Ich glaube, dass der technische Wandel den größten Anteil an einem veränderten Musik-Konsum hat. Zum einen kann man heute überall und zu jeder Zeit hören, was man will - die Auswahl ist kaum begrenzt. Zum anderen hat sich auch die Technologie der Geräte und der Abspielmedien geändert.
Wenn ich mal in meine Jugend zurückschaue, da gab es Schallplatten und Compactcassetten. Mein Großvater hatte eine große Sammlung von Singles - kein Vergleich zu dem Angebot von heute, aber da hat man hat alles konsumiert was da war. Da gab es sogar schon die Option, mehrere Singles übereinander zu stacken, die dann der Reihenfolge nach austomatisch gewechselt und abgespielt wurden. Langspielplatten hat man aufgelegt, die Nadel am Anfang aufgesetzt und in der Regel komplett durchgehört, dann umgedreht und die zweite Seite gehört. So haben auch viele Bands ihre Alben konzipiert, dass sie quasi eine Geschichte erzählten, die Songs oftmals auch nahtlos ineinander übergingen. Vor allem im Progbereich war das so, siehe z.B. Pink Floyd, Genesis, Alan Parsons. Auch Compact-Cassetten hörte man in einem Rutsch durch. Spulen kam tatsächlich erst ein wenige mehr in Mode, als die Technik automatisch Pausen erkennen konnte, so dass man direkt zum nächsten Song spulen konnte. Bei CDs konnte man dann zwar direkt skippen, hat sich die aber doch von Anfang bis Ende durchgehört. Man konnte zwar auch einen Reihenfolge programmieren, aber das hat eigentlich wenig Sinn gemacht. Erst mit den CD Wechslern, wo man direkten Zugriff auf bis zu 100 CDs haben konnte, hätte eine Programmierung von quasi Playlists Sinn gemacht, hat dann aber doch zu lange gedauert, bis sie gewechselt wurden, denn das war ein mechanischen Vorgang.
Mixtapes war ein wichtiger Bestandteil meiner Jugend. Wir haben uns Compact-Cassetten mit unseren Lieblings-Songs erstellt, ob von LP oder CD überspielt, die auch ein beliebtes Geburtstagsgeschenk für Freunde war, und die vor allem auch eine Menge Aussage besaßen, zum einen über einen selber, nämlich über den persönlichen Musikgeschmack oder auch eine Bedeutung haben sollten, z.B. ein Mixtape mit Liebesliedern an die neue Flamme - wer kennt es nicht?
Im Auto hatte ich in der Regel eine Auswahl von ein oder zwie Zehnerpacks Compact-Cassetten oder 10-20 CDs. Die wurden regelmäßig getauscht - je nach aktuellem Geschmack. Ja, auch CDs hielten irgendwann einmal Einzug in's Auto. Anfangs über einen transportablen CompactDisk-Player der über einen CompactCassetten-Adapter angeschlossen wurde! Irgendwann gab's dann auch die ersten 'Autoradios' mit eingebautem CD-Laufwerk, oder sogar einen CD-Wechsler, der am Radio angeschlossen und im Kofferraum oder Handschuhfach untergebracht war.
Als dann die MP3 entwickelt wurde, nahm das ganze durch diverse neue Möglichkeiten schließlich ganz neue Formen an. Audio CDs konnten digitalisiert werden, damit konnte man seine Audio-Sammlung viel leichter teilen, während man bislang seine Schallplatten oder CDs höchstens verleihen oder durch das Überspielen auf Compact-Cassetten weitergeben konnte. Zwar kam auch die Option auf, selber CDs zu brennen (ich hab glaube ich 1000DM für meinen ersten CD Brenner bezahlt!), und konnte Audio-CDs kopieren, damit günstiger weitergeben, aber die MP3s weiterzugeben war viel einfacher. Email war noch schwierig, weil zu groß, USB-Sticks oder externe Festplatten gab es noch nicht, aber man konnte mehrere hundert MP3s auf eine CD brennen.
Ach Ja, und dann kamen die Tauschbörsen, Napster, Audiogalaxy, edonkey, emule und wie sie alle hießen, und die Rechner liefen 24/7 heiß, um alles herunterzuladen, was kostenlos zu bekommen war
Mit dieser Vielfalt an Musik, die man plötzlich verfügbar hatte, nahm dann logischweise auch die Wertschätzung ab. Natürlich brachte das auch Möglichkeiten mit sich, den musikalischen Horizont zu erweitern, viel mehr Musik kennenzulernen. Künstler, Musikrichtungen, Interpreten, unterschiedliche Versionen usw. aber man beschäftigte sich nicht mehr so intensiv mit dem Einzelnen.
Jetzt wurde auch 'gezappt' anstatt sich Songs oder ganze Alben im Stück anzuhören. Gefiel mir ein Song gerade nicht, oder er traf gerade nicht meinen augenblicklichen Gemütszustand, wurde zum nächsten gewechselt. Zu Hause am Rechner hatte ich Zugriff auf meine mehrere Gigabyte oder hunderte Stunden umfassende Musikbibliothek. Für unterwegs kam mit dem iPod auch die Option, die Musiksammlung mitzunehmen. Anfangs noch mit überschaubarem Speicher, der dann regelmäßig am PC ausgetauscht und neu gefüttert werden musste. Der erste iPod mit 160GB war meiner, da passte fast meine komplette MP3 Sammlung von mittlerweile 50.000 Songs oder 4000h Musik drauf. Neulich hab ich festgestellt, dass mein NAS mittlerweile mehr als das 10fache an Musik vorhält, wobei ich das noch nicht einmal regelmäßig nutze, und unter Garantie einen großteil davon noch nie gehört habe. Eigentlich totaler Quatsch und Blödsinn, wenn darunter nicht auch viele Aufnahmen meiner Bands, Livemitschnitte unserer Konzerte wären, also Songs, die es sonst nirgends gäbe. Wenn ich heute unterwegs bin, im Fitness-Studio, im Auto oder wo auch immer, höre ich Musik über AppleMusic, Spotify oder Napster, selbst zu Hause am Rechner hab ich eher Youtube an, als das ich Musik von meiner Festplatte höre.
Aber zurück zur Wertschätzung: Ich denke, dass durch die Vinyl Renaissance ein gewisses Bewusstsein zu alten Hörgewohnheiten und dadurch auch eine Wertschätzung zurückkehrt, auch wenn wir hier hauptsächlich über ein älteres Semester sprechen. Die Jugend wächst komplett anders auf, und das ist anscheinend die größte Zielgruppe, obwohl die der Plattenindustrie eigentlich nicht einmal das Geld einbringen dürften, weil sie - wenn überhaupt - über ein schlappes Streaming-Abo verfügen.