Die vorgeschlagene Erweiterung des Begriffs würde unterschiedliche Anordnungen von Halbtonschritten in Tonleitern des gleichen Tonvorrats auffangen, z.B. "C-Dur. D-dorisch usw." oder bei der "Dur- / Moll-Pentatonik".
Der "Tonvorrat" an sich ist für die Beispiele bekanntlich gleich, aber weder die Erscheinungsweise (unterschiedliche Abfolgen von Tönen) noch die musikalische Verwendung.
Die Betrachtung einer Tonleiter nur auf den "Tonvorrat" eines Stückes alleine zu reduzieren, würde einen wesentlichen, vielleicht sogar den entscheidenden Aspekt ausblenden. Denn du schreibst völlig zutreffend, dass ein und derselbe "Tonvorrat" eine unterschiedliche Erscheinungsweise und damit auch eine unterschiedliche Verwendung haben kann.
Der wesentliche, eigentlich der zentrale Aspekt einer Tonleiter ist der, dass sie einen
Grundton hat. Erst durch diesen Grundton ordnet sich die Binnenstruktur des Tonvorrats, indem sie durch ihr
Intervallverhältnis, das die Töne nicht nur zueinander, sonders im Besonderen zu dem Grundton der Tonleiter haben, auch ihre Ausdrucksspannung bekommen. Also eine jeweilige klangliche Kraft und Wertigkeit, die damit auch die Skala selber erhält.
Beispiel:
Alle modalen Skalen (sowie natürlich auch Dur und Moll, die ja als Ionisch und Äolisch schon in den Modi vorkommen) enthalten (mindestens) eine große Sexte, kleine Sekunde, Tritonus, usw. Aber die "dorische Sexte", "phrygische Sekunde", "lydische Quarte", "mixolydische Septe" existieren in ihrer besonderen Klanglichkeit nur in Bezug auf den jeweiligen Grundton
ihrer Skala. Es ist also der Grundton, der aus dem quasi amorphen "Tonhaufen" des "Tonvorrats" eine Tonleiter mit einem individuellen Ausdrucksgehalt macht.
Die Melodien, die sich aus dem Tonvorrat einer Tonleiter bedienen, nutzen also diese Spannungsverhältnisse der Intervalle aus, die die Skala mit ihrem Grundton vorgibt.
Dazu muss die Melodie weder alle Töne einer Skala benutzen, noch muss sie an irgendeiner Stelle die komplette Skala in ihrer Abfolge bringen.
Ersteres ist häufig der Fall, letzteres kommt selten bis so gut wie nie vor (bei Gesangsmelodien).
@MaxJoy
Aus der Beobachtung, dass eine Melodie nur 5 Töne enthält, als Tatsache zu folgern, sie sei "pentatonisch", ist als Verallgemeinerung falsch, bzw. viel zu kurz gegriffen.
Gerade viele Volks- und Kinderlieder (wobei ich eher von einfacher strukturierten Melodien sprechen würde) sind deutlich Dur oder Moll zuzuordnen in ihrer
klanglichen Anmutung, auch wenn sie nur 5 Töne bringen (oder manchmal noch weniger).
Sie nutzen halt nur nicht alle Töne der Dur- bzw. Moll-Skala, sind aber durch ihre melodische Struktur, ihre Intervall-Spannungsverhältnisse zu ihrem Grundton (s.o.) eindeutig Dur bzw. Moll.
Wie ich weiter oben schon schrieb, fehlt sehr oft die 7. Stufe bei diesen Melodien (meist in Dur), aber in der Harmonisierung wird die 7. Stufe als Dominant-Terz regelmäßig "nachgeliefert".
Dabei ist zu beachten, dass sehr viele der "volkstümlichen" Melodien die wir heute als "Volkslieder" ansehen (im abendländischen, bzw. eher noch mitteleuropäischen Kulturraum), aus dem 19. Jahrhundert stammen und nicht aus dem "Volk", sondern von Komponisten von "Kunstmusik" stammen (z.B. Brahms, Silcher, Schubert, u.a.).