Soulagent79 ist schon ganz nah dran. Es fehlt nur noch ein bischen Zusammenhang. Beispiel Fender:
Nach dem Verkauf an CBS 1965 wurde die Qualität der Instrumente immer schlechter, bis dann Ende der 60er auch noch Anpassungen an den Zeitgeist (grosse Kopfplatte) und zweifelhafte Innovationen wie die 3-Punkt-Halsbefestigung eingeführt wurden. Also haben viele Leute bald lieber zu gebrauchten (damals oft kaum älter als 10 Jahre) Instrumenten gegriffen. Ende der 70er/Anfang der 80er hatte Fender seinen Tiefpunkt erreicht und gleichzeitig erschienen einige Musiker-Ikonen neu im Rampenlicht, die in der nun massenweise gelesenen Fachpresse ihre Instrumentenwahl begründeten. Der "Pre-CBS" -Craze war endgültig ausgebrochen. Zufällig erlitten Gibson-Instrumente (und auch ein paar andere) ein ähnliches Schicksal ("Norlin") zur gleichen Zeit und man fing an, die Ur-Instrumente unter dem Begriff "Vintage" zusammenzufassen.
Darauf folgt dann der Punkt wo die Sache aus dem Ruder läuft. Seit langem werden auch die miesen Instrumente,
die diese Geschichte überhaupt erst verursacht haben unter dem Begriff "Vintage" zu Horrorpreisen verkloppt. Tut mir leid wenn ich das jetzt mal so schmerzhaft vorbete, liebe 2000€-für-so'n-Ding-Ausgeber, die waren damals in der Mehrzahl (ich habe in den 80ern viele 70s Strats in der Werkstatt gehabt) wirklich schlecht gebaut (muss nicht bedeuten dass sie schlecht klingen oder schlechte Player sind) und waren schon bald die steigenden Preise nicht mehr wert, die für sie bezahlt wurden, "Vintage" waren sie nie und werden es auch nie sein (jedenfalls nicht solange Fender/Gibson/etc nicht noch grösseren Mist bauen) . Mit "Vintage" sind und waren ausschliesslich die vermeintlich unwiederbringlichen, nicht mehr neu zu habenden "Originale" gemeint.
Und damit haben wir auch schon das nächste Problem mit dem Begriff "Vintage": F und G stellen weitestgehend exakte Repliken ihrer eigenen "Vintage"-Instrumente her, von japanischen Replika-Spezialisten gar nicht zu sprechen (die aus dem gleichen Grund entstanden sind, weil die "Originale" nicht mehr viel taugten). Das steht der Ursache, weshalb die Original-Instrumente überhaupt zu so gesuchten Artikeln wurden direkt entgegen. Wer eine Fender oder Gibson mit den Eigenschaften der Ur-Instrumente haben will kann sich an die jeweiligen Custom Shops wenden oder ein solches Instrument direkt von der Stange kaufen, wahlweise auch noch authentisch auf "alt" getrimmt. Die dürfen zu diesem Zweck sogar völlig legtim und ohne albern zu wirken den Begriff "Vintage" verwenden, weil die Instrumente die Eigenschaften genau replizieren. Wer dann noch unbedingt ein echtes "Vintage"-Original haben muss ist, Sammler oder Kapitalanleger oder beides.
Generell, in Analogie zur restlichen Verwendung des aus der Weinkunde entlehnten Begriffs bei Gegenständen/Gerätschaften, sind nur unwiederbringliche Produkte (weil es z.B. den Hersteller nicht mehr gibt, oder die Herstellung des Artikels keinen/kaum Sinn auf dem normalen Markt ergibt, etwa bei Oldtimern) , für die es zusätzlich noch eine reale hohe Nachfrage gibt, unter dem Begriff vermarktbar. Auch wenn man hier vielleicht besser von "Originalen" sprechen sollte, fallen unter diese "Vintage" Rubrik neben den (wirklich) alten Gibsons und Fenders z.B. alte Höfner+Co, Hagströms, Burns und noch ein paar Teile (vielleicht die ersten eigenen Modelle von Ibanez), denen eine gewisse Eigenständigkeit und vor allem Hochwertigkeit nicht abgesprochen werden kann, für die es eine echte Nachfrage gibt (an der Stelle fallen einge Hersteller und Instrumente wieder raus) und die man nicht sowieso im Laden neu kaufen kann.
Was dagegen gemäss dem gesunden Menschenverstand nicht darunter fällt sind z.B. "Lawsuit"-Kopien, nicht nur weil es keinen "Lawsuit" gab sondern auch weil an denen kaum etwas eigenständig und oft wenig wirklich hochwertiges neben der Verarbeitung ist, was eine Begründung für "gesucht" und vor allem für "teurer als Originalpreis" liefern würde. "Vintädsch" ist auch nicht automatisch jedes Brett nach 15 Jahren und nur weil die 250DM-Schraubhals-Paula 45 Jahre alt ist, ist sie noch lange nicht mehr wert als 125€, was auch für das allermeiste gilt, was z.B. von Matsumoku auf das Einsteigersegment geworfen wurde.
Die grosszügige Verwendung des Begriffs und der damit verbundene automatische Preisaufschlag funktioniert natürlich nur deshalb so prächtig, weil sich auch die Käufer nur wenig Gedanken darüber machen, was wirklich "Vintage", wirklich rar oder wirklich begehrenswert ist und sich gern mit "Vintädsch", "Mojo", "eingschwungen" "selten!!!1!11" usw., oder ihren eigenen Nostalgiegefühlen einlullen lassen. Aber man bekommt in den meisten Fällen nur etwas, das alt und abgedengelt ist und das zum gleichen oder sogar niedrigeren Preis in "neu, besser und voll funktionstüchtig" zu haben gewesen wäre. Sicher waren JV-Squiers damals toll (kamen sie doch genau zur richtigen Zeit) aber ob sie heute real mehr wert sind als genauso gut verarbeitete MiMs etc. sind, lassen wir mal dahingestellt. "Vintage" ist eine Blase, die offenbar nie platzt aber in der es sich nur glücklich werden lässt wenn man nicht so genau/unemotional nachdenkt.
/WortZumSonntag
P.S. Ich wollte keinem Besitzer von irgendeinem genannnten Produkt gegen das Schienbein treten. Jeder Gegenstand ist immer genausoviel wert, wie jemand bereit ist dafür zu bezahlen und individuell-irrationale Gründe etwas zu kaufen sind oft genauso gut wie rationale Gründe etwas nicht zu kaufen. "Realität" und "Ratio" haben im Bereich "Instrumente" noch nie etwas zu sagen gehabt, deshalb funktioniert "Vintage" so prächtig. Ich wollte nur mal meinen ungefragten persönlichen Senf dazu geben. Musst ihn ja nicht essen.