Was mich manchmal tatsächlich auch so im Chor irritiert, ist, dass ich da anscheinend anders singen muss als beim Gesangsunterricht. Im Gesangsunterricht bei mir ist es praktisch 'verboten', die Töne einfach so zu greifen, sondern alles soll schön legato verbunden werden, in hohe Töne soll ich von unten hineinkommen. Lieber etwas zu tief singen, als den Ton direkt zu greifen. Im Chor betont der Chorleiter immer wieder, dass wir die Töne direkt 'greifen' sollen und keinesfalls von unten in den Ton hineingleiten sollen. Vibrato ist natürlich in dem Chor gänzlich unerwünscht, bei meiner Gesangslehrerin erwünscht. Beim Chor steht das Textverständnis im Vordergrund, meine Gesangslehrerin legt mehr Wert auf die Töne, die Deutlichkeit der Sprache ist eher im Hintergrund. Beim Gesangsunterricht ist die Lautstärke nie ein Problem, im Chor immer wieder.
Nach meiner Erfahrung, dass heisst so wie ich es in meiner (Solo-)Gesangsausbildung lerne, gibt es diese Unterschiede teils teils:
legato/nonlegato: da muss man natürlich beides können, sowohl im Chor wie solistisch, nur ist ein solistisch wirklich perfektes legato bereits ziemlich hohe Sangeskunst und es muss deshalb viel Arbeit drauf verwendet werden
hohe Töne von unten ansingen, falls damit ein "einschleichen" von unten her gemeint ist: das ist doch auch beim solistischen Singen sehr oft verpönt, kann sicher als Stilmittel mal gemacht werden, aber sehr oft sollten die Töne auch hier grad auf der richtigen Höhe angesetzt werden! dieser Ansatz muss aber natürlich weich sein, also nicht die hohen Töne hart reindrücken!
Vibratoverbot im Chor: das ist ein Problem und auch für mich ein absoluter Grund in einem solchen Chor aufs mitmachen zu verzichten!
gute Textverständlichkeit: das brauchst du solistisch spätestens dann wenn du Lied singst ganz dringend! so gesehen ist da der Chor die beste Schule!
Lautstärke: ja, ist ein Problem! natürlich kannst du als ausgebildete Stimme im Laienchor versuchen, immer eine Dynamikstufe leiser zu singen, als der CL fordert; spätestens bei einem p oder pp wird man dich aber trotzdem heraushören, weil ein gestütztes p gesungen von einer Stimme die mit voller Resonanzausnützung singt schlicht ganz anders trägt!
Aber ich habe schon von anderen gehört, dass sie mit Gesangsunterricht nicht mehr gut in einen Chor passen und deshalb im Chor aufhören.
Ist sehr oft der Fall, hängt aber von diversen Punkten ab:
-der Stimme selber: leichte Stimmen lassen sich prinzipiell besser integrieren als schwere
-vom durchschnittlichen Ausbildungsstand der anderen Chorsänger: wenn alle mit mehr oder weniger solistischer Resonanz singen, klappt es gut, nur ist das, bei uns zumindest, praktisch nur bei den Profi-Ensembles der Fall, auch in sogenannt ambitionierten Laienensembles die GU von den Sängern verlangen, sind nach meinen Erfahrungen nur wenige Stimmen drin, die auch wirklich solistische Qualitäten hätten
-der Chorgrösse: je grösser der Chor bzw. das Register, umso besser lässt sich eine ausgebildete Stimme drin integrieren (verstecken
)
-der CL: seine Toleranz gegenüber hervortretenden Stimmen ist letztendlich der matchentscheidende Punkt
Und ist es nicht dennoch lehrreich für jemanden, der glaubt, (besser als andere) singen zu können, sich in einem Chor in ein Gesamtgefüge einzufügen und dabei auch ein wenig hinter die musikalischen Kulissen zu schauen, und zu lernen, wie mehrstimmige Musik eigentlich "funktioniert" ?
Ich glaube da verkennst du das Problem ziemlich! Es geht nicht darum, dass man das Gefühl hat, zu gut zu sein, obwohl es solche Leute wohl auch geben mag (aber über die muss man ja keine Worte verschwenden). Viele der ausgebildeten Stimmen die ich kenne, würde sehr gerne in einem Chor mitmachen, treffen dort aber einfach auf grosse Probleme, müssten sich stimmlich so verbiegen, dass es irgendwann keinen Spass mehr macht.
Ich selber war gerade kürzlich in einem renommierten Laien-Kammerchor in einer Schnupperprobe (plus Einzelvorsingen) für ein Projekt das mich sehr interessiert hätte. Der CL sagte mir danach auf den Kopf zu, ich hätte zwar eine schöne Stimme (irgendwas nettes musste er sich wohl noch aus den Fingern saugen
), sei aber für ihren Chor im Prinzip zu weit ausgebildet (und das obwohl laut deren Website Einzel-GU von den Sängern erwartet wird). Ich hätte zwar mitmachen können, aber nur unter der Voraussetzung, dass sich meine Stimme dann in den von ihm geforderten sehr sehr leichten Klang integrieren lässt. Und er wollte, dass ich mit weniger Vibrato singe. Mein Vibrato ist mittlerweile (zum Glück) deutlich vorhanden, aber sicher nicht ausufernd. "Weniger Vibrato" hätte deshalb bedeutet "ohne Vibrato". Ist natürlich das gute Recht des CL, die Bedingungen so festzulegen. Aber als ich unter diesen Umständen dankend auf eine Teilnahme verzichtete, hat er dann doch ein bisschen dumm aus der Wäsche geguckt. Er war sich vermutlich nicht gewohnt, dass jemand aus freien Stücken nicht bei ihnen mitmachen wollte. Eine gewisse Arroganz lag also eher beim CL denn bei mir!
In meinem Stammchor (ein Laienchor offen für alle) gibt es das Problem zum Glück nicht! Unser CL ist sehr tolerant. Neben mir singt dort seit ca. 2 Jahren auch meine Ex-GL mit: Konzertdiplom mit Auszeichnung und eine der besten Sopranistinnen die ich überhaupt kenne (sie ist gut solistisch gebucht, will aber bei uns ausschliesslich im Chor singen, weil sie Freude am gemeinschaftlichen Singen mit Laien hat). Sie kann übrigens ein butterweiches pp über ihre gesamte Range singen, aber sie ist ein sehr schwerer Sopran und natürlich hört man sie heraus! Und mich halt auch! Aber unser CL ist froh wenn wir mit solistischer Singenergie die andern Soprane (unter denen es durchaus auch gute Stimmen gibt, aber halt kaum ausgebildet) etwas mitziehen und für eine volle und runde Höhe sorgen. Unser Chor bekommt dann auch immer wieder explizit Lob für den schönen Sopranklang, sowohl vom Publikum, wie auch von begleitenden Profi-Instrumentalisten und externen Vokalsolisten. Mit etwas beidseitigem Verständnis scheint es also durchaus funktionieren zu können!