Mal ein paar Ideen/Eindrücke von jemandem der schon diverse "ältere" Menschen unterrichtet hat:
Meine Erfahrung ist es, dass viele Menschen die erst später anfangen Gitarren zu lernen eine vollkommen andere Herangehensweise als Jugendliche haben und entsprechend auch andere Anleitung brauchen.
Sie haben gegenüber den jungen Kandidaten einige Vor-, aber auch einige Nachteile:
- ausgeprägteres Gehör
- eine konkretere Vorstellung von Musik und Sound
- oftmals viel Wissen über Komponisten, Bands etc
- logisches Verständnis
aber auch:
- weniger schnelle Auffassungsgabe/ weniger schnelles Lernen
- eingeschliffene Lernmethodiken
- eine natürliche "Arroganz" (in Anführungszeichen), also so ein "mir egal, wie andere das machen, bei mir klappt das schon so"
- Ungeduld
Um nur mal ein paar Dinge zu nennen. Sicher nicht allgemein, aber ich hatte neben jeder Menge Kids und Jugendlichen auch mehr als ein Dutzend Erwachsene Schüler, und viele Muster gleichen sich.
Was will ich damit sagen: Es geht darum zu reflektieren, ob die Lehrmaterialien die man konsumiert überhaupt angebracht sind, oder ob man den Fokus nicht auf andere Dinge legen sollte.
Insbesondere möchte ich dir die Anregung geben über dein Übeverhalten zu reflektieren.
Mal ein paar Fakten die sich so zusammengesammelt haben:
- 30 min Übezeit am Tag
- Schwierigkeiten bei Barré mit der Trefferquote
- kein Stück von Anfang bis zum Ende, eher Fragmente
- Angst vor anderen etwas zu spielen
- Üben mit kleinem Gitarrenhals
- unregelmäßige Treffen mit Kollegen, der meint für die Grundlagen müsste man eine Westerngitarre nehmen
dann noch:
Das Thema E-Gitarre reizt mich ungemein. Es geht mir hier nicht um die (vermeintlich) leichtere Bespielbarkeit. Es geht um den Klang, um andere Möglichkeiten und Techniken. Es geht um das Gefühl, eine E-Gitarre in der Hand zu halten. Es ist eine Faszination, die ich schlecht beschreiben kann. Die E-Gitarre wird kommen, da bin ich mir ziemlich sicher.
18 Monate recht intensiv geübt, der Output gleicht jedoch einer Gieskanne. Das Thema Band ist, richtig erkannt, auch zeitlich derzeit aus familiären Gründen nicht machbar.
Um Barrés zu üben, mache ich oft Akkordwechsel mit Barrés (z.B. 2 x 5 Minuten). Als Fingerübung dann die Spinne oder eine Pentatonik, die ich kenne (z.B. auch 2 x 5 Minuten) bzw. ein Riff (5 Minuten). Dann spiele ich Songs, in denen die Barrés vorkommen. Teilweise übe ich auch das Picking von "Dust in the Wind". Dann gehen mir aber die Ideen aus und ehrlich gesagt wird das in letzter Zeit verdammt langweilig. Aber mir fällt nicht ein, was ich alternativ üben sollte und könnte, derzeit auch etwas, was mich etwas runterzieht.
Daraus ergibt sich für mich folgendes (spekulatives) Bild:
Du hast das Problem, dass du eigentlich nur eine grobe Vorstellung von dem hast, wo du hinwillst, und eigentlich auch nicht genau weißt, wie du dort hinkommst.
Dazu hast du einige Schritte unternommen, die generell richtig sind (Kumpel gefragt, im Internet geguckt), die aber etwas erfordern, von dem du eher wenig hast: viel Zeit.
Jeder der autodidaktisch lernt (und das tust du, denn dein Kumpel ist offensichtlich kein Lehrer) muss viel mehr Zeit aufwenden für Dinge, die sonst ein Lehrer übernimmt:
- passende Liedauswahl
- Kontrolle des Spiels
- (Selbst-)reflektion
- Aufbau einer Übestrategie(von leicht nach schwer)
Du übst mal hier etwas, mal da etwas, ohne eigentlich zu wissen warum. Hier eine Fingerübung, weil man davon irgendwo gelesen hat, da mal ein vereinzeltes Pickingmuster.
Was dir ganz massiv fehlt ist ein Kontext, in den du das alles einbetten kannst. Ein Masterplan mit Zielen, Zwischenschritten, Anleitung etc, wo du auch mal merkst, dass du vorankommst.
Du hast ja überhaupt keine Erfolgserlebnisse. Mal ein Stück beiseitelegen zu können mit dem Gefühl "kann ich spielen". Zufrieden sein, etwas erreicht zu haben.
Das muss ja überhaupt nichts Großes sein, aber du musst es mal machen, bewusst feststellen und dich freuen.
Ein erster Schritt ist hier schon getan:
Im Buch der Harmonielehre von Wolfgang Meffert wird auch auf das Thema "richtiges üben" eingegangen. Ich habe es extrem langsam gespielt, bestimmt 50 mal und bin dann schneller geworden. Und siehe da, die Fehlerquote geht gegen Null. Obwohl ich das mit der Geschwindigkeit weiß, habe ich mich früher oft verleiten lassen es zu schnell zu spielen (klingt ja auch geiler....).
Das meinte ich eingangs mit "Ungeduld". Aus dem Gefühl heraus "ich muss ja schnell lernen" üben viele ältere Semester viel zu ungenau und zu schnell.
"klingt ja schon fast richtig, nur hier und da bin ich gestolpert"... dass aber hinter dem Stolpern elementare Fehler stecken, die sich durch das schnelle Spielen nicht beheben, sondern vielmehr richtig einschleifen, wird oft nicht beachtet.
Was hier eigentlich einsetzen muss, ist die Selbstreflexion (ja, das ist wichtig, deswegen schreib ich das so oft). Sich selbst beim Spielen über die Schulter schauen. Ehrlich zu sich sein und zu erkennen, wo der Fehler liegt.
Das muss man lernen. Das braucht Zeit. Oder man besorgt sich eben einen Lehrer, der das für einen macht, bzw einem beibringt, wie man es macht.
Ich habe viele Schüler, die merken teilweise überhaupt nicht, dass sie Fehler machen, weil sie so beschäftigt sind mit dem Spielen ansich.
Ich persönlich kann immer nur empfehlen sich einen Lehrer zu suchen, der einem beibringt, wie man wirklich übt. Das ist auch teilweise eine sehr persönliche Sache und man muss rausfinden, was für einen selbst der effektivste Weg ist.
Das Kapitel zum Üben in dem Buch von Wolfgang Meffert ist (zumindest in meiner Vorab-Version, die ich habe) ja eher allgemein, theoretisch gehalten und mit einigen Tipps, die sich eher schon an fortgeschrittene Leute richten gemacht, aber wirkliche praktische Übetipps sind das eher nicht.
(nebenher finde ich z.B. die Idee mit dem kleinen Gitarrenhals zu Üben teilweise fragwürdig. Für Dinge wie Beweglichkeit vllt noch okay, aber für Akkordwechsel etc eher unbrauchbar, einfach weil die Haltung anders ist, der Abstand beim sitzen anders etc.. da muss man wirklich drüber nachdenken, was genau man damit üben möchte)
Was ich dir generell raten würde ist folgendes:
Mache dir einen richtigen Plan, was du spielen willst und überlege ganz genau, was du dafür brauchst.
Vielleicht sowas:
Hauptziel: "Nothing else matters" spielen können.
Was braucht man alles:
- gute Fingerbeweglichkeit links
- fortgeschrittene Spieltechniken linke Hand (Slide, Triller, Hammer-On)
- sichere Lagenwechsel linke Hand
- Dämpftechniken linke Hand
- Akkordgriffe, nicht nur Standard, sondern auch aufgeweichte Varianten mit anderen Fingersätzen und Barré
- Anschlagtechnik rechte Hand (entweder Finger, oder Plektrum, je nachdem, wie man das spielen möchte)
- Zupf-/Schlagmuster rechte Hand
- Dämpftechniken rechte Hand
- .. etc..
(evtl: Harmonisches Verständnis. Prinzipiell lernt es sich leichter, wen man die ganzen Akkorde kennt und versteht, aber das setzt voraus, dass man das Wissen auch praktisch anwenden kann und sicher weiß)
Für jeden dieser Stichpunkte würde ich mir (mindestens) 3-4 Stücke suchen, die diesen einen Punkt speziell in den Fokus rücken.
Wenn du Zupf-/Schlagmuster machst, mach nicht eines, sondern mach 10 oder 20, damit du die Unterschiede fühlst etc pp.
Wenn du das dann mal auf einen Zettel aufschreibst, ergibt sich sowas wie eine "Pyramide", die sich sehr weit untergliedern lässt.
Wie fein man das angeht, hängt mit deinem aktuellen Status zusammen, was du schon sicher kannst und was nicht. Es können auch mehrere Pyramiden sein, die sich gegenseitig beeinflussen, etwa eine Kombination aus einer Harmonielehre-Pyramide und der anderen. Dann kannst du z.B. so Dinge wie Zupfmuster mit Akkordlehre verbinden, denn das bedingt sich gegenseitig... usw..
Ich arbeite mittlerweile seit über drei Jahren als Gitarrenlehrer für E- und A-Gitarre und finde, dass die E-Gitarre ein anderes Instrument ist als die Westerngitarre. Ergo gibt es da auch andere Grundlagen und ergoergoergo kannst du getrost mit der E-Gitarre beginnen.
Diesen Satz kann ich nur unterstreichen und möchte auch gleich noch eine Warnung hinzufügen:
A-Gitarre und E-Gitarre haben in etwa soviel gemeinsam wie Tennis und Tischtennis: Ja, einige Elemente sind durchaus ähnlich, aber viele Dinge unterscheiden sich auch elementar.
Spieltechnik, Tonerzeugung etc. Sehr große Unterschiede.
Jetzt zur Gefahr: bei der E-Gitarre fällt man seeeeeehr leicht in die Equipmentfalle. "Hey, die Paula hat ein kürzeres Griffbrett als meine Start, da kann ich sicher besser drauf spielen"... "Hmm, klingt jetzt nicht so wie es sollte... vllt ist mein Verstärker nicht das Wahre.." usw.. Mal abgesehen von den finanziellen Aspekten: diese ganzen Überlegungen kostet wahnsinnig Zeit, und Zeit scheint ja bei dir der limitierende Faktor zu sein.
Ich will dir nicht ausreden dir eine E-Gitarre zu kaufen, im Gegenteil, aber kauf dir einmal was halbwegs Gutes und dann lass es darauf bewenden, bis du mit dem Zeug wirklich umgehen kannst. Schieb niemals die Schuld auf das Equipment.
So good luck!