Zum Teil reden wir aneinander vorbei, bzw. widersprechen uns gar nicht [...]
Ich glaube, wir sehen die Sache einfach "nur" im Kern ganz anders. Natürlich sind wir uns einig darin, dass es nervend sein kann, wenn jemand mit seinem 5000-Euro-Modelling-Equipment protzt, genauso wie es mich ständig nervt, wenn sich die "echten Rocker" in Modelling-Diskussion mischen und dumpfbackig behaupten, außer 'nem Plexi mit Tubescreamer davor braucht doch keiner was und außerdem, alles was mehr als 'ne Handvoll Potis hat ...
Aber: Allein die Tatsache, dass und wie ein Modeller Tonnen von analogem Equipment auf kleinem Platz vereinigt und zur Verfügung stellt, konstituiert für mich eine ganz eigene und neue Qualität. Selbst, wenn dabei nur "Altbekanntes" in digitaler Fassung angeboten oder genutzt würde. Wobei die Aussage, Modeller digitalisieren lediglich analoge Geräte, in dieser Ausschließlichkeit nicht so ganz stimmt. Manche Modeller erlauben dir z.B. ein Tuning von Amps, das in der analogen Welt auf eine Menge Arbeit (Hardware-Umrüstungen) rauslaufen würde. Oder sie lassen dich virtuelle Heads voll aufgedreht in virtuelle Boxen gehen, die in der analogen Welt ganz schnell kaputt gehen würden. Oder sie lassen dich Dual-Amp-Setups mit Effekt-Ketten basteln, die sich in der analogen Welt kaum jemand leisten kann (geschweige denn das Herumexperimentieren mit Dutzenden von Amps, Boxen, Effekten usw.) Was übrigens ein Punkt ist, der mich ebenfalls sehr nervt: Viele Gitarristen gehen über all diese gigantischen Möglichkeiten ganz locker mit einer Handbewegung weg, ja so nach dem Motto, ist ja nur Modelling, ist ja nur digital, anstatt sich mal wirklich zu überlegen, was einem da tatsächlich an irren Möglichkeiten zur Verfügung steht. Wenn's noch dreister wird, gibt's ja noch die Spezis, die sich sogar darüber beschweren ... "ach, da schraubt man doch nur noch" ... "viel zu kompliziert" ... "braucht doch keiner". Also, um es kurz zu machen: Modeller werden oftmals gewaltig unterschätzt.
Aber, wie gesagt, selbst wenn Modeller tatsächlich nur sklavisch irgendwelche analogen Geräte reproduzieren würden, sie können die Art und Weise, wie man Musik macht, drastisch beeinflussen. Das allein reicht für mich vollkommen aus, um diesen neuen Geräten eine ganz eigene und revolutionäre Qualität zu attestieren. Das siehst du offenbar ganz anders:
Ich bleibe aber dabei: Diese Vorteile sind "lediglich" die Vorteile, die die Digitalisierung auch in anderen Bereichen ermöglicht hat (Umwandlung analoger/physischer Gegenstände/Prozesse in digitale Daten und damit einfache Reproduktion und Vervielfältigung ersterer). Die Tatsache, dass man "Sgt. Peppers Lonely Hearts Club Band" heutzutage auch streamen kann und ein Knopfdruck (oder eine Wischgeste ...) reicht, anstatt mühsam eine LP aus der Hülle zu nehmen und aufzulegen, rührt für mein Verständnis aber nicht an der Qualität des Ursprungswerks...
Der Unterschied zwischen unseren Sichtweisen ist vielleicht der: Dass ich irgendeinen Song heutzutage auch auf dem Telefon hören kann, geschenkt. Nett, aber ... und jetzt kommt's ... das beeinflusst mich als Musiker kein bisschen. Die Möglichkeiten eines Modellers hingegen schon. Wie ich in meinem anderen Beitrag an dich schrieb, es kommt darauf an, was ich wann und wie mit einer digitalen Kopie anstellen kann. Einen Song unterwegs zu hören, na ja, ganz nett, aber das kann man doch nicht mit den kreativen Welten vergleichen, die ein Modeller öffnet. Das hat ganz anderes Potential.
Wo ich dir allerdings von Herzen recht gebe - aber ohne Wertung: Wir Gitarristen sind klangmäßig schon ein ganz schön konservativer Haufen.