Individuelle Erfahrungen und Eindrücke hin oder her, Fakt ist, dass die Technik noch nicht so weit ist das sensible Verhalten einer Röhre im Übergang von Clean zu leichtem Anzerren exakt zu modelieren, wohl aber schon zu 99% den Charakter und das Verhalten eines stark verzerrten Amps simulieren kann.
Fakt? Wie Du an den einigen der letzten Posts siehst, gehen die Meinungen darüber - je nach Background - ausseinander. "Elmwoods" Vergleich veranschaulicht die unterschiedliche Wahrnehmung der verschiedenen Lager ganz gut:
Erklärung: Wenn ich 5 Jahre lang Schwarzwälder Kirschtorte esse kann ich die unterschiedlichen Hersteller schon am Geruch unterscheiden. Esse ich dann zwei Apfelkuchen schmecken beide eigentlich gleich, obwohl mir die Apfelkuchenbäcker garantiert das Gegenteil versichern. Man kann eben nur das beurteilen was genau in das eigene "Ressort" fällt.
Klar, wer hauptsächlich clean oder angezerrt spielt, dem ist ein "High Gain"-Sound wahrscheinlich per se "too much" - und er wird sich dementsprechend auch nicht mit den "Spezialisten" für diese Disziplin auseinander gesetzt haben. Sie werden für ihn dementsprechend ähnlich klingen und sich vom "Modeller" kaum unterscheiden. Und umgekehrt: Könnte ich als "Metalhead" beurteilen, welcher 18-Watt-Marshall-Klon der authentischste ist und genau wie Clapton auf "Crossroads" klingt? No way!
SOOO simpel ist das Thema "High Gain" aber auch nicht. Es gibt tatsächlich (zu) viele Amps, wo die Formel
"High Gain = Kompression = bügelt Unterschiede im Spiel und Eigenarten der Gitarre glatt = beliebiger Sound" passt. Und so ein Verhalten kann in der Tat ein Modeller auch easy kopieren. Es gibt aber durchaus Amps, die einen differenzierten, sehr dynamischen High-Gain-Sound produzieren. Insofern finde ich die Aussage, dass High Gain Sounds grundsätzlich einfach digital zu modellieren sind, für eine unhaltbare Verallgemeinerung.
Das Modelling hat allgemein natürlich auch einen handfesten "psychologischen" Nachteil: Es kann
bestenfalls so gut sein wie das Original - aber
niemals besser. Und selbst bei "objektivem Gleichstand" werden viele das Original vorziehen.
Noch was zur anderen Strömung der Diskussion ;-)
Ich ertappe mich mit meinen fast 38 Lenzen auch oft bei solchen "Früher war alles besser"-Gedanken. Zum Glück fallen mir dann (noch...) die Moralpredigten und die Vorurteile gegenüber meinen Hörgewohnheiten ein, mit denen ich in meiner Jugend
selbst zu kämpfen hatte ;-) Das bremst einen dann ein wenig ...
Ich denke, an guter, innovativer Musik herrscht auch heute kein Mangel. Man bekommt ja auch nicht alles mit. Was ich bei mir jedoch feststelle: Die Begeisterungsfähigkeit lässt "mit dem Alter" einfach nach. Es kickt einen nichts mehr so richtig. Ein Rolle dabei mag auch spielen, dass man eben so vieles irgendwann schon mal gehört hat.
Wer mit dem Metal Mitte der 80er bis Anfang der 90er großgeworden ist, als JEDEN Monat eine neue bahnbrechende Scheibe rauskam, der MUSS heute einfach müde lächeln, wenn er im Metalcore/Melodic Death
jedes Riff zum x-ten Mal wiederaufbereitet hört.
Man muss den "Kids" jedoch zugute halten, dass sie die Originale eben nicht kennen und sich an Bands orientieren, die das Zeug auch schon in zweiter Generation aufgreifen und leicht abgewandelt mit anderen Elementen kombinieren.
Dazu kommt: "Hartes" Riffing und extreme Vocals haben komplett Einzug gehalten in den Mainstream. Was vor 20 Jahren provozierte, entspricht heute normalen Hörgewohnheiten. Auch das ein sich immer wiederholendes Spiel, dass in der Rockmusik schon mit Bill Haley, Elvis und den Beatles begann.
Wenn man sich fragt, warum momentan 80% aller Bands in Jugendzentren - im weitesten Sinne - "Metal-Core"-artig klingen: Genau diese Jungs hätten in den 90er Alternative/Grunge gemacht und in den 80ern englischen Mainstream-Rockbands wie U2/Simple Minds/The Cure nachgeeifert. In den 70ern hätten sie wie Genesis oder Pink Floyd klingen wollen.
Diese Entwicklung hat wenig mit dem "Phänomen Metal" zu tun, es ist einfach eine der momentanen Erscheinungsform von "zeitgemäßer" Rockmusik. Der "echte" Metal mit all seinen Unterarten bleibt weiterhin Nischenmusik.