Meine Frau arbeitet seit fast 30 Jahren in erheblichem Umfang (Violine, Viola, Cello, Leitung von 2 Orchestern) auf Honorarbasis für eine kommunale Musikschule.
Dass die Lehrtätigkeit an Musikschulen vom Bundessozialgericht für sozialversicherungspflichtig erklärt wurde, kann ja wohl niemanden überraschen.
Die Argumente des Sozialgerichts Stuttgart (1. Instanz) und des Bundessozialgerichts (3. Instanz) im Fall der Stadt Herrenberg gegen die Rentenversicherung Bund sind für mich durchgehend schlüssig.
Veröffentlichungen gibt es zum Berufungsversfahren vor dem Landessozialgericht Stuttgart (2. Instanz) und zum Revisionsverfahren vor dem Bundessozialgericht.
https://www.sozialgerichtsbarkeit.de/legacy/214478?modul=esgb&id=214478
https://www.bsg.bund.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2022/2022_06_28_B_12_R_03_20_R.html
https://dejure.org/dienste/vernetzung/rechtsprechung?Gericht=SG Stuttgart&Datum=21.12.2017&Aktenzeichen=S 12 R 5098/15
Betroffenen kann ich raten, sich die beiden Urteile durchzulesen. So arg unverständlich ist das gar nicht und nimmt einem Haufen von Argumenten, die hier im Thread bisher vorgebracht wurden, den Wind aus den Segeln.
Und jetzt?
Soll jetzt ein Ruck durch die Musikschulen Deutschlands gehen und die Geldgeber verdrei- bis verfierfachen die bisherigen Honorarbudgets und stellen viele Tausend Honorarkräfte an und reorganisieren die Musikschulen, um mit der Menge an neuen Mitarbeitern klar zu kommen und angemessene Arbeitsbedingungen (Räume, IT-Ausstattung etc) bereitstellen zu können?
Im Leben nicht. Die Lösung steht in meinen Augen in den Urteilen:
Bis auf wenige Ausnahmen großer Kommunen, mit dem Willen, eine musikalische Spitzenförderung durch ein Konservatorium oder eine Musikschule anzubieten, werden in der Breite die Musikschulen geschlossen und alle Beschäftigungsverhältnisse von Musiklehrern beendet.
Falls sich jemand wundert:
Musikschulen bzw. das Anbieten musikalischer Bildung gehört in D zu den freiwilligen Aufgaben von Kommunen. Kommunen, die es in der Vergangenheit mit der musikalischen Bildung im Sinne von Schule ernst genommen haben, haben sowieso nicht in größerem Umfang auf Honorarlehrkräfte gesetzt und stehen jetzt auch vor keinem größeren Problem.
Kommunen, die das Thema sowie schon seit Langem unter dem Blickwinkel breitangelegter Kulturförderung bzw. Hobby und Freizeitgestaltung gesehen haben, haben mit dem Urteil die Gelegenheit, einen Schlussstrich unter das Thema Musikschule zu ziehen, und das Thema Kulturförderung auf neue Beine zu stellen und sehr viel attraktiver für freiberufliche Musiker und Lehrer zu machen.
Im Unterschied zur derzeitigen Panikmache der Musikschulen und ihrer Angestellten sehe ich dabei auch überhaupt keinen Kahlschlag in der Kulturlandschaft sondern im Gegenteil ein Anwachsen, wenn die bisherigen Mittel für angestellte Musiklehrer der Kulturförderung zugeschlagen werden.
Falls sich jemand wundert, kann er sich an einer Kalkulation der Kosten für eine 45 minütige Unterrichtsstunde eines nach TVöD angestellten Musiklehrers versuchen. In der Tarifstufe 9b beträgt das Monatsbrutto nach 5 Jahren ca 5000 Euro. Dazu kommen die Ausgaben für die arbeitgeberseitigen Zuschüsse zur Sozialversicherung (rund 20 %). Urlaub, Krankheit, Sonderzahlungen, Weiterbildungen etc.
Für eine volle Stelle müssen wöchentlich 30 Unterrichtsstunden a 45 Minuten erbracht werden.
Im Jahr ist ohne Krankeit von 38 Unterrichtswochen auszugehen. Das ergibt 1140 Unterrichtsstunden pro Jahr.
(5000 + 20%) * 12 = 72.000
Mit Sonderzahlungen und sonstigen Kosten veranschlagen wir arbeitgeberseitige 80.000 Euro pro Jahr für einen Angestellten Musiklehrer.
Umgelegt auf 1140 gegebene Stunden sind wir bei 70 Euro/Stunde.
Unterstellen wir durchschnittlich zwei Wochen Krankheit sind es 74 Euro/Stunde.
Das Honorar an der Musikschule meiner Frau beträgt 22 Euro/Stunde.
Wenn ich mit vorstelle, dass für jedem freigestellten Musiklehrer jährlich 80.000 in die Kulturförderung fließen könnten, sehe ich das Schreckensszenario, dass die Musikschulen und deren Angestellte zeichnen, überhaupt nicht.