Unser Gehirn mag keine Ungewissheiten.
Das ist nun eine Aussage, die anscheinend beansprucht, allgemein gültig zu sein...
Das würde ich auch minimal anders formulieren:
Das Hirn kennt keine Ungewissheiten. Es interpretiert stetig, was an Reizen kommt, aber eben aufgrund Erfahrungen und Erwartungen. Was dabei rauskommt ist die wahrgenommene Realität - und an der ist subjektiv natürlich nichts ungewiss, sonst würde man sie ja nicht als Realität sondern als..... "Interpretationsmöglichkeit seiner Körpereigenen Sensorik" wahrnehmen. Wenn Menschen Zweifel an der Integrität der von ihnen wahrgenommenen Realität haben redet man recht bald von Symptomen psychischer Erkrankungen.
Ein sehr eindrückliches Beispiel ist der Umstand, dass unser gesehenes Bild auf der Netzhaut verkehrt rum steht. Was aber egal ist - da das Hirn auch das sehen erst lernt, wenn die entsprechenden Reize in dem Fall vom Sehnerv kommen (=nach er Geburt) macht es idR. die Erfahrung, dass "unten" da und "oben" dort ist - was ziemlich sicher auch funktionieren würde, wenn aus welchen Gründen auch immer bei einem Neugeborenen das Bild auf der Netzhaut um 90° denn 180° verdreht wäre.
Selbst bei sowas "realitätsabbildenden" wie dem Sehen ist eben verdammt viel unterbewusste Interpretation dabei. Kennt man auch von optischen Täuschungen, guckt man über die Beispiele im zugehörigen
Wikipediaartikel kann man ja schön sehen, wie sehr man sich anstrengen kann, es "korrekt" zu sehen, das Auge sieht so, wie es das sehen gelernt hat bzw. das Hirn füllt die Zwischenräume (wir sehen nie mehr als die Fläche einer 1m entfernten Briefmarke gleichzeitig wirklich scharf, der Rest ist meist recht gute, manchmal weniger gute, "Erfahrungs- & Erwartungssubstitution" und genau das nutzen optische Täuschungen aus).
Ab dem Moment, wo es Ungewissheiten gibt äußert sich das durch Widersprüche dadurch, dass das, was verschiedene Hirnareale "liefern" nicht zusammenpasst. Z.B. man weiß (oder meint zu wissen), man sei alleine zu Hause und nimmt im Augenwinkel etwas war, was das Hirn als "da bewegt sich was" deutet. Dann wird automatisch sämtlicher Fokus darauf gelegt, kurzzeitig alles andere ausgeblendet - aber würde man das nicht machen und die Bewegung in der Peripherie des Augenwinkels lassen (was praktisch fast unmöglich ist), das Sehzentrum würde weiter das reininterpretieren, was es am ehesten als passend wahrnimmt. Kennen vielleicht auch einige, die einen geliebten Stubentiger verloren haben. Das kann teils noch Jahre gehen, dass eine periphere Bewegung als "Ah, Katze" gedeutet wird (inkl. "Ich könnte schwören ich hab sie im Augenwinkel gesehen") weil man eben darauf konditioniert ist, das eine nicht näher zugeordnete Bewegung in der Peripherie allermeist von der Katze war.
Was es auch echt gut vor Augen führt: Sieht jemand seine Peripherie in Schwarzweiß? Das Hirn malt sie sogar mit Farben an, obwohl es sie dort gar nicht wahrnehmen kann
Oder der
blinde Fleck (wers nicht kennt unbedingt Selbstversuch machen) - tatsächlich haben wir recht zentral einen Punkt im Gesichtsfeld, wo wir blind sind. Wird im Bewusstsein alles mit Erfahrungen und Erwartungen aufgefüllt.
Jedenfalls, so ganz Unrecht hat
@wary gar nicht, wenn man seine Aussage wörtlich nimmt. Wir haben sowas wie eine "abstrakte Umgebungskarte", glauben wir auf der alleine zu sein und nehmen eine vermeintliche Bewegung war, springt sofort die Amygdala an (das "Angstzentrum").
Sagen die Augen was anderes als der Gleichgewichtssinn kennen wir das als Seekrankheit.
Und hört man Stimmen, von denen man rational weiß, dass sie nicht existieren ist das nicht umsonst ein Krankheitssymptom. Das Hirn "mag" tatsächlich keine Ungereimtheiten, bzw. es reagiert nicht sonderlich gut drauf, wenn es die nicht ausräumen kann^^
Mit optischen Geschichten kann man das recht gut veranschaulichen - im wahrsten Sinne des Wortes^^
Aber auch das Hörzentrum arbeitet genau so. Das ist nicht ganz so gut zu veranschaulichen (was wir sehen können wir zu einem sehr großen Teil angreifen, erfahren, überprüfen. Was wir hören - naja, hören wir, ohne "(an)greifbarer Gegenreferenz"), aber alleine an dem Umstand, wie wir alle von klein auf auf unser abendländisches Tonsystem geprägt wurden oder an dessen Entwicklung, wann man was wie empfunden hat und der stetigen Veränderung sieht man, dass auch hören eine sehr große subjektive - und erlernte - Komponente hat.
Auch das Hörzentrum füllt Lücken im Frequenzspektrum mit naheliegenden imaginären Tönen, genauso wie das Sehzentrum den blinden Fleck ausmalt.
Oder blendet gewisse Sachen aus, wenn andere als "wichtiger" betrachtet werden - deswegen kann man die Speichergröße von Audiodateien bei mp3s sehr drastisch reduzieren.
Worauf ich nach wie vor hinauswill:
Das eigene Gedächtnis ist was die Thematik hier betrifft ein Ratgeber, der mit Vorsicht zu genießen ist.
Grüße