Moin Leute,
nachdem ich mich jetzt nochmal intensiv mit dem Thema Stütze befasst habe und dabei unterschiedlichste Quellen (CVT,TVS,SS etc. PP) konsultiert habe, u.a. natürlich auch:
https://www.musiker-board.de/faq-workshop-voc/238361-atmung-stuetze.html
möchte ich jetzt mal etwas Provokantes in den Raum stellen:
Kann es sein, dass was man als Stütze bezeichnet und wofür häufig soviel Training hinsichtlich Kraft und Koordination verlangt ist, bis das Aha-Erlebnis kommt, mindestens genauso viel mit der Schaffung eines für jeden Ton optimal angepassten (Brust-)Resonanzraums im gesamten Bereich zwischen Zwerchfell und Kehlkopf zu tun hat, wie mit der Ermöglichung einer kontrolliert dosierten Ausatmung, woarauf sich die Lehrbuch-Definitionen regelmäßig beschränken?
Nachdem mein Coach nun bereits vor einigen Monaten meinte, dass ich die Stütze nun endlich verstanden hätte und sie richtig anwende (nach ca. 2 Jahren, hurra) möchte ich also hier mal meine eigene Theorie zur Stützerei zur Diskussion stellen (vorsicht wird lang)
Meine gewagte Hauptthese ist:
Beim Stützen werden die gespannte Rippenmuskulatur UND das gespannte Zwerchfell ganz überwiegend in den Dienst von 1. Aussteifung und 2. Tuning des Brustresonzraums gestellt, so dass sie für die Kontrolle der Ausatmung (durch sukzessive ENTSPANNUNG dieser Muskelgruppen, wie bei der natürlichen Ausatmung) NICHT zur Verfügung stehen, was ungewohnt und auch Anstrengend ist, da die Ausatmung nun anstatt PASSIV durch Loslassen der Zwerchfell/Rippenspannung durch Kontraktion der unteren Bauchmuskulatur also als AKTIVER Prozess vorgennomen werden muss.
Dabei arbeiten die unteren Bauchmuskeln (vor allem unterhalb des Nabels bis runter zum Schambein) gegen das vorgespannte Rippen-/Zwerchfell-System an. Erst diese Vorspannung des Rippen-/Zwerchfell-System konstituiert einen DRUCKELASTISCHEN Brustresonanzraum, ähnlich dem Gummiball einer altmodischen Autohupe, der dann von den unteren Bauchmuskeln "bedient" wird.
Erst diese Konstellation stellt dann mehrere entscheidende Grundbedingungen für einen vollen Ton her:
1. Das Zwerchfell kann sich ausreichend versteifen, um als Reflektor für von oben anlaufende Schallwellen zu fungieren. Denn nur hinreichend steife/harte Oberflächen können Schall reflektieren und als Grundlage für resonante Verstärkung dienen. Ohne Schallreflektion keine Resonanz: Bläst man über die Öffnung einer Glasflasche entsteht ein Ton. Bläst man über die Öffnung einer Socke passiert das nicht. Das ist einfache Physik. Schlaffes Gewebe schluckt Schall, straffes Gewebe reflektiert ihn, dies gilt nicht nur oben im Ansatzrohr (Spannung des Gaumens, der Wangen) sondern auch für die Brustresonanz.
2. Das Zwerchfell kann jetzt, weil von der Ausatmungsfunktion weitgehend entbunden, im Zusammenspiel mit der Rippen und Flankenmuskulatur die Form des Brustresonanzraums an verschiedene gesungene Tonhöhen anpassen und damit die Schwingungen insbesondere des "Schweren Mechanismus" der Stimmbänder (=M1 nach Rob Lunte) harmonisieren und stabilisieren (= Körperanbindung des M1). Durch diese abgestimmte Körperanbindung werden die harmonischen Schwingungen des M1 verstärkt und die unharmonischen gedämpft, sodass der M1 sich mit dem M2 (dem "Leichte Mechanismus", vulgo Randstimme) auf den Stimmbändern besser "verträgt" und man störungsfreier durch das Passagio kommt. Somit ist klar, das der Zwerchfell-Rippenkomplex beim Stützen zwar versteift (Schallreflexion, s.1.) aber gleichzeitig auch zur Frequenzanpassung (Tuning) der Brustresonanz flexibel sein muss.
-> Das gleiche Prinzip herrscht im Idealfall (dem optimalen Stimmsitz) oben im Ansatzrohr, wenn die die tonhöhenspezifische Anpassung der dortigen Resonanzräume den "Leichte Mechanismus" M2 optimal harmonisieren und stabilisieren. Ist M1 an den Körper und M2 an den Stimmsitz angebunden, sind bei beiden Mechanismen die Unharmonischen soweit gedämpft, dass M1+M2 sich über den gesamten Stimmumfang auf den Stimmbändern "vertragen" und die Stimme im Passagio nicht mehr bricht, immer vorausgesetzt der Stimmbandschluss stimmt ebenfalls.
3. Erst indem die Ausatemfunktion an eine relativ scharf umrissene Muskelgruppe, nämlich die unteren Bauchmuskeln, delegiert wird, während der Brustraum unter Spannung aber ausatemtechnisch passiv, d.h stabil bleibt, ist die notwendige Feindosierung des subglottischen Luftdruckes für jede einzelne Tonhöhe überhaupt möglich. Werden zuviele Muskelgruppen (Rücken, Rippen, Schlüsselbein) in die Ausatmung eingebunden ist die Feinkontrolle nicht mehr möglich.
Wenn davon die Rede ist, in das Zwerchfell die unteren Rippen, den unteren Rücken zu atmen ist es nun ein häufiges Missverständnis, dass MIT dem Zwerchfell, den Flanken, dem Rücken auch (kontrolliert) auszuatmen sei. Das ist falsch. Das tiefe Einatmen in den Bauch - quasi bis zum Anschlag -soll viel mehr bewirken, dass das Zwerchfell gut gespannt (schallreflektierend) ist und außerdem jeweils ein stabiles Widerlager am Brustbein (wölbt sich vor), den unteren Rippen (weiten sich) und am unteren Rücken (beulen sich nach hinten aus) findet. Dieser "Anschlag" stellt sicher, dass die von den unteren Bauchmuskeln auf das Zwerchfell ausgeübte dosierte Kraft nicht durch UNKONTROLLIERTE UNelastische Ausdehnung in diesen Bereichen versandet und die proportionale Druckkontrolle kompromittiert und damit wieder 'nichtlinear' wird.
Weiterhin wird durch die Vorspannung des Zwerchfells ein Antagonismus von Bauchmuskeln (nach oben) vs. Zwerchfell (nach unten) etabliert, welcher erst eine kontinuierliche präzise Justierung im Raum ermöglicht, ähnlich wie nur durch den Antagonismus Bizeps und Trizeps eine definierte Kontrolle der Armbeugung möglich ist." Hätten wir nur den Bizeps würden wir uns beim Beugen des Arms immer ins Gesicht schlagen",schrieb hier schon mal ein geschätzter Forumteilnehmer in diesem Zusammenhang. Genau so ist es.
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Was darüber hinaus auch immer für Verwirrung sorgt:
Einerseits liest man ständig: "die Stütze hält den Atemdruck von den Stimmbändern weg" andererseits "Wir singen mit komprimierter Atemluft und insbesondere für hohe Töne braucht es einen teils extremen Atemdruck" Das passt nicht zusammen. Hat es nie.
Daher behaupte ich:
1. Die Stütze ist dafür da, einerseits einen stabilen und reflexions-, d.h. klangverstärkungsfähigen Brustresonator zu etablieren und andererseits eine permanente präzise Druckregulation durch Begrenzung der Ausatmungsfunktion auf eine kleine Muskelgruppe im Unterbauch zu ermöglichen. Der unter den Stimmlippen aufgebaute Druck kann dabei insbesondere bei hohen Tönen aber surchaus
erheblich sein.
2.
Der Grund warum die Stimmlippen bei korrekter Gesangstechnik trotz hohen subglottischen Drucks nicht unkontrolliert auseinandergesprengt werden, liegt eben nicht wie bisher in fat allen Lehrbüchern behauptet in der Stütze begründet, sondern in einem gut fokussierten Stimmsitz
oberhalb der Stimmlippen im Ansatzrohr. Ist dieser gewährleistet, wird durch die in der tönenden Kopfresonanz aufgespeicherte Energie nämlich ein Gegendruck aufgebaut. Steigert man durch die Atemmuskulatur (unterer Bauch) nun den Druck von unten, steigt bei vorhandenem Stimmsitz proportional auch der resonanzbedingte Überdruck (gegenüber der Atmosphäre ausserhalb des Körpers) oberhalb der Stimmlippen. Die Druckdifferenz zwischen den tönenden Räumen unterhalb und oberhalb der Stimmlippen bleibt daher mit steigender Lautstärke (also steigendem Atemdruck von unten) weitgehend konstant und recht gering, d.h in einem Bereich der lediglich den kontinuierliche Atemfluss unterhält, aber die Stimmlippen nicht aufsprengt.
Ist der Stimmsitz jedoch NICHT etabliert, d.h. die oberen Resonanzräume nicht auf den gesungenen Ton abgestimmt, kann oberhalb der Stimmlippen keine Energie gespeichert werden und es entsteht kein Trägheitsmoment und in der Folge kein Überdruck gegen den man von unten anstützen könnte. Eine Druckerhöhung von unten landet dann zum vollen Betrag auf den Stimmlippen und die einzige Möglichkeit das Sprengen der Stimmlippen abzuwenden ist dann das Engmachen im Hals, also das Quetschen und Drücken, die beliebteste Unsitte aller Gesangsanfänger, mich eingeschlossen.
Daher macht das ganze Gestütze m.E. immer erst Sinn, wenn zuvor 1. der Stimmbandschluss (durch Twang, Bite etc.) und 2. der korrekte Stimmsitz (durch Anpassung des weichen Gaumens=Vowel Modification) gut etabliert sind. Dies ist wohl auch der Grund, warum eine populäre Methode wie Singing Success sich kaum um die Atmung/Stütze schert und zunächst fast ausschließlich an den vorgenannten Fertigkeiten (Stimmbandschluss+Kopfresonanz) arbeiten lässt. Ist dies gelernt, bildet sich die Stütze häufig von selbst aus, wenn der Sänger sich um mehr spürbare Brustresonanz bemüht. Dies gilt umso mehr, als der Verweis auf einen schreienden Säugling (put a cry on it) die korrekte Stütze häufig auf natürliche Weise triggert. Allerdings ist bei vielen Erwachsenen diese Fähigkeit auch oft durch gewohnheitsmäßige Hochatmung verschüttet und die entsprechende Muskulatur nicht ausreichend aktiv. Daher sind Atemübungen hier häufig auch sinnvoll und notwendig.
Wichtig zu verstehen ist aber:
Hoher Druck beim Singen (=Compression, vor allem bei hohen Tönen) ist vollkommen ok, sofern der Druck unterhalb UND oberhalb des Kehlkopfes in etwa gleich hoch (gegenüber der Außenatmosphäre) ist (hierfür ist optimaler Stimmsitz notwendig) und sich auf Höhe der Stimmlippen bis auf einen geringen für die Aufrechterhaltuinmg des Luftflusses notwendigen Betrag quasi "wegkürzt".
Ist dieses Gleichgewicht etabliert stellt sich schließlich auch das natürliche Vibrato ein, als niederfrequente lockere Auf-und Ab- Schwingung des Kehlkopfes zwischen dem unteren und dem oberen elastischen Polster aus komprimierter, tönender Luft.
Meine letzte zugegeben gewagte Hypothese wäre daher noch das Vibrato bertreffend:
Das natürliche Vibrato, welches sich ja laut Lehrmeinung "von selbst" auf eine individuelle aber UNVERÄNDERLICHE Frequenz zw. 4 und 6 Hz einstellen soll ist allein abhängig von dem individuellen aber relativ unveränderlichen Quotienten aus dem Resonanzvolumen oberhalb undem Resonanzvolumen unterhalb des Kehlkopfes, da -egal ob laut oder leise, hoch oder tief, warm oder schrill gesungen wird, sich alle anderen Faktoren am Ende "wegkürzen", da sie sich unten wie oben immer proportional auswirken. Aber das müsste dann wirklich mal ein Wissenschaftler/Physiker/Mathematike untersuchen.
So ihr Lieben, dann wetzt mal die Messer...aber für mich ist im Augenblick alles oben geschriebene auch nach dem dritten Lesen noch plausibel und die beste Beschreibung dessen was ich beim gestützten Singen empfinde.
Was meinen die Experten ??