Das "systematisch" finde ich ein bisschen zu stark. Da muss man nur mal in englisch-sprachigen Foren nach den entsprechenden Threads suchen und stößt da immer wieder auf Leute, die bestimmte Transistor- oder Modelling-Amps aus Erfahrung als voll bühnentauglich empfehlen. Das kann von Amps wie Quilters, Blug Amps 1, Roland Blues Cubes u.a. bis hin zu ganz preisgünstigen Teilen wie Peavey Bandits, Fender Mustangs oder (seit Neuem) auch Boss Katanas gehen. Aus Gründen, die du ja auch beschrieben hast, ist es schon verständlich, dass Gitarristen da generell etwas wählerischer sind (sein müssen), aber ich glaube, viele sind durchaus dazu in der Lage, Kompromisse zu schließen, mit denen alle gut leben können. Ich habe manchmal das Gefühl, dass besonders die Gitarristen, die wirklich professionell unterwegs sind und viel zu tun haben, in der Hinsicht erheblich nüchterner sind (sein müssen). Die nehmen, was in einer bestimmten Situation "taugt", und fertig.
Gut, "systematisch" war vllt. etwas zu viel des Guten. Bei jeglichem Instrument gibt es ja immer verschiedene Gruppen an Leuten, die von verschiedenem Material angesprochen werde. Bei den Gitarristen würd ich das grob unterteilen in:
- Anfänger und finanziell nicht so üppig bediente Gitarristen: Suchen preiswerte Modelle um einen ordentlichen Sound hinzubekommen und vllt. eher flexibler zu sein als sie aktuell müssen. Denn will man auf einmal von der Funkband zur Funk-Metal-Band wechseln, dann soll nicht gleich ein Neukauf nötig sein
- Amateure mit flexiblem Finanzbudget: Für einen ganz großen Teil ist Musik hier mehr Liebhaberei als physisches und ökonomisches Kalkül und so kann der Lieblingssound sowohl von einem <1000€ JCM800 als auch einem 3000€ Friedman kommen, so wie es beliebt. Diese Gruppe ist schwierig zu definieren und vorallem ist es schwierig, hier ein "symptomatisches" Verhalten für Gitarristen abzuleiten. Der eine rockt halt den 1987 weil er Halligallidrecksau-Rock in seiner Freizeit macht, der andere spielt und experimentiert gerne und sieht das Gewicht von einem Axe FX oder Kemper nur als sekundären Vorteil. Viele Leute spielen auch nur überschaubare Anzahlen an Gigs und nehmen "Schleppen" eben inkauf, wenn es physiologisch kein Problem darstellt.
- Semi-Profis und Berufsmusiker ohne die ganz große Kohle: Hier ist Effektivität und die (teils notwendige) fehlende Verklärtheit bei der Equipmentwahl meistens an erster Stelle. Wenn ich Berufsmusiker bin und mir von Gig-Einnahmen, Studio-Deals und eventuellen Band-Einnahmen mein Leben finanzieren muss, schlägt alles was unnötig kostet natürlich auf. Amps wie Kemper und co. haben da meiner Erfahrung nach zu urteilen den Markt stark geprägt, einfach weil viele Leute oft nicht nur Sahne-Gigs spielen können sondern auch Locations bedienen, wo die Soundverhältnisse, Monitoring und Mixing fragwürdig sein können. Da ist eine relativ erschwingliche Alternative zum In'n Rucksack packen natürlich wie gemacht.
- "Rockstars" und großflächig tourende Musiker: Hier sieht man oft, dass sich je nach Bandgröße und -Budget Effektivität und Megalomanie abwechseln. Genauso wie viele mittelgroße Bands ("Nachmittagsspieler auf Wacken") mittlerweile Kemper und co. spielen, gibt es auch immernoch Leute die einen Fuhrpark an Equipment mitnehmen. Als Beispiel sei da nur ein Mark Tremonti genannt der neben seinem Triple Rectifier und PRS Archon nonchalant live noch auf zwei Fender Twins zurückgreift...der Cleansound muss ja auch stimmen
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Ist also enorm schwierig die Leute über einen Kamm zu scheren. Aus der Keyboarder-Sparte hab ich da iwie immer etwas mehr Ökonomie erlebt. Vorallem weil es viele Leute gibt, die zuhause ein Klavier stehen haben und deren Synthies/Stage-Pianos oft Live-Equipment ist das dementsprechend dienlich und handlich sein muss.
Kann aber auch sein, dass gerade bei diesen beiden Musiker-Sparten der Knackpunkt darin liegt, dass "Original" und "gute Kopie" preislich bei der Gitarre weniger weit auseinander liegen. Ob 1700€ Kemper oder 1500€ Marshall JVM gibt sich ja fast nichts. Hingegen ist der Unterschied selbst zwischen hochklassigen Stage-Pianos und einem Hi-End-Klavier ungleich größer.