musik machen, könnte ich mich doch z.B. fragen, wieso z.B. in der Elektroszene viel mehr Frauen präsent sind. Was ist denn da anders?
Ein Unterschied ist, daß es in der elektronischen Musik generell sehr viel mehr Einzelkämpfer gibt.
In der Rockmusik bist du ja spätestens bei Gigs darauf angewiesen, eine Band zu haben. Selbst ein Multiinstrumentalist wie Dave Grohl konnte Foo Fighters nicht ewig als Illusion einer Band und tatsächliches Soloprojekt weiterführen, wenn er damit irgendwann mal auftreten wollte. Und gerade in diesem männerdominierten Metier, das noch dazu vor Testosteron und Machismo nur so trieft, fühlen sich Frauen verständlicherweise nicht wohl.
Ein DJ dagegen – und das ist die verbreitetste Form des elektronischen Performers heutzutage – ist Solist. Dabei spielt es keine Rolle, ob der DJ selbst produziert oder nur Material anderer auflegt, denn auch zum Produzieren elektronischer Musik braucht man eigentlich keine fremde Hilfe. Wenn Frauen sich DJing zutrauen, werden sie deutlich weniger Gefahr laufen, zwingenderweise notorischen Machos über den Weg zu laufen.
Dazu kommt, daß DJanes nicht primär als Frauen wahrgenommen werden, sondern primär als DJs, denn der Musik hört man nicht an, ob sie von einem Mann oder einer Frau aufgelegt wird – eigentlich nicht mal, ob sie von einem Mann oder einer Frau produziert wurde. Und wenn die Mucke erst läuft, sind die Leute eh zu sehr mit Abfeiern und Tanzen beschäftigt, um groß auf den DJ zu achten, der sich hinter seinem Laptop verschanzt – selbst wenn da David Guetta stehen sollte.
Aber selbst in weiblichen DJ-Kreisen wird beklagt, daß der Frauenanteil unter den DJs immer noch viel zu gering ist. Und allen Pionierinnen zum Trotze wage ich zu behaupten, die Geschlechterdiskrepanz ist noch größer bei denjenigen, die wirklich selbst elektronische Musik machen, geschweige denn damit auch live auftreten (nicht als DJs, sondern als elektronische Musiker mit elektronischen Instrumenten – es gibt Frauen, die das tun, nur eben nicht viele). Mitunter wundern sich sogar die Männer, wo denn da die Frauen sind.
Es war eigentlich eher der Zeitgeist, der dann um 2000 rum in D die deutschsprachige Musik wieder hat boomen lassen. Und aus sicherer Quelle weiß ich, dass da ERST die Bands kamen und DANN die Labels, nicht umgekehrt...
Das kam eben erleichternd hinzu und hat vermutlich die Einführung einer Zwangsquote abgewendet.
Im Prinzip traute man sich, den überzüchteten Einheitsbrei der 90er zu durchbrechen und einfach mal etwas zu machen, womit man in den 90ern keine Chance gehabt hätte. Das Publikum hatte von diesem Einheitsbrei ja auch die Schnauze voll. Nachdem beispielsweise jahrelang alle Sängerinnen gleich klangen (Whitney Houston, Céline Dion, Mariah Carey, und wenn die Texte deutsch waren, Yvonne Catterfeld), konnte auf einmal auch eine Judith Holofernes punkten, die in den 90ern nicht mal ins Schlagerfach gedurft hätte – nicht zuletzt auch, weil es sie zunächst mal nicht ohne Band gab. Man hätte sie also auch nicht wie üblich als süßes Singvögelchen vermarkten können.
Den damaligen deutschsprachigen Projekten nahm man ja auch sehr viel eher ab, daß die ihre Songs und gerade auch Texte selber machten und sich nicht alles von Producer-Horden mundfertig vorsetzen ließen. Dieser Hauch von Singer-Songwriter war eine wohltuende Alternative zum Durchproduzierten und Gewinnoptimierten in der Musik der 90er. Craft-Music quasi. Selbst Tokio Hotel waren selfmade und kein durch und durch gewinnoptimiertes Retortenprodukt.
Das zog sich durch viele Genres, gerade weil man keinen Bock mehr hatte auf das Dogmatische, Formulaische der 90er-Jahre-Musik. Das hatte Europa und damit auch Deutschland den bis dahin alles dominierenden USA mit ihren Mediengroßkonzernen weit voraus. Es ging ja auch nicht mehr darum, die ganze Welt einschließlich den USA musikalisch zu erobern. Vielfach ging's nicht mal um den ganzen deutschsprachigen Raum, sondern vielleicht nur um eine lokale Szene. Aber wenn es gut war und weit weg vom Einheitsbrei, hörte auf einmal ganz Deutschland Indie-Rock oder Rap aus Hamburg (wobei Deutsch-Rap ja in den 90ern schon gut ging) oder jamaikanische Genres aus Berlin – jeweils mit deutschen Texten, wohlgemerkt.
Martman