Die ständige Verfügbarkeit gefühlt aller Musik zum gefühlten Nulltarif macht sie doch auch irgendwie wertlos.
Das ist auch mein Eindruck. Rick Beato hat vor Kurzem ein Video gepostet, in dem er den Wandel im Musikbusiness in den USA seit 1996 beschreibt. Aufgrund einer Gesetzesverabschiedung war 1996 der Startschuß für eine große Konsolidierung im Medien- und Telekommunikationsbereich, angefangen von einer Harmonisierung der Radioprogramme (durch Konzentration der Radiosender bei einigen wenigen, großen Unternehmen), gefolgt von der Napster-Debatte u.ä., was die Medienwelt nachhaltig umformte. Heute erfolgt die Entwicklung und Förderung von Künstlern kaum noch über die Major Labels, sondern über Eigenregie. Was heute von der Technologie her aber auch kein Problem ist; Tracks im Heimstudio zu produzieren, war noch nie einfacher (und billiger); es war noch nie einfacher (und billiger), als Konsument an Musik heranzukommen - was z.B. dazu führt, dass derzeit geschätzt 100.000 neue Songs auf Spotify und Co. hochgeladen werden - am Tag! Mit der Folge, dass der einzelne Song, der einzelne Künstler an Wertschätzung verliert ob der Masse, die täglich neu zur Verfügung steht.
Ich erinnere mich an ein Gespräch mit einer Kollegin, liegt auch schon 10+ Jahre zurück. Sie war ein wenig gestresst und meinte nur, es wäre doch eine tolle Sache, sich jetzt mal eben zu einer tollen Location beamen zu können, nach Bali oder Neuseeland oder so. Ich habe sie dann gefragt, ob diese Orte für sie denn noch den gleichen "Wert" hätten, wenn man sich beamen könnte, weil solche Orte dann ja nichts Besonderes mehr wären. Da überlegte sie kurz und meinte nur, dass das wohl stimmen könnte.
Im Allgemeinen bewerten wir Dinge auch nach Verfügbarkeit. Ein geringes Angebot bzw. eine geringe Verfügbarkeit eines Rohstoffes erhöht den Preis, vulgo den Wert. Vielleicht ist es bei immateriellen Dingen ja ganz ähnlich. Glück ist so kostbar, weil es eben nicht der Normalzustand ist. Gesundheit nehmen wir oft erst dann als kostbares Gut wahr, wenn sie eben nicht mehr als selbstverständlich angesehen wird, z.B. wenn das nähere Umfeld oder man selbst von Krankheit betroffen ist. Und bei Musik? Ein Konzertbesuch war was Besonderes, schon aufgrund der geringen Verfügbarkeit. Heute gibt's unzählige Handy-Mitschnitte von unzähligen Konzerten unzähliger Bands. Klar, das ist nicht wirklich dasselbe, aber es entwertet das Konzerterlebnis schon ein wenig, aufgrund von "Verfügbarkeit". Und vielleicht fehlt bei digitaler Musik auch ein wenig das haptische Erlebnis, eine Schallplatte auszupacken und sie vorsichtig auf dem Plattenteller zu platzieren, die Nadel behutsam in die Rille abzusenken ... heute ist's ein Tipp oder ein Mausklick.
Ja, ich bin auch schon Ü50 und tendiere zu einer gewissen Verklärung der Vergangenheit. Aber dieses bewußte Musikerlebnis, sei es zuhause oder beim Konzert, möchte ich nicht aufgeben. Kürzlich gab's "The Dark Side Of The Moon" im Sonderangebot als HiRes-Aufnahme bzw. -Datei, da habe ich zugeschlagen und am Stück via Kopfhörer ... ja, genossen. Ohne dabei was Anderes zu machen. Zwar ohne physischen Tonträger, aber ganz bewußt zu-gehört. Und es funktionierte und war gut ...
Mag sein, dass in der schönen neuen Musikwelt eine Wertschätzung der Musik nur erschwert möglich ist, einfach, weil es so einfach geworden ist, diese Musik hervorzurufen, sprich, zu produzieren. Dass Musik aber immer noch Emotionen hervorrufen kann oder evtl. sogar sollte, muss man sich, denke ich, immer mal wieder ins Bewußtsein rufen. Und das bedeutet einen bewußteren Umgang mir Musik. Also nicht den kompletten Tag beliebige Hintergrundbeschallung. Da stimme ich vielen meiner Vorredner zu. Aber ich bin ja auch nur ein alter Sack ...
Meint
MrC