Hey Jungs... jetzt wird es aber wirklich wild hier. Jetzt gehen aber mal sämtliche Fachbegriffe munter durcheinander - die leidige Ausgangsfrage (Verpolung ungleich 180° Phasenverschiebung) ist ja schon schlimm genug, aber man kann offenbar noch mehr Chaos stiften.
Der Reihe nach:
Und 180°-Phasendrehung?...
Nein... bitte nicht. Bei der Phase "dreht" man nichts (auch wenn das umgangssprachlich so gesagt wird und im Bild des Einheitskreises auch irgendwo nachvollziehbar erscheint). Die Phase hat die Einheit eines Winkels, daher die ° (oder ohne Einheit 0...2*pi) - das war es dann aber auch schon.
Bei einem 2D-Bild gibt es einen Unterschied zwischen einer Drehung um 180° und einer Spiegelung. Wenn man aber einen Strich nimmt (analog zu zwei Polen "+" und "-"), macht es keinen Unterschied, ob man ihn um 180° dreht oder spiegelt.
Beim Strich hast du recht. Aber die beiden Pole haben mit der Phase nichts zu tun - darum geht es ja die ganze Zeit. Es wird ja nicht das Bild der Wellenform gedreht (da käme es ja auch drauf an, um welchen Punkt), sondern es wird die Phase verändert, indem man einen bestimmten Winkel dazuaddiert oder abzieht.
Die Auslenkung einer Schwingung hat in jeder Phase einen bestimmten Betrag und eine bestimmte Polarität: Plus oder Minus, sofern der Betrag ungleich Null. Dreht man die Phase um 180°, bleibt der Betrag gleich, nur die Polarität kehrt sich um. Dasselbe passiert bei einer Invertierung: Der Betrag bleibt gleich und nur die Polarität ändert sich, außer bei Nulldurchgängen - Null bleibt Null.
Nochmal: Das gilt so nur für einen (Co)Sinus und eine Handvoll weitere Spezialfälle. Bei so ziemlich jeder anderen periodischen Wellenform ist das eben nicht das gleiche - einfachstes Beispiel Sägezahn. Und ja, auch das ist eine Schwingung - nur eben keine Sinusschwingung. Trotzdem streng periodisch, und daher sind dort Begriffe wie Frequenz und Phase eindeutig definiert. Dass ein Sägezahn, wenn man ihn nach Sinusanteilen zerlegt, sehr viel mehr Frequenzen (in der Funktionsbasis der harmonischen Schwingungen) hat, ist auch klar. Aber man kann umgekehrt auch einen Sinus nach Rechteckwellen zerlegen oder in jeder anderen geeigneten Funktionsbasis darstellen - dann hat auch ein reiner Sinus in dieser Basis mehr als eine Frequenz. Das ist nur nicht sonderlich gebräuchlich (obwohl: die Darstellung einer Sinusfunktion in einer zeitdiskreten "Treppenfunktion" wie bei der Darstellung von Digitalsignalen üblich, ist auch nichts anderes als die (endliche) Summe über eine Reihe von Rechteckfunktionen...)
Also mir scheint es so, als gibts hier grosse Verwirrung zwischen "Phase umpolen", "Phasenverschiebung" und "Phasendrehung". Das sind 3 verschiedene Dinge. Die bei einer Sinuskurve wohl ganz genau identisch sind, jedoch bei jeder natürlichen Wellenform kommen die Unterschiede erst zum Vorschein.
Eigentlich sind es nur zwei Begriffe: "
umpolen" (Polarität ändern) und "
Phasenänderung" (landläufig auch "Phasenverschiebung" - der Begriff "Phasendrehung" ist noch falscher, wird aber ebenfalls häufig verwendet, meint aber exakt das selbe wie "Phasenverschiebung" oder korrekt "Phasenänderung"). "Umpolen" kann man einen Schaltkreis, ein Signal o.ä. - aber nicht die Phase als Kenngröße.
Nicht so bei einer Wellenform:
Phase umpolen: Signal wird exakt gespiegelt, Phase wird zwar um 180° gedreht, aber es entsteht keine Phasenverschiebung. Rechnerisch wird einfach ein Vorzeichenwechsel gemacht. Das Timing bleibt genau gleich.
Mit der Durchstreichung stimmt es. Genauer gesagt wird das Signal an der Zeitachse gespiegelt. Die dazu rechtwinklige Spiegelung an der Amplitudenachse wäre dann ein "rückwärts abspielen".
Phase verschieben: Zeitliche Verschiebung. Im Timing kann man die Phase verschieben wie man will, man wird keine exakte Spiegelung hin bekommen (mit Ausnahme von geometrischen Wellenformen wie zB einer Sinuskurve, oder Rechteck, Dreieck usw..).
Genau so. Zumindest, wenn das Wort "geometrisch" durch "periodisch und symmetrisch" ersetzt wird (also Rechteck (mit Tastverhältnis 50%), Dreieck, Sinus: ja; Sägezahn oder Rechteck mit einem anderen Tastverhältnis als 50%: nein)
Phase verdrehen: Es entsteht keine zeitliche Verschiebung, aber die Phase wird umgepolt, wenn man genau um 180° dreht. Jedem anderen Winkel ist es keine Umpolung. (zB 179° ist nahezu eine Umpolung aber halt doch nicht ganz)
Komplett Streichen. Den Fall gibt es nicht, den Begriff auch nicht - und wo er trotzdem verwendet wird, ist entweder "Umpolen" gemeint oder "Phase verschieben". Wer was meint, wenn er es sagt, ist leider nie klar. Daher den Begriff "Phase verdrehen" am besten vergessen.
Daher ist für mich der Ausdruck "Phasenverschiebung" zwar richtig, finde aber bei einer Phasenverschiebung kann man nicht von "um 180°" verschoben reden, das erachte ich als falsch. Eine zeitliche Verschiebung hat nichts mit einem Winkel zu tun.
Gerade beim Sinus ist das sehr einleuchtend. Die Funktion, die ein Sinussignal darstellt, ist z.B. diese: a(t) = sin(2 * pi * f * t + Phase(im Bogenmaß)) = sin(360° * f * t + Phase(in Grad)). Das Argument einer Sinusfunktion ist immer ein Winkel - ob nun ohne Einheit in Radian angegeben (die Einheit "rad" wird meist weggelassen, weil sie im strengen Sinne keine Einheit ist) oder in °. Auch der Term 2*pi*f*t (oder 360°*f*t) ist ein Winkel - t ist die Zeit in s, f die Frequenz in Hz (=1/s). Die Zeiteinheit kürzt sich raus, übrig bleibt ein Winkel.
Das ist der Grund, woher diese Winkelgeschichten kommen.
Es ist in der Tat auch möglich, jede Phasenverschiebung eines
periodischen Signals als zeitliche Verschiebung anzugeben. Bei 10Hz (Periodendauer 0,1s) ist entspricht eine Phasenverschiebung um 90° einem Viertel davon, also 0,025s. Bei einer anderen Frequenz ist das dann eine andere Zeit. Man kann ja obige Formel auch anders schreiben: Wir bezeichnen die Phase mal als phi:
sin(360° * f * t + phi) = sin(360° * f * t + 360° * f * deltat) = sin(360° * f * (t + deltat) )
Das geht IMMER. Dass man häufig den Phasenwinkel direkt benutzt - je nach Anwendung - den praktischen Nutzen, dass bei jeder Frequenz eine Phasenverschiebung um einen Betrag x immer gleich aussieht. Ich muss nicht die Frequnz kennen, um mir vorzustellen, was das für das Signal bedeutet.
Wenn ich sage "der Sinus wird um 0,001s verschoben", kann ich bezüglich der Wellenform ohne die Angabe der Frequenz nichts mit dieser Information anfangen. Außer natürlich, dass es um 0,001s später kommt - was für andere Anwendungen wieder die eigentlich relevante Information ist.
Ist Wellenformverschiebung, Wellenformverdrehung, und Wellenformverpolung korrekt?
Sind alles nicht gerade gebräuchliche Begriffe - die Wellenform ist nur die grafische Darstellung eines Signals. Die Begriffe "Signalverschiebung" und "Signalverpolung" (eigentlich sagt man dann "Signalinvertierung") kann man benutzen, dann versteht es jeder. Streich das Wort "drehen" am besten in diesem Kontext komplett aus dem Wortschatz.
Eine Signalverschiebung passiert im Zeitbereich - im Spezialfall periodischer Signale wird daraus ggf. eine Phasenverschiebung, wenn man statt der konkreten Zeitangabe den Phasenwinkel angibt, der bei dieser Frequenz dazugehört - das Ergebnis ist aber
bei periodischen Signalen das gleiche.