Zum Teil reden wir aneinander vorbei, bzw. widersprechen uns gar nicht, siehe hier:
(...) ich versuche mich mal in folgender Definition:Es geht bei diesen Geräten primär darum, den Sound eines "altbekannten Analogen" in Kontexten bzw. unter Umständen verfügbar zu machen, wo das "Original" entweder gar nicht oder nur unter Schwierigkeiten bzw. der Inkaufnahme anderer Nachteile verfügbar gemacht werden kann.
Dass Modelling enorme Vorteile bzgl. des Handlings bietet, bestreite ich ja gar nicht, bediene mich ihrer ja selbst, z.B. in Form meines heißgeliebten Yamaha THR 100 X. Da passt Deine Definition sehr gut:
Der kleine THR ermöglicht mir, den Sound und das Spielgefühl eines (verschiedener!) Metal-Stacks in Zimmerlautstärke auf dem Sofa zu genießen. Das ginge mit einem 100-Watt-Röhren-Top + 4x12 in der Tat kaum ohne "
Schwierigkeiten bzw. der Inkaufnahme anderer Nachteile". ;-) Und deswegen liebe ich meinen THR, dem Modelling sei Dank! Hätte es sowas doch schon 20 Jahre früher gegeben... Ich hätte wohl erheblich mehr geübt ...
Dennoch bleibe ich dabei: Das "Originäre" eines THR (AxeFx, Helix, Kemper etc.) liegt doch
nicht darin, dem Gitarristen einen
eigenen, neuen Sound anzubieten - der das Potential hat, ein eigener "Trademark"-Sound zu werden, sondern es geht darum, bereits bekannte/beliebte/gefragte Sounds nachzubilden. Dass so ein Gerät in der Lage ist, eben nicht nur nur 7-8 (THR), sondern nahezu alle (AxeFx) gängigen Röhren*-Amps nachzubilden, ändert an dieser Feststellung erstmal nichts.
Unstrittig für mich auch: Die nahezu unbegrenzte Verfügbarkeit einer Palette unterschiedlichster Sounds kann natürlich sehr kreativitätsfördernd sein, was das eigene Spiel angeht. Oder dass man überhaupt zur Gitarre greift. Um eben dem Sound der "Helden" nachzueifern.
Ich bleibe aber dabei: Diese Vorteile sind "lediglich" die Vorteile, die die Digitalisierung auch in anderen Bereichen ermöglicht hat (Umwandlung analoger/physischer Gegenstände/Prozesse in digitale Daten und damit einfache Reproduktion und Vervielfältigung ersterer).
Die Tatsache, dass man "Sgt. Peppers Lonely Hearts Club Band" heutzutage auch streamen kann und ein Knopfdruck (oder eine Wischgeste ...) reicht, anstatt mühsam eine LP aus der Hülle zu nehmen und aufzulegen, rührt für mein Verständnis aber nicht an der Qualität des Ursprungswerks... Ich weiß nicht, ob man meinem Gedanken an der Stelle folgen kann: Ein Fernseher bleibt ein Fernseher, egal ob mit Bildröhre und 576 Zeilen oder LCD mit 4K. Ein Tablet dagegen ist etwas Neues. Hat auch einen Bildschirm, kann aber eben noch ganz andere Dinge als ein Fernseher. Ein Modeller ist demnach für mich nichts anderes, als ein digitales Gerät, dass (übertragen) von Grundig über Normende bis Telefunken die Bilder aller bekannten 576-Zeilen-Röhren-TV nachbilden kann. Es beschränkt sich also auf etwas Altbekanntes, obwohl doch die Technik erwarten ließe, dass etwas bahnbrechendes Neues entstehen könnte? oder nicht?
Insofern fände ich es eher spannend, wann mal wieder ein Gitarren-Amp (welcher Bauart auch immer!!!) so etwas wie einen neuen Trademark-Sound begründet. So wie man vom Plexi-Sound spricht, vom A-30-Crunch, Hiwatt-Sparkle usw. Für mein Empfinden waren die letzten Amps (welcher Bauart auch immer...), die was wirklich Neues auf die Landkarte gepackt haben der Rectifier und er der 5150. Anfang der 90er ...
Und weder Fractal Audio noch Line 6 etc. sind angetreten, um solche
eigenen Sounds zu etablieren ... Bei Line 6 ist es für mein Empfinden (und eigener User-Erfahrung) sogar so, dass gerade die (tatsächlich) eigenen Varianten von Amps und Effekten irgendwie keine Akzeptanz finden.
Das "Schicksal" teilen die Hersteller analoger Geräte natürlich genau so. Ein hochgelobter Friedman ist eben auch "nur" ein verfeinerter Marschall.
Modeller sind für mich halt wie eine exzellente Cover-Band: Da kann man eben bestenfalls sagen: Geil, klingt exakt
wie XXX. Aber man wird beim Konzert einer Coverband doch eher nicht das Gefühl haben, dass z.B. Konzertbesucher hatten, die 1967 in London erstmals Jimi Hendrix auf der Bühne hörten?
Aber noch mal: Ich find das alles gar nicht schlimm. Gitarristen sind ein konservativer Haufen, alles referenziert in die Vergangenheit. Warum auch nicht? Meine Mutter hält auch an ihrem in der Familie vererbten Rezept für Rouladen, Klöße und Rotkohl fest. Schmeckt allen bestens.
Nervig finde ich aber manchmal schon die zur Schau getragene Überlegenheit des Modelling-Users, der in sein AxeFx + Case + Floorboard + Monitor auch schnelle mal 5.000,- Euro investiert hat, um dann wie zu klingen? Auch nur (bestenfalls ...) wie das, was man doch bereits kennt. Sich dabei aber auf "Fortschritt" beruft.
* als ich mich vor einigen Jahren das letzte Mal mit einem AxeFx auseinandergesetzt hatte, gab es ironischerweise noch kein Modell eines Randall, mit dem man den Pantera-/Dimebag-Sound hinbekommen hätte. Ist ja auch "nur" ein Transistoramp ... Was doch eindeutig die Erwartungshaltung der Kunden zeigt, oder nicht? Ein Modeller soll in erster Linie möglichst authentische Kopien bekannter
Röhren-Amps liefern.