@Youstin/Ingo könnt ihr mal näher erklären was man bei diesem Track noch so machen "könnte"?
Hab jetzt aufgrund dieser Nachfrage mal was aufgenommen und vorgehabt, ein bisschen was dazu zu erklären, hätte ich die letzten Posts vorher noch gelesen, hätte ich gleich ein Video gemacht
@Ingo: Klar! Wäre dabei - bin zwar was Lesson-Videos angeht Newbie, aber wenn es so manchem helfen würde ists ja top
So, hab ja wie gesagt zu dem F-Chillin mal was gemacht ... das ist kein 5 Minuten langes Solo, sondern einfach auf der Länge des Audiofiles anfangs verschiedene Ideen & Möglichkeiten angespielt, und am Schluss versucht diese zu einem Solo zu verbinden - möchte gleich dazusagen, das ist nicht das nonplusultra und bei dem geilen Backingtrack geht sicher noch mehr, aber das ist eben das, was mir dazu in den Sinn gekommen ist
Hier der Link:
Soooo ... die Grundlagen des Jams; Tonart F-Dur, ein Halftime-Shuffle-Groove (ternärer Beat, das bedeutet, auf jede 8tel kommen nicht 2 16tel, sondern eine punktierte 16tel und eine 32tel, bzw. auf einen Achtelschlag kommen eben drei 32tel - klingt in der Theorie kompliziert, aber das macht eben diese Art von Funk-Groove aus
)... die Changes sind im groben:
Fmaj7 | Fmaj7 | Dm7 | Dm7 | Bbmaj7 | Bmaj7 | Gm7 | C |
Über diese passt im Grunde problemlos immer die D-Moll-Pentatonik, die ja vom tonalen Inhalt her der F-Dur-Pentatonik gleicht (Dmoll = parallele Molltonart von F-Dur) ...hab zugegebenermaßen auch fast ausschließlich diese Skala benutzt, mit wenigen Zusatztönen, die ich dann aber auch erläutere
Man muss, wenn man die parallele Moll-pentatonik zu Dur-akkorden spielt, nur schauen, dass man sich im Klaren ist, dass sich die sogenannte "Root", also der Grundton, eine kleine Terz nach oben verschiebt, also ganz einfach in der Pentatonik einen Ton nach oben rutscht. Das bedeutet, Licks, die normalerweise auf der Root der Molltonart enden würden oder diese umspielen, haben in der Durtonart eine andere Wirkung und wirken offener, weil sie nicht die Schlusswirkung erzeugen - es ist aber nur eine Frage des Gehörs, der Zeit und der Übung bis man an sich die parallele Molltonart so gewöhnt hat, dass man diese vom Klang her einordnen kann und eben weiß, welcher Ton (bzw. welche Position) eine bestimmte Wirkung erzeugt, wo der Grundton liegt, welche Blueslicks weiterhin funktionieren etc.
Ich erläutere jetzt anhand der Time-Line mal, was ich mit den jeweiligen Parts zeigen möchte bzw. welche "Besonderheiten" ich spieltechnisch einsetze... (interessantes Unterfangen, quasi einmal die eigene Spielweise bzw. den eigenen "Stil" zu analysieren). Ich hoffe es ist okay, wenn ich nicht Tabulaturmäßig jedes Lick erkläre, sondern einfach das Prinzip ... ihr kennt ja alle die Pentatonik und könnt so eigentlich ziemlich schnell rausfinden, was genau gespielt wurde, falls das überhaupt irgendwen interessiert
00:00 - 00:47 - "Call-Response" - eine kleine Melodie und ein darauffolgender Kontrapunkt, hier ganz simpel getrennt in eine höhere mit wenigeren Noten, und eine tiefere mit mehr; diese Art von Phrasing eignet sich meiner Meinung nach sehr gut für den Anfang oder das Ende eines Solos, weil es durch den klaren Aufbau und die Wiederholung von einzelnen Melodiefetzen leicht vom Ohr aufnehmbar ist und eine klare Verbindung zwischen Backing(Changes, Rhythmus) und Solist zeigt - IMHO ist es (gerade bei längeren Soli, bei denen man die Möglichkeit hat, eine Spannungskurve aufzubauen) nicht so schön, wenn man direkt mit langen Phrasen beginnt bzw. sich direkt am Anfang des Solos vom Backing trennt und sein eigenes Ding durchzieht - mit Call-Response-Spiel am Anfang eines Solos wird sowohl die Länge eines Chorusses als auch der Aufbau der Harmonien sehr deutlich dargelegt, was zwar auf den ersten Blick für den Zuhörer irrelevant scheint, jedoch nicht ist - umso besser sich der Rahmen einprägt, umso interessanter kann der Solist später sein Solo gestalten, weil die Zusammenhänge einfach klar sind.
Für den Schluss eines Solos eignet sich es ebenfalls, um wieder zur Ruhe zu kommen bzw. mit klarer Struktur aus dem Solo herauszuführen.
Die Stelle hab ich komplett mit Fingern gespielt, hab da persönlich mehr Kontrolle über den Anschlag bzw. das Picking und kann so mehr Dynamik in die Phrasen bringen ... außerdem hab ich so die Möglichkeit, mit dem Plek später im Solo noch eine neue Klangfarbe reinzubringen ...
00:49 - 01:10 - ein paar mal das im Grunde selbe Lick, kurze Vorschlagsnote, gehaltener Ton (wahlweise bzw. in meinem Fall mit Vibrato; das ist ja bekanntlich von Gitarrist zu Gitarrist verschieden, ich versuche meist ein starkes, aber langsames Vibrato zu machen, und das solange zu halten, bis der nächste Ton folgt. Kenne viele Gitarristen, die nur kurz am Anfang ein bisschen unkontrolliert vibrieren und dann den Ton stehen lassen...das gefällt mir weniger.) und ein sehr kurz gespielter Schlusston, teilweise mit einem schnellen Bending drauf. Besonderheit hier dran; nicht nur der Anfang des Licks muss klar definiert sein, auch der Schlusston - und da das Backing mit seinem Funkgroove rhythmisch sehr viel hergibt, hat man so die Möglichkeit, mit wenig Noten gefühlvoll zu spielen und trotzdem zu grooven. Auf welche Zählzeit das Lick beginnt, wie lange man es hält, wann es endet, auf welchen Tönen man es spielt... das ist einem völlig frei überlassen, hab verschiedene Variationen reingespielt - wichtig(!) ist nur, dass man rhythmisch exakt spielt.
01:11 - 01:33 - ein Chorus nur Achtelnoten gespielt, willkürlich über die Pentatonik hoch und runtergespielt - musikalisch echt banane, aber hilft einem, sich in die Rhythmik reinzufinden ... Schwieriger, aber nicht unbedingt interessanter wird es von ...
01:33 - 01:55 - ...denn hier wird nur auf die "und"-Zählzeiten gespielt, auf jede zweite Sechzehntel (nennt sich auch Synkopen). Wenn man nun die klaren Achtel und die Zählzeiten dazwischen eindeutig hört und spielen kann, kann man sie verbinden, und schon wird Musik daraus...
01:56 - 02:18 - ein Mix aus Achteln, Sechzehntel, Synkopen und kleineren Licks - so kann man den Impuls des Backings aufgreifen und auch im Solo "grooven". Hilfreich (bzw. für mich persönlich essentiell, weil ichs gar nicht anders könnte
) dabei, diese rhythmischen Werte alle im Timing zu treffen und schnell zwischen Synkopen und geraden Zählzeiten zu wechseln, ist eine Spielweise, die eigentlich eher fürs Rhythmusgitarrenspiel üblich ist, gerade im Funk - die Rechte Hand schlägt durchgehend 16tel durch alle Saiten, die linke Hand dämpft, was sie nicht hören will einfach ab und brauch nur noch im richtigen Moment einen Ton zu greifen - dabei ist es normalerweise so, wenn die rechte Hand einen Downstroke macht, ist es ein gerade Count (also Achtel / Viertel...), wenn sie einen Upstroke macht, ist es immer eine "Und"-Zählzeit, also eine Synkope. So kann man also entweder immer auf die geraden Zählzeiten die Saiten dämpfen und bei den Upstrokes einen Ton greifen (so habs ich den kompletten Durchlauf gemacht), oder eben andersherum. Oder man greift sowohl bei Down als auch bei Upstroke, so hat man eben eine durchgehende 16tel-Line. Der Vorteil hierbei: viel Hirnarbeit fällt weg, was die Koordination zwischen linker und rechter Hand angeht. Man muss zum einen nicht mehr immer schauen, dass man die richtige Saite anschlägt, zum anderen auch nicht, ob man rhythmisch in beiden Händen dasselbe macht, da ja die rechte Hand stur die 16tel durchkloppt und man nur noch in der linken Hand entscheidet, was man hört, und was nicht. Zudem ist es wesentlich leichter, tight zu spielen, weil die flüssige Schlagbewegung wesentlich einfacher konstant zu halten ist, als wenn man mit dem Plektrum die einzelnen Saiten anschlägt (meiner Meinung nach
). Allerdings ist diese Spielweise nicht immer geeignet, da durch die abgedämpften Saiten, die immer mitgeschlagen werden und den härteren Anschlag ein sehr perkussiver, knalliger Ton entsteht, der zwar im Funk oder auch bei schnelleren Bluesnummern wunderbar klingt, aber sowohl bei ruhigeren Nummern unpassend, als auch bei stark verzerrter Gitarre sehr unschön sein kann, da durch die Verzerrung des gesamten perkussiven Klangs oft ein Brei entsteht, der nichts mehr von der Rhythmik des gespielten enthält, sondern einfach alles zumüllt.
02:20 - 02:30 - die eben erläuterte Spieltechnik nochmal zu hören, auf einem Ton gespielt, mit ein paar Deadnotes zwischendrin ... ist sicher für ein komplettes Solo sehr eintönig auf Dauer, aber für kurze rhythmische Passagen, gerade bei dem Backing, sehr gut zu gebrauchen!
02:30 - 02:40 - (für mich quasi ein "How-NOT-to-do") ...ein ähnliches Pattern, aber diesmal normal mit dem Plektrum an der entsprechenden Saite gespielt: es fällt auf, der Klang ist weniger perkussiv, es groovt weniger und wackelt rhythmisch mehr - was aber auch daran liegt, dass ich es nicht gewöhnt bin, solche Figuren auf die Weise zu spielen
02:41 - 03:00 - eine weitere Anwendungsweise der oben erklärten Spielweise: das Spiel in Oktaven! Da man mit dem Plektrum selber sonst nur umständlich zwei Saiten gleichzeitig anspielen kann, die nicht direkt untereinander liegen, benutzt man diese Technik, greift den Ton & den Oktavton und greift dabei so flach über das Griffbrett, dass die Finger die nicht gewünschten Saiten so berühren, dass sie nicht zu hören sind. Erfordert natürlich eine gewisse Gewöhnungszeit, bis man wirklich genau das hört, was man hören will, und ungewollte Töne nicht mehr mitschwingen, dann ist es aber ein schönes Mittel, um Melodien noch mehr grooven zu lassen. (persönliche Anmerkung dazu: wenn ich so etwas spiele, benutze ich meistens für eine Melodielinie immer die selben 2 Saiten, z.B. die A und die G Saite, gehe also bei Phrasen nicht die normale Pentatonikform alle Saiten hoch, sondern spiele quasi horizontal das Griffbrett entlang. Dadurch ists natürlich nötig, zu wissen, wie sich die Pentatonik auf einer Saite verteilt bzw. zumindest zu hören, welche Töne man spielen kann und welche nicht. )
03:05 - 03:26 - ich bin absolut kein Crack, was schnelles solieren betrifft, deswegen dürft ihr mir die spielerischen Unsauberheiten hier nicht so krumm nehmen
So langweilig ich schnelle Frickelsoli oft empfinde, wenn man hin und wieder in ein Solo eine schnelle Passage einwirft, macht es das ganze sehr viel interessanter und abwechslungsreicher. Der schnellste Notenwert innerhalb meiner Möglichkeiten bei diesem Backing waren die 32tel Triolen, deswegen hab ich mal ein paar Licks hingestümpert, die diese enthalten. Da ist der Fantasie im Grunde keine Grenze gesetzt, gibt da für mich 2 Weisheiten ... je schneller das Lick, desto unbedeutender das enthaltene Notenmaterial (soll heißen: langsam gespielt kann es ruhig stinklangweilig klingen, das Tempo machts!) ... aber je schneller, desto länger und fleißiger muss mans auch üben!
03:27 bis zum Ende - ein improvisiertes Solo, in dem ich versucht habe, möglichst viele der erwähnten Techniken und Möglichkeiten hineinzubauen. Vom Spannungsaufbau hab ichs so versucht:
1. Chorus: ein sehr ruhiges Call-Response-Spiel mit kurzen Phrasen und langen gehaltenen Tönen
2. Chorus: ähnliche Licks, aber die Länge der einzelnen Parts halbiert, um mehr Leben reinzubringen, am Schluss freies Melodiespiel
3. Chorus: rhythmische Phrasen in Oktaven, dann ein Lick leicht varriert oft wiederholt, um Spannung aufzubauen, am Schluss eine steigende Melodie in 32teln
4. Chorus: ...die hier fortgeführt werden, quasi ein 1. "Höhepunkt" im Solo, dann wird wieder das Lick aus dem 3. Chorus aufgegriffen. Am Schluss ein kurzer Ausflug in die F-moll-pentatonik, um den Chorus abzuschließen
5. Chorus: es kehrt wieder ein wenig Ruhe ein, rhythmische Doublestops, die sich grob an die Changes anpassen. Am Schluss hau ich noch den Pickupschalter auf Neck, um ein bisschen mehr Output zu kriegen, im Normalfall wäre das aber der Moment fürn Tubescreamer oder irgendne andere Zerre
Hatte gerade keine zur Hand, deswegen ...
6. Chorus: ...ist mir der letzte Chorus auch nicht so wirklich gelungen - hier liegt der 2. und wirkliche Höhepunkt im Solo, typische Blueslicks eben und wieder sehr perkussives Spiel
Hier hätte ich theoretisch noch einen Chorus spielen können, um entweder die Intensität fortzufahren oder eben das ganze wieder auf ein ruhiges Level runterzubringen, aber das Backing war zuende
Ich hoffe ich konnte euch ein wenig Tipps und Gedankenanstöße geben, was das Backing und die Möglichkeiten angeht, die es einem bietet bzw. was mein Spiel eben dafür hergibt.
Möchte nochmal dazusagne, dass ist natürlich nur die Art und Weise, wie
ich es machen würde bzw. gemacht habe - wem es nicht gefällt bzw wer damit nichts anfangen kann, soll sich nicht genötigt fühlen, es genauso zu machen, und wem ich vllt die ein oder andere neue Tür geöffnet hab, sehr gerngeschehen
Viele Grüße,
Justin