Aber im Fall 1 bräuchte man auch eine Verzögerung, weil man die Zeit ja, wie du auch sagst, in Echtzeit nicht zurück drehen kann.
Nein - wenn ich das Signal direkt bei seiner Erzeugung beeinflusse, dann kann ich die Phase ja direkt beeinflussen. Stell dir einen digitalen Oszillator vor, der permanent in Echtzeit sin(2*pi*f*t + phi) ausrechnet und bei dem das phi sich von außen in Echtzeit verändern lässt. Analog geht das mit einem Quadraturmodulator:
http://www.dfcgen.de/wpapers/qmod/qmodsu1.html - einfach mal anschauen und nachvollziehen, dann beantworten sich manche Fragen von selbst.
Sollte eine Änderung der Phase immer mit einer Verschiebung auf der Zeitachse verbunden sein, so wäre eine negative Änderung eine Verschiebung in der Zeit zurück.
Auf einer
Übertragungsstrecke mit Eingang und Ausgang ist das auch so, wir können ja nunmal die Zeit nicht zurückdrehen - und der Ausgang kann immer nur zu größeren Zeiten verschoben sein.
Andererseits, wenn eine Phasenänderung immer mit einer Verschiebung auf der Zeitachse verbunden sein soll, ....
Andersrum wird ein Schuh draus. Ich weiß, es ist schwierig ohne Bilder und Formeln darzustellen, aber ich versuch es trotzdem mal - allerdings ist es dazu einfacher, sich die Darstellung im komplexen Zahlenraum anzuschauen.
Es gilt:
exp( i * phi ) = cos(phi) + i*sin(phi) - wenn ich also ein reales Signal haben will, dann schaue ich mir i.d.R. nur den Realteil der entstehenden komplexen Zahl an.
Es gilt weiter( i ist sqrt(-1) ):
Jede komplexe Zahl b + i*c lässt sich auch in der sog. Polardarstellung schreiben:
b + i*c = A*exp( i*phi )
Dabei ist A der "Betrag" und phi die "Phase" - in einem Diagramm, indem ein Pfeil von 0 bis zu einem Punkt gezeichnet wird, wobei x der Realteil (b) und in y der Imaginärteil (c) ist, ist A die Länge dieses Pfeils und phi der Winkel zwischen x-Achse und Pfeil.
Bis hierhin haben wir noch kein Signal, keine Welle, keine Zeit, sondern einfach nur eine komplexe Zahl in Polardarstellung. Phi heißt aber da auch schon "Phase" und es ist klar, woher der Winkelbegriff an der Stelle kommt.
So.
Ein Signal wie z.B. eine Sinuswelle ist jetzt ein Vorgang, bei dem die Phase
im Laufe der Zeit linear anwächst - immer weiter. Das heißt, in der obigen Darstellung ist schlicht
phi = 2*pi*f*t
f ist die Frequenz - und je höher diese ist, umso schneller "dreht" sich die Phase (in diesem Fall kann man das tatsächlich mal so sagen). Das Resultat ist (wenn man sich jetzt einfach den Realteil dieser komplexen Zahl anschaut) ein Cosinus-Signal.
Das heißt: Die Zeit beeinflusst die Phase - nicht umgekehrt.
Was wir aber meinen, wenn wir so lax von "Phase" (verschieben, ändern) sprechen, ist eigentlich ein Phasenoffset (phi0):
phi = 2*pi*f*t + phi0
Die tatsächliche Phase ist also die Summe aus zwei Winkeln: einmal dem, der durch Frequenz und Zeit gegeben ist und einem Offsetwinkel, den ich frei wählen kann (oder der eben durch das technische System gegeben ist).
So: als nächstes ist es völlig egal, welche der durch Gleichheitszeichen verbundenen Ausdrücke ich schreibe
A*exp(2*pi*f*t + phi0) = A*exp(phi0) * exp(2*pi*f*t) = A*exp(2*pi*f*(t+t0)),
wobei phi0 = 2*pi*f*t0 ist.
Ich kann also entweder die Phase in eine komplexe Amplitude A*exp(phi0) packen, und diese Amplitude im Fall 1 beliebig manipulieren. Da habe ich direkten Zugriff auf die Werte A und phi (nebenbei: das x(t) und y(t) in dem obigen Link sind gerade der Real- und Imaginärteil dieser komplexen Amplitude).
Auf einer Übertragungsstrecke kann ich die Phase meist nur dadurch ändern, dass ich das Signal verzögere (ein t0 einbaue, das in der realen Welt immer nur positiv sein kann, solange technische Geräte nicht hellsehen können).
Je nachdem, wo und wie ich das tue, ist also eine Änderung der Phase entweder die Folge einer Zeitverzögerung, oder ich habe diese Phase an der Quelle bereits manipuliert.
Man könnte auch sagen (in diesem Bild): jede Zeitverzögerung t0 bewirkt eine Phasenänderung - aber nicht jede Phasenänderung ist die Folge einer Zeitverzögerung - ich kann ja an manchen Stellen auch direkt das phi beeinflussen. Ganz nebenbei könnte die Gesamtphase aus noch mehr Summanden bestehen - von denen einige von der Zeit abhängen und andere nicht...
Es ist nicht schlimm, wenn man sowas nicht weiß - das ist schon deutlich mehr als Schulmathematik.
Wem diese Zusammenhänge allerdings nicht klar sind, der sollte sich schon damit zurückhalten, anderen erstmal "Halbwissen" vorzuwerfen und dann später erst nachzufragen, was denn die Phase eigentlich ist und wie die mit der Zeit zusammenhängt...