Bach hatte zeitlebens verschiedene Anstellungen, auch weltlich, und wurde weitgehend geschätzt, jedenfalls von Kennern und musikalisch Sachverständigen. Beim ´normalen´ Volk bzw. den Gemeindemitgliedern, aber immer wieder auch Leuten aus dem Presbyterium war vor allem sein Orgelspiel zu komplex, zu überladen. Seine Chorvorspiele wurden schon in seiner ersten Anstellung in Arnstadt vom Presbyterium kritisiert weil sie die Gemeinde wohl etwas abschreckten.*
Aber aus diesen und vergleichbaren Zusammenhängen zu schließen, das Bach "seiner Zeit voraus" gewesen sei, halte ich für unzutreffend. Bachs Klangsprache hält sich doch sehr an die üblichen stilistischen Elemente seiner Zeit, es ist praktisch alles irgendwo auch bei seinen Zeitgenossen zu finden. Auch als "Neuerer" würde ich Bach nicht bezeichnen wollen.
Was bei Bach besonders ist, ist seine unbeirrbare Konsequenz, seine thematische, harmonische und formelle Dichte. Und natürlich vor allem seine extrem auf die Spitze getriebene hohe Kunst der Kontrapunkts, den er bekanntlich in nahezu unvergleichlicher Weise mit der harmonischen Ebene ausbalanciert.
Bach konnte auch "Unterhaltungsmusik", aber die "Leichtfüßigkeit" eines Telemanns, die dessen Werke sozusagen viel einfacher konsumierbar machten - und machen -, lag nicht im Zentrum des Bach´schen Schaffens. Ein Anhänger des "galanten Stils" war Bach offensichtlich nicht.
Bei Händel liegt die Sache wieder ein wenig anders. Dessen Popularität hat sicher auch vor allem damit zu tun, dass er sich mit seinen Opern im Zentrum der damaligen "Unterhaltungs-Szene" aufhielt, waren Opern doch
das populäre Genre dieser Zeit schlechthin.
Bachs Schaffen kreist im Wesentlichen um geistliche Musik, vor allem Musik (zunächst) der protestantischen Kirche. Ein Genre also, dem per se erst mal keine große Popularität anhängt. Man soll sich auch nicht täuschen, denn auch heutzutage gibt es auch unter den Klassikliebhabern den einen oder anderen, den Bachs Komplexität überfordert, und der Bach daher nicht sonderlich schätzt. Da aber Bachs kompositorisches Können unzweifelhaft feststeht, äußern sich jene Kritiker in der Regel nicht dazu.
Auch ist der christlich-religiöse Impetus der (geistlichen) Werke Bachs von fundamentaler Bedeutung, war er doch ein tiefgläubiger Christ und sah sein musikalisches Schaffen auch als Gottesdienst. Würden aber nur gläubige Christen in die Aufführungen von z.B. dem Weihnachtsoratorium gehen, hätten diese heutzutage nur einen relativ geringen Zulauf.
Gegen Ende seines Lebens galt vor allem sein kontrapunktischer Stil als "alter Zopf". Schon "populärer" zu dieser Zeit waren seine (komponierenden) Söhne, die den ´neuen´ Stil der Vorklassik, des Zeitalters der "Empfindsamkeit" gut zu bedienen wussten.
*)
Hier ein Zitat dazu:
"Überhaupt muss er sich einiges an Kritik anhören: etwa wegen „wunderlicher variationen“ und „frembder Thöne“ auf der Orgel, mit denen er den Choralgesang der Kirchengemeinde durcheinander brächte, ..." [
DLF]
Hier ein ausführlicherer Text zu seiner Zeit in Arnstadt:
https://www.bach.de/leben/arnstadt.html
Aus der sehr guten Bezahlung die er als noch ganz junger Kantor und Organist in Arnstadt erhielt wird deutlich, dass Sachverständige sein Können wohl zu schätzen wussten. Die zitierte Kritik macht darüber hinaus aber auch deutlich, wie durchwachsen Presbyterien schon damals besetzt waren.
Selber war er sich seines Könnens im Übrigen sehr bewusst, er soll diesbezüglich auch sehr selbstbewusst aufgetreten sein.