Naja, bisher sind m.W. kaum Fälle bekannt, in denen jemand mit über 20 ein Instrument angefangen und es zu professionellem Können auf dem technischen Niveau akademisch ausgebildeter Solisten gebracht hat. Wenn es wirklich die einzige Motivation wäre, so weit zu kommen, müßte man tatsächlich davon abraten.
Musik "von Innen" erleben, Spaß haben und dazulernen kann man aber in jedem Alter auf jedem technischen Niveau. Auch so weit zu kommen, daß andere den eigenen Vorträgen einigermaßen freiwillig zuhören, ist mit etwas Fleiß lange möglich.
So weit gilt das m.E. für so ziemlich alle Instrumente. Ok, einige erfordern zumindest für den Transport hohe körperliche Kraft, die man vielleicht im hohen Alter nicht mehr aufbringt, aber derlei Limits sind eher die Ausnahme.
Speziell fürs Akkordeon gilt außerdem, daß es motorisch schwieriger ist als es auf den ersten Blick erscheint. Es genügt für hörenswertes Spiel nicht, Figer und Arme zu bewegen, sondern es wird dafür ein Großteil des Körpers gezielt eingesetzt. Jede Bewegung geht unmittelbar in Anschlag, Spielfluß und Dynamik ein. Gute Akkordeonisten kontrollieren und korrigieren kontinuierlich Sitzhaltung, Körperspannung, Atmung etc. - vieles davon nicht vordergründig bewußt, was Übung und Training erfordert.
Die Idee bei der Erfindung war ja ursprünglich, ein hoch mobiles und einfach bedienbares möglichst frei polyphones Musikinstrument zu schaffen.
Vor dem Hintergrund der damaligen Zeit war das durchaus revolutionär - es gab noch keine Keyboards und Synthesizer, die meisten Instrumente waren entweder nicht so wirklich transportabel (Klavier, Orgel, Harmonium) oder nur sehr eingeschränkt polyphon spielbar (Bläser, Streicher, Stabspiele). Daß eine Person mit einem einzigen Instrument, das sie selbst mitbrachte, eine Melodie spielen und gleichzeitig begleiten konnte, war damals durchaus revolutionär.
Dieser Teil ist gut gelungen. Der Teil mit dem "einfach" leider nicht so ganz.
Zwar erleichtern es Tasten oder Knöpfe, die Tonhöhe zu treffen, und mit wechseltönigen Instrumenten konnte man innerhalb gewisser Grenzen sogar dissonante Griffehler reduzieren (wenn man auf einer Wiener Clubharmonika oder einer Steirischen einen Ländler spielt und an der richtigen Stelle die Balgrichtung wechselt, hat man kaum Töne auf dem Manual, die wirklich dissonieren) und der geringe Tastenhub ermöglicht z.B. im Vergleich zum Klavier auch, mit relativ wenig Mühe sehr schnell zu spielen.
Das ist aber wie sich herausgestellt hat eine gute Lösung fürs falsche Problem.
Denn um mit einem Akkordeon gut zu spielen, muß man die Musik verstehen, Anschlag und Ausdruck der Töne kontrollieren, musikalische Spannungsbögen in Timing und Lautstärke übersetzen richtig akzentuieren und so weiter. Dafür braucht man erstens eine musikalische Ausbildung (Wissen, Hören, Verstehen und Interpretieren des vorgetragenen Werks) und zweitens neben der Fingertechnik eine kontrollierte und oft auch komplexe Balgführung kombiniert mit differenziertem Anschlag. Beides ist unterm Strich sehr wohl eine schwierige Aufgabe.
Das sollte einen aber nicht davon abhalten, es zumindest zu versuchen, denn selbstverständlich gibt es Mittel und Wege, diese Dinge zu lernen. Braucht nur Zeit, Motivation, Fleiß und ein Wenig Talent (das aber erstens verbreiteter ist als die meisten Leute glauben und sich zweitens primär dahingehend auswirkt, daß die Motivation zum Üben und Lernen nicht verloren geht - der "geniale Wurf" ist IMHO nur ein sekundäres Symptom davon).
Andererseits: wer einfach nur möglichst schnell Musik perfekt reproduzieren möchte, für den ist ohnehin der MP3-Player oder das Radio das besser geeignete "Instrument", das mit praktisch null Lernaufwand auskommt. Schneller kann man dieses spezielle Ziel sicher nicht erreichen. Was übrigens gleichzeitig ein wichtiges Argument ist, beim Dasein als Instrumentalist eben nicht auf der Stufe des Nachahmens stehen zu bleiben. Denn wenn man das tut, hat man quasi erfolgreich die Nachteile beider Welten kombiniert.