Akkordeon - schrecklich. Unser Thema wird auch in der Literatur abgehandelt. Ulla Hahn schreibt in ihrem autobiographisch geprägten Werk "Das verborgene Wort" über Hildegard Palm, 1945 in Dondorf bei Köln geboren,die Tochter eines ungelernten Arbeiters und seiner Frau Maria. Hildegard hat mit der Arbeiterklasse nichts am Hut, sie spricht Hochdeutsch und rezitiert Schiller. Zu Weihnachten wünscht sich das Mädchen eine Geige, bekommt aber von ihren Eltern ein Akkordeon ("Quetschebüggel" im dortigen Dialekt) geschenkt. Ihr Entsetzen formulierte sie mit folgenden Worten:
"Es war Feindschaft auf den ersten Blick. ... Quetschebüggel spielten schweißtriefende Männer, eingehüllt vom eigenen Speck wie in eine Steppdecke. Mit fetten, labbrigen Armen zogen sie den Gegenstand vor ihren gedunsenen, von Netzhemden umspannten Bäuchen auf und zu, quetschten die wurstigen Fingerenden auf die schwarzweißen Tasten und Knöpfe und brüllten dazu ein Lied nach dem anderen, krebsrote Biergesichter, vom Grölen und Grinsen entstellt. Am ersten Mai ging es los, wenn am Madepohl zum Hahneköppe der Maibaum aufgestellt wurde und der blutige Kopf des Tieres in die johlende Menge der Zuschauer flog. Danach konnte man sie den ganzen Sommer über antreffen, wann immer im Gasthaus "An dr Kapell" ein paar Tische und Bänke im Freien standen. Schon von weitem hörte man das Kreischen der Frauen, das Wiehern der Männer und über allem die Gemeinheit des Quetschebüggels.
Das Ding kam von der Cousine mit den vielen Puppen. Sie hatte es vor zwei Jahren zu Weihnachten bekommen und im letzten Jahr, als wir alle zum Singen unterm Christbaum versammelt waren, sich kläglich darauf abgemüht. Wie damals, als Hänschen wiedergekommen war, fiel ich in Ohnmacht. Mir schwanden, hieß es in meinen vornehmen Büchern, die Sinne. Ich wollte das, was da durch das Zimmer lärmte, nicht hören, nicht sehen, nicht anfassen müssen. Ich wollte es einfach nicht wahrhaben. ...
Ich presste die Arme an den Körper und erstarrte. Um nichts in der Welt wollte ich mit diesem Ding in Berührung kommen. Ruck rechts, Ruck links, bog mir der Vater die Arme auseinander und hängte mir den Gegenstand vor den Körper. Er reichte mir bis zur Hälfte der Oberschenkel, die Riemen schnitten tief in meine Schultern, die das Gewicht vornübersacken ließ."
(Ulla Hahn. Das verborgene Wort. Roman. 11. Auflage. München, 2015. Seite 164f)