Top! Das nenn ich mal einen großen Jam. Aber im Ernst, wer von uns findet die 16 Minuten wirklich lang? Bei einem realen Bluesjam würde jeder einzelne von uns solange solieren ...
Ich hör mir das jetzt nochmal gescheit an und schreibe währenddessen meine Eindrücke hier nieder ...
Ich sag voraus schonmal, ich werd versuchen, nicht jeden Beitrag mit "Geil, Amen!" abzusegnen, sondern konstruktive Kritik und Vorschläge zu geben, denn kommt es zwar im Blues nicht drauf an, wer besser spielt und wer nicht, sondern aufs Gefühl - aber kann man doch mit passenden Tipps so manchem vllt helfen, den Weg vom Feeling zum Ton zu erleichtern ...
Hoffe, ich verärgere keinen mit Kritik!
(bis 01:51) Ingo
Besser hätte das Einstiegslick nicht sein können! BB King wäre stolz. Vom Sound erinnerts mich bis 1:03 stark an Buddy Guy, allerdings jazziger.
Der Sound anschließend ist einfach sahne. Und sehr schön gespielt. Klingt für mich nach jemandem, der viel Blues gehört, sich viele Licks draufgeschafft hat und die in eine passende Synthese mit jazzigen Lines packt - Top!
(bis 03:37) Bowmen
Ein Solo geprägt von schnellen Hammer-Ons und Pull-Offs. Soweit sehr gut, aber du könntest trainieren, diese noch mehr in Time zu kriegen. Bei den gehaltenen Tönen vermisse ich ein wenig Vibrato - bringt auch effektiv mehr Sustain, und so kann ein schöner gehaltener Ton die Lücke zwischen zwei Licks füllen. Das Phrasenspiel hast du drauf, lässt dir viel Zeit dazwischen, das machts spannend. Vllt ein wenig Call-Response Elemente rein, d.h., ein A-Lick, ein B-Lick, die sich gegenseitig ergänzen. Soundmäßig saubere Sache, Strat halt
(bis 04:30) Stratomano
Sehr energetischer Einstieg, sehr spitzer Sound, sehr virtuose Licks. Hier gibts nicht viel zu sagen, du hast deinen Stil wohl gefunden und er funktioniert! Killer-Lick bei 3:46 -> kurzes, schnelles Vibrato auf dem Grundton, dann ein schneller Run ... astrein!
Subjektiver Wermutstropfen allerdings: bei einer Sololänge von weniger als einer Minute versuchst du, so viele Noten wie möglich hineinzupacken. Wäre dein Part Höhepunkt eines längeren Solo, wäre es noch geiler, so wirkt es im Kontext vllt ein wenig hyperaktiv - liegt aber vor allen auch daran, dass die Loop-Backingband nicht so richtig mitgeht
(bis 05:26) MrChrizmo
Es bleibt beim spitzen Stratsound. Klingt nach einem fortgeschrittenen Blueser, schöne Licks, schön die Bluesskala von oben bis unten ausgenutzt. Rein technisch kaum etwas auszusetzen, aber 2 Tipps hätte ich für dich: wo du die Moll-Skala offensichtlich beherrschst, könntest du dich an die Mixolydische Skala ranwagen - allein der Name ist zwar auf den ersten Blick schon abschreckend, aber im Grunde bedeutet das musiktheoretisch nur, dass du eine Durtonleiter mit der kleinen sieben hast, man könnte also sagen, eine Synthese aus Dur-&Molltonleiter. Das gibt dir Möglichkeit, im Solo zwischen den "sweet" Dur-Licks und den rauen, bluesigen Moll-Licks zu variieren und es noch ein wenig interessanter zu gestalten. Durterz & Mollterz sind beide erlaubt und erzeugen jeweils eine unterschiedliche Klangfärbung...
Da im normalen Blues (nicht im Moll-Blues!) üblicherweise die Durakkorde mit (mindestens) der kleinen 7 gespielt werden, muss man nur vermeiden, die große 7 der Durtonleiter zu spielen, da die sich dann mit den Akkorden der Begleitband unangenehm reibt.
Lange Rede, kurzer Sinn: wenns dich reizt, tonal ein wenig mehr Möglichkeiten zu haben, deiner Linien andere Färbungen zu geben, such dir mal auf Youtube paar Lessons dazu raus, glaube, der gute alte Marty Schwartz hat da auch einiges an Material zu bieten.
Das andere ist die Rhythmik: du spielst oft auf die geraden Zählzeiten deine Licks und oft mit denselben Tonwerten (Achteln, Sechzehntel...) - da kannst du auch durch Punktierung, verschobene Rhythmen etc. das ganze etwas lebendiger machen.
(bis 06:19) Ikusark
Holla die Waldfee, was für ein Sound - hast du permanent deinen Daumen hinterm Plektrum, oder warum besteht das halbe Solo aus krassen Obertönen? Aber hey - es klingt megafett. Ekstase pur. Die Runs klingen auch gekonnt. Wenn man hier unbedingt Kritik äußern wollte, könnte man höchstens sagen, dass du ein wenig kontrollierter spielen könntest - dann würde es aber nicht mehr so schön unkontrolliert klingen - gerade so, als wär einfach alles mit dir durchgegangen. Weiter so
(bis 07:12) Youstin
Wo ich hier schon so oberklug am kritisieren bin, mach ich auch vor mir selbst nicht halt - Selbstkritik muss auch sein.
Hin und wieder stirbt mir bei einem gehaltenen Ton nach einem Lauf der Klang weg, bevor ich überhaupt Vibrato draufgeben kann, wodurch man nur noch ein leises Saitenscheppern vernimmt... memo an mich: Licks langsam üben, dass ich auch dort ankomme, wo ich ankommen will! Die Marotte, nicht mehr nur einzelne Töne zu greifen, und diese direkt anzuspielen, sondern einfach die ungewünschten Saiten abzudämpfen und mit Elan in die Saiten zu prügeln erzeugt zwar schöne perkussive Klänge, oft klingen so aber auch kurzzeitig Töne mit, die dort nicht hingehören. Wenn mans mit Playback laut auf den Ohren gerade einspielt oder mit der Band jammt, nehm ich das nicht wahr, so clean auf dem Track hört man das aber sehr deutlich. Also: Sauberkeit beim Greifen üben!
Und: nächstes mal mehr Mitten, verdammt! Habs mit dem Strat-Bridge-PU + Amp-EQ etwas übertrieben - klingt schon seehr hohl.
(bis 08:05) Curlee
Chorus oder Leslie? Jedenfalls sehr schick! Würde das vllt noch mit größeren Vibrati à la SRV verbinden, dann kriegt das ganze noch mehr Würze. Spielerisch gut - aber eine Frage stellt sich mir; ist es stilistische Absicht, oder magst du einfach keine Bendings?
Höre in deinem Solo genau eins - und das ist astrein plaziert. Ruhig mehr davon!
Ansonsten vielleicht noch ein wenig an der Phrasierung & Rhythmik arbeiten - überwiegend Achtelläufe auf volle Zählzeiten - du spielst quasi parallel zum Hi-Hat-Pattern der Drums, reiß dich davon ruhig mal los
(bis 08:57) Martin
Spitz wie Sau! Der Sound ist agressiv (im positiven Sinne), das Spiel jedoch sehr zurückhaltend, was aber nicht weiter stört - erzeugt für mich den Eindruck eines Spielers, der genau weiß, wie weit er ist, und was er spielen kann, und das gekonnt einsetzt. Saubere Bendings, bewährte Licks. Hier und da ein Vibrato würde das ganze noch ein wenig aufpeppen!
(bis 09:50) MrSeczko
Das ist ein Sound absolut nach meinem Geschmack! Im Grundcharakter weich und lieblich, bei härterem Attack aber bissig. Erste Sahne. Höre da viel Clapton/Mayer raus! Die Licks sitzen, das Vibrato klingt toll, und das kurze Megalick bei 9:35 ist ein Hinhörer.
Gefällt mir verdammt gut, einziger Tipp wäre hier, vllt noch ein wenig mehr Luft in das ganze zu bringen. Die Ruhe zwischen den Tönen gibt so den einzelnen Phrasen mehr Substanz.
(bis 10:43) Okkah
Auch hier ein toller Sound, etwas mehr Gain als der Vorangegangene. Super eingesetzte Licks, man hört das Gespür für die Skala und die Bluesform raus. Highlight ist für mich die Linie bei 10:21 - ein beim ersten Hören unpassender Ton gekonnt in eine geheimnisvolle Melodie gewandelt. Entweder bewusst so gespielt, oder mit sehr viel musikalischem Gefühl gerettet - Kompliment.
(bis 12:30) Azriel
Sehr gute Phrasierung & beim Change auf die 4. Stufe ein gutes Gespür, aus dem Anfangslick rauszugehen und nach oben zu wandern! Im weiteren Verlauf hat man allerdings ein wenig das Gefühl, dass du nicht so Recht, aus der Linie G-Bb-C nicht so Recht rauszukommen, was sich aber beim zweiten Teil des Solos wieder relativiert. Da nutzt du auch die obere Lage der Skala aus, was Abwechslung reinbringt. Tipp: versuch mal zur Übung, dich vor einer Bluesform auf ein paar Töne in einer Lage zu beschränken, und aus denen alles rauszuholen, was geht, mit möglichst viel Abwechslung. Das wiederholen, mit jeweils verschieden festgelegten Tönen, und in verschiedenen Lagen übers ganze Griffbrett - so erweitert man zum einen das Gefühl für die Skala und Melodieführung, zum anderen verhindert man, dass bestimmte Tonfolgen oder Teile der Skala in den Fingern mit nur einem typischen Lick verbunden sind, was einem ein viel intuitiveres Spiel ermöglicht.
(bis 13:23) Schmendrick
Tschiiiiuuuuuu...twäääng! Was ein Einstieg! Astreiner Sound, sehr harmonische Doublestops und geile Slidebendings. Da ich mich mit Slidegitarre nur sehr schlecht auskenne, kann ich hier nicht viel hilfreiche Kritik geben, aber v.A. auch deshalb, weil ichs von vorne bis hinten einfach nur geil finde.
Nur eine Sache, die sich aber jetzt nur direkt auf dieses Solo bezieht; hab nach dem geilen Aufgang bei 12:55 als Finalklang den strahlenden Doublestop G-C in fortissimissimo erwartet - da erklingt bei dir nur das einzelne hohe G. Das schmälert den Eindruck aber in keinsterweise.
(bis 14:16) Nucksin
Neben einem Kompliment ans Phrasing (dein Solo atmet - hörbar!) und den sehr smoothen und interessanten Licks ein Lob für den Sound - sehr jazzy, sehr sweet. Sticht aus der Masse an typischen Stratsounds in allen möglichen PU-Stellungen (in der ich mich selber befinde, weshalb das keine Beleidigung für die Stratspieler sein soll
) für mich heraus. Darf ich raten - du spielst irgendeine Art von ES bzw. Hollowbody?
(bis 16:00) Rusty Ryan
Yeah Cowboy! Schöne Sexten am Anfang! Schöne Idee, zu Beginn die Aufmerksamkeit mit einem herausstechenden Klang zu erhöhen, anstatt direkt mit einem Lick zu starten. Der Rest vom Solo bleibt grundsolide, schöne Melodien über die gesamte Skala verteilt. Teilweise ist das Vibrato noch ein wenig unkontrolliert - ein assymetrisches Vibrato (damit meine ich, dass die Tonhöhenänderung nicht konstant bleibt) kann dazu führen, dass der Ton ein wenig schepp klingt - aber das kriegt man auch nur mit jahrelangem Training und viel spielen und v.A. hören(!) weg - wäre froh, wenn ich selber schon an dem Punkt wäre. Die Bendings sind sauber und passend plaziert ... bis auf eines; das bei 15:22 klingt so grauenvoll falsch, dass es wieder genial ist, wie du ihn konsequent immer wieder wiederholst, um so aus dem vermeintlichen Fehler eine Klangfarbe zu machen. So macht man Musik - Top!
(bis 17:46) Gitarrist, der den Loop eingespielt hat
Schöne Rhythmusarbeit, allerdings hätte er bei den einzelnen Bluesformen ein wenig mehr aus sich rausgehen und variieren können - aber erstaunlich genug, fast 18 Minuten lang die selben Riffs so zu spielen, dass sie exakt gleich klingen!
Finally ...
so kann man sich mit ner Viertelstunde Musik ne Stunde lang beschäftigen... Hoffe aber, mein Feedback ist wenigstens teilweise hilfreich!
Schönen Sonntag noch,
Justin