Ich mag auch ein paar Gedanken beisteuern,
Meiner Meinung nach, gibt es durchaus Berührungspunkte, oder Überschneidungen von Musik und Mathematik.
Allerdings würde ich es eher so formulieren, dass man gewisse mathematische Sachverhalte als Hilfsmittel nutzen kann, um Musik zu beschreiben, oder auch zu komponieren.
Zuerst noch ein Mini-Exkurs zu dem, was bereits angesprochen wurde:
Nur weil man Intervalle mit Zahlen benannt hat, steckt da ja nun nicht wirklich was Mathematisches drin, und ernsthaft rechnen klappt auch nicht wirklich.
Alleine mal als Beispiel: Es erscheint eigentlich vollkommen unlogisch, das sich eine Quinte (5) und eine Quarte (4) zu einer Oktave (8) "aufaddieren". Das ist ja mathematisch eher nicht korrekt.
Dennoch stecken mathematische Verhältnisse in der Basis dieser Überlegungen (bzw der Naturtonreihe): eine Quinte hat das Verhältnis 2:3. Eine Quarte 3:4 usw..
Solche Verhältnisse sind schon irgendwo Teilaspekte von Mathematik, und man kann über diese Verhältnisse den Aufbau der Naturtonreihe erklären, und damit beispielsweise auch, wieso es sich für unser Ohr angenehmer anhört, wenn z.B. tiefe Töne eine weitere Lage haben, und nicht eng geclustert sind.
Man muss mMn gucken, was "bringt" mir mathematisches Wissen, wenn ich Musik machen will. Irgendwo mal etwas mit Zahlen zur Orientierung benennen, ist eher trivial, und solche Trivialität, lässt sich letztlich in jedem Sachverhalt finden. Wenn ich die Buchstaben eines Gedichtes zähle, krieg ich auch ne Zahl raus, trotzdem bleibt es eher ein Gedicht, es sei denn, jemand hat es darauf angelegt diesen Zahlen irgendeine Bedeutung mitzugeben. Beispielsweise könnte man ein Gedicht so schreiben, dass die Strophen in ihrer Buchstabenanzahl untereinander ein Verhältnis des goldenen Schnittes haben. Da bin ich dann schon in einem Bereich der Mathematik angekommen.
Und so etwas wird durchaus in der Musik auch gemacht:
Ein paar Beispiele:
Ich habe vor kurzem eine Arbeit über "Nuper rosarum flores" von Dufay geschrieben. Das ist eine Motette, die zur Kirchweihe des florentiner Doms geschrieben wurde, und die ohne mathematische Kenntnisse des Komponisten, in dieser Form, nicht hätte geschrieben werden können.
Das Stück besteht aus 4 Formteilen, die in ihrer Länge das Verhältnis 6:4:2:3 aufweisen. Hier ist bereits eine Bedeutung versteckt: die ternären Zahlen (6 und insbesondere 3!) standen damals für das göttliche (--> Tempus perfectum (3er Takt)), wohingegen die binären Zahlen (insbesondere 4), für das weltliche Standen. In dem Verhältnis "umrahmen" also die göttlichen Zahlen, die weltlichen und schaffen eine Verbindung, die den Tempel, als Verbindung der weltlichen Ebene, mit der göttlichen, in der Musik quasi wiederspiegelt.
Im ganzen Stück finden sich die Zahlen 3, 4, 7 (=3+4), 28 (=4*7) wieder, das geht hin, bis zu Anzahl der Noten in den einzelnen Formteilen.
Es gibt ein ganzes Buch (Die Bedeutung der Zahl in Dufays Kompositionsart, von Ryschawy und Stoll), dass sich nur mit den mathematischen Aspekten des Werkes beschäftigt.
Das geht über solche Verhältnisse, Spiegelzahlen, usw, bis hin zur Gematrie, einer Technik, wo Wörter/Namen in Zahlen zerlegt wurden (im griechischen entsprechen Buchstaben auch gleichzeitig Zahlen) und so kodiert werden können (so sind etwa die Codes für diverse Heilige in dem Stück "versteckt"). Wenn man das alles in Betracht zieht, wird recht offensichtlich, dass das alles kein Zufall gewesen sein kann, sondern dass Dufay, da im wahrsten Sinne des Wortes, bestimmte Aspekte des Stückes "errechnet" haben muss, was wohl zur damaligen Zeit gar nicht so unüblich gewesen sein soll.
Auch in der Neuen Musik gibt es zahlreiche Stücke, die auf mathematischen Reihen, oder Phänomenen basieren, wie etwa die Türme von Hanoi, der Fibonacci-Zahlenreihe etc.
John Cage hat sich massiv dem Prinzip des Zufalls und der Wahrscheinlichkeit unterworfen und Stücke wortwörtlich ausgewürfelt, das sind durchaus mathematische Prozesse.
Es gibt Stücke von Tom Johnson, die auf geometrischen Figuren basieren, oder alle möglichen Permutationen von Akkorden der Reihe nach durchexerzieren.
Da steckt also durchaus Mathematik mit drin.
Auch in sehr basalen Dingen stecken mathematische Aspekte:
Sehr viel Popmusik basiert auf Potenzen der Zahl 2. Man hat z.B. eine Erwartungshaltung, dass etwas (Zeilenwechsel, Strophenwechsel, Einsatz des Refrains) nach 4, 8, oder 16 Takten passiert, weil wir diese Verhältnisse/Abläufe gewohnt sind.
Wir haben Hörgewohnheiten, die sich, in Teilaspekten, auch mathematisch beschreiben lassen, und Komponisten können dieses Wissen nutzen, um bestimmte Effekte zu erzielen.
Wenn ich ein Lied schreibe, das 8-taktige ähnliche Sequenzen hat, und auf einmal verlängere ich eine Sequenz um einen, oder zwei Takte, wird das auffallen, und als zeitliche Dehnung empfunden werden. Das kann ich nun zum einen einfach aus meinem Gefühl heraus komponieren, oder eben auch bewusst gegen diese mathematische "2er Potenz-Regel" verstoßen.
Oder, wenn ich in einem Walzer auf einmal eine Synkope komponiere, und die 1 auf die 3 vorziehe. Das kann ich musikalisch eben als Synkope beschreiben, ich kann aber auch mathematisch einen Bruch der Periodizität feststellen, der dann den Effekt hat, dass alle meine Tänzer verwirrt sind.
Das kann man nun noch auf zig andere Gegebenheiten übertragen, aber man kann durchaus musikalische Aspekte mathematisch beschreiben, und auch bestimmte Wirkungen erzielen, wenn man sich mathematischer Aspekte bewusst ist, und sie ausnutzt. Es gibt Komponisten, die greifen auf solche Techniken zurück, andere nicht, und manche sicher einfach unbewusst.
Wie weit man nun die Verbindung von Musik und Mathematik beschreiben will, mag jeder für sich entscheiden.
Zwischen "Musik ist Mathematik" und "Musik hat mit Mathematik nichts zu tun" liegt ein weites Feld, auf dem sich irgendwo die Wahrheit finden wird. Sicherlich auch von der eigenen Perspektive und den betrachteten Stücken abhängig.